Dreißigsterneunter: Der Schwarze Donnerstag in Stuttgart

Seit mittlerweile einer gefühlten Ewigkeit der gleiche Mist – für andere sogar noch länger:  Einmal im Jahr jährt sich der 30. September. Das fällt besonders denen auf, die an diesem Tag Geburtstag haben. Udo Jürgens zum Beispiel. Truman Capote eher nicht – der hätte eigentlich ebenfalls Geburtstag, ist aber längst tot. James Dean kriegt auch nichts mehr mit, der ist sogar am 30.9. gestorben. In einem Porsche. Das war 1955 als Stuttgarter Autos eben nur schnell, aber nicht sonderlich sicher waren.

Wer sich gut an den 30.9.2010 erinnern kann, meint wahrscheinlich an den Schlossgarten. Oder war selbst da und wurde von den politischen Wasserträgern der Wirtschaft  nassgemacht, verprügelt und – als ob das noch nicht gereicht hätte – danach verspottet und verhöhnt. Letzeres hauptsächlich unter Federführung des damaligen Innenministers Heribert Rech, Bahnchef Rüdiger Grube und des tragischen Verlierers Stefan Mappus – zuzüglich ihrer Claqueure. „Schwarzer Donnerstag“.

In meinem Geldbeutel – dort wo andere Bilder von Freund, Freundin, Katze oder Jack Black tragen – steckt ein kleiner Aufkleber. Ich habe den vor Ewigkeiten von Schlesingernolde geschenkt bekommen. Damit ich ihn nicht verliere, habe ich ihn da aufbewahrt. Aufgefallen ist mir das erst wieder, als einer neben mir an der Bar in meinen Geldbeutel schaute, den Bäbber sah und mit ernster Miene meinte „Du warst dabei, ne?“.

Für einen kurzen Moment fühlte ich mich heldenhaft, wie ein Veteran. Einer, der im Krieg war – für Gerechtigkeit, Kinder, Freiheit, die Liebe und all das Zeug gekämpft hat. So wie Amerikaner, die zu gerne von „Nam“ reden und doch Vietnam meinen. Dann musste ich lachen, weil es so lächerlich war. Denn ich war halt da. Zwar durchaus absichtlich, aber das war’s dann auch. Der Rest der hässlichen Geschichte wurde längst erzählt.

Ich war weder Teil einer Bewegung, noch einer Revolution. Ich war lediglich ein Teil derer, die dagegen waren und sich auch heute noch das Recht die Frechheit herausnehmen, noch immer dagegen zu sein. Ich halte das in diesem Falle wie der Joschka Fisacher Fischer vor einigen Jahren. Obwohl der von etwas ganz anderem, beziehungsweise sogar von einem Krieg redete. Aber unter meinem Strich steht: „I am not convinced“. Mein Englisch ist natürlich geiler. Davon bin ich überzeugt.

Obwohl ich noch immer jedes Gefühl, das ich an diesem Mittag im Park durchleben durfte, selbst beim bloßen Gedanken daran, wieder förmlich schmecken kann, bleibe ich dabei:  auf dem Tahrir-Platz in Kairo oder in der Opposition Weißrusslands setzt man sich täglich weit größerer Gefahr aus – meinetwegen auch wenn man in Edinburgh zur Barfrau sagt: „Komm Mädle, machsch mir ’nen Jack Daniels!“. Aber die meisten Dinge schmecken nunmal besser als Tränengas. Und ich rede da nicht von Rache.

Worauf ich raus will: da gibt’s nix zu