Slayer-Konzert in Stuttgart: Sag zum Abschied leise SLAYÖÖEERRRRR!

Slayer, Slayerhalle Stuttgart, zum letzten Mal Foto: Jutta von Teese

„Slayöööeeer!“, schreit einer, wie man halt „Slayöööeeer“ ruft, wenn gerade wirklich gar nix anderes wichtig ist. Samstagabend in der Slayerhalle war einer dieser Tage: Slayer schauen zum letzten Mal vorbei. Abschiedstour. Letztes Konzert in Europa, letztes Konzert in Deutschland, letztes Konzert in Stuttgart. Danach noch ein paar US-Konzerte. Dann Hollywoodschaukel, Prostagutt Forte, weniger müssen müssen, Vorruhestand.

„Tschüss“, sagt ein sichtlich ergriffener Tom Araya. „Auf Wiedersehen!“ – nachdem Slayer die geschätzt 11000 Leute in der Slayerhalle 90 Minuten lang verprügelt hatten. Vielleicht waren es auch 80 oder 70 Minuten. Vielleicht 100. Und eventuell waren es auch 12 000 oder 9000 Leute. Keine Ahnung.

So voll war’s hier noch nie bei Slayer. Foto: Jutta Von Teese

Es war so beeindruckend, dass ich nicht ein Mal auf die Uhr geguckt habe und natürlich auch keine Zeit hatte, Leute zu zählen. Der Abschied von Slayer war eine Machtdemonstration, irgendwo zwischen leckerschmackofatz, routiniert und annähernd perfekt.

Abzusehen war das nicht. Mir zum Beispiel sind Vögel suspekt, die gemütlich auf dem Trottoir flanieren. Wer ohne sonderlich großen Mehraufwand fliegen könnte und derart underperformt, hat eindeutig das Feuer verloren – Ehrenrunde und „Tschüss“. Plötzlich wirste vom E-Bike überfahren und dann ist halt richtig „Tschüss“. Bei Slayer ist das ähnlich. Gefühlt haben die seit „Seasons In The Abyss“ 1990 niemanden mehr überrascht. Nicht mal sich selbst. Okay, „God Hates Us All“ 2001 war auch wieder ziemlich saustark.

Da war dennoch zu viel Brutalität nahe an der Dienstleistung. Bolzen, weil jeder will, dass ordentlich gebolzt wird. Und da war eine Art der Kompromisslosigkeit, die leider auch himmelschreiend konservativ war.

Aber nie im Leben wäre ich so doof gewesen, Slayer deshalb nicht mehr anzugucken. Selbst eine mittelmäßige Platte von Slayer ist viel besser als drei mutmaßliche Meisterwerke von schrecklichen Bands wie Manowar.

Und ich hab ehrlich gesagt, keine Ahnung, wie oft ich Slayer mittlerweile live angeschaut habe. Wirklich. Slayer kommen, ich hab Zeit und geh halt hin. Weil ich immer hingehe, wenn Slayer kommen und ich Zeit habe, hinzugehen.

Dementsprechend viel Quatsch haben Slayer und ich auch schon durchgemacht in den vergangenen grob 35 Jahren. Durch dick und dünn sind wir gegangen.

Zum Beispiel im Mai 1987: da haben sie in der Eissporthalle in Esslingen gespielt, ich war 14 Jahre alt und „Reign In Blood“ die brutalsten 28 Minuten, die ich bis dorthin erlebt habe.

Mama: „Zu jung!“,
Ich: „Die sind volljährig!“.
Sie: „Ja, lustig. Nee, Du!“

Kurz: Ich durfte nicht hin.

Die Geschichte wiederholt sich 2019 – Nazis, Umweltzerstörung, Kalter Krieg, Amok, Mord, Totschlag, alte graue Herren, die die Welt kaputt machen und Slayer, die zur Ablenkung blutige Lieder darüber schreiben – und ich scheitere wieder an einer Mutter:

Mutter: „Zu jung!“
Ich: „Ich?!“
Mutter: „Nein, das Kind! Neun Monate alt! Der Junge bleibt hier.“

Machen wir’s kurz: Ich durfte den Sohn nicht mitnehmen. Obwohl ich mich schon in voller Vaterromantik auf der Tribüne der Slayerhalle stehen sah, Baby auf dem Arm und dann sagen: „All das wird einmal Dir gehören“. Doch Slayer machen ja mutmaßlich Schluss nach dieser Tour. Dann macht sowas wirklich kaum Sinn.

Mein Freund Marco, den ich ungefähr genauso lange wie Slayer schon kenne, sagt, es sei verantwortungslos, das Kind zu einem derartigen Anlass nicht mitzunehmen. „Wenn’s doof läuft und die tatsächlich Schluss machen, wird dein Sohn nie, nie, nie Slayer sehen! Das ist Dir klar, ne?“ Kurz überlegt, wieder heimzufahren und doch den Kleinen einzupacken. Muss ich ihm halt erzählen, wie’s war.

Und wahrscheinlich werde ich mal einer dieser Väter, der immerzu von früher erzählen – und wie viel geiler das alles war. Ich übe das jetzt schon mal:

Als 1990 erstmals am 3. Oktober der Tag der deutschen Einheit begangen wurde, waren Slayer in der Slayerhalle – mit Megadeth, Testament und Suicidal Tendencies. Einigkeit und Recht und auf die Fresse – grundehrliche Geschichte. Schon damals war mir Slayer wichtiger als ein Nationalfeiertag. Hat sich bis heute nicht geändert.

2008 hab ich Slayer auch in der Slayerhalle angeguckt und sie waren miserabel. Gelangweilt, steif, altbacken und trotzdem auf eine unerfreuliche Art selbstzufrieden. Es war zumindest der Abend, an dem ich Amon Amarth zu schätzen lernte. Die hatten Spaß. Wikinger halt. Damals dachte ich, Slayer machen’s nimmer allzu lang. Die schlafen demnächst einfach ein.

Mein bestes Mal Slayer: Wacken 2010. Die VIP-Empore für Bandtypen neben der Bühne war leider schon überbelegt. Viele Leute haben schließlich Bands gegründet, um mal zusammen mit Slayer spielen zu dürfen. Da war kein Platz mehr für mich. Man schickte mich weg, ich stand dumm neben der Bühne und der erste Ordner sagte „Hier kannste nicht rumstehen!“, schickte mich um die Ecke.

Durch eine Verkettung glücklicher Umstände stand ich irgendwann neben einem anderen Ordner: „Nagut. Hinsetzen. Aber laber IHN bloß nicht an!“.

Und, zack, drei Meter vor mir: der wohlgeformte Hintern von Dave Lombardo, mutmaßlich bester Schlagzeuger der Welt, der gerade schon wild auf sein Schlagzeug und 80000 Zuschauer eindrosch. Nee, eigentlich „drischt“ der nicht. Das ist Poesie, was der da mit Armen, Beinen und den Stöcken macht. Und er tanzt irgendwie sogar dabei.

Als er während einem Lied bei seinem Techniker Getränke bestellte, sagte er sogar „Bitte“. So nah saß ich, und so freundlich ist Dave Lombardo. Immer noch schade, dass er seit Jahren nicht Mehrbei Slayer spielt.

Das seltsamste Slayer, 2015. Nur einen Tag nach den Terroranschlägen in Paris. Bataclan. Hab mit meinem Freund Ernst vor der MHP-Arena in Ludwigsburg gefroren und Alkohol getrunken und alles merkwürdig gefunden – außer Alkohol und Ernst. Vor Terrorismus hatten wir trotzdem keine Angst.

Sixpack und Sambas. Foto: Jutta Von Teese

Und ich bin mir jetzt nicht mehr sicher, ob das letzte Mal Slayer nun vielleicht doch das beste Mal Slayer war. Hits, Hits, Hits, ein bisschen Kaspertheaterle bei der Bühnendeko und eine Band, die selten zuvor derart präzise Backpfeifen verteilt hat. Und spätestens dann ergreifend, als Tom Araya sich wehmütig von uns tausenden Seggln verabschiedete. Ich glaube, da waren Tränen im Spiel. Bei Araya auch.

Trotzdem: Überall lächelnde Leute, Bier und ganz viele alte Männer, die mit Slayer-T-Shirts zum Konzert von Slayer gehen, damit sie wissen, wo sie hin müssen oder später wissen, wo sie waren, wenn sie zu viel Bier getrunken haben. Slayer als der letzte verlässliche Kompass des Lebens. Saustarker Abend.

Marco und ich haben auch getrunken. Auf Slayer, auf uns und eine Jugend, die ohne Slayer so viel schlechter gewesen wäre. Und darauf, dass Slayer vielleicht einmal im Leben nicht so verdammt konsequent und kompromisslos sind und den Ruhestand irgendwann vielleicht unterbrechen.

Zeitlos bleibt der Rest: Slayer sind mehr Gemütszustand als Band. Und: Wenn Slayer und die Tagesschau einander angleichen, hat die Menschheit versagt. Nicht Slayer.

Danke für alles, ihr Säcke.

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4 Comments

  1. says: MCBuhl

    Schöner Abgesang, Herr Setzer!

    Es bleiben aber Fragen. War der Sound auf der Tribüne wirklich erträglicher? Im Innenraum war’s teilweise unverständlich… Haben Anthrax wirklich „the ripper“ von Judas Priest angespielt??

    Und: wie ist das mit fast fünfzig Vater zu sein, auf’m Spielplatz z.B.

  2. says: Setzer

    Auf der Tribüne war’s nach ein paar Liedern recht gut – slayerhallenmäßig gesprochen. „Ripper“ habe ich nicht mitbekommen, nur „Cowboys From Hell“.

    Spielplatz ist noch eine Weil hin – verlernt man aber nicht. Muss halt nur aufpassen, dass eher die anderen zum Rutschen vorbeikommen und ich mich nicht vordrängeln darf.

  3. says: Rossi

    mein lieber Setzer. fast so schön wie der gig, das hier oben!
    und sound? wer braucht sound, wenn 90% der songs sowieso im gehirn passieren, oder explodieren?…

  4. says: Kollege Geiger

    Großartig. Wenn ich mal mein letztes Konzert gebe, will ich bitte auch einen Abschiedsgruß von Dir.

    „Wer ohne sonderlich großen Mehraufwand fliegen könnte und derart underperformt, hat eindeutig das Feuer verloren.“

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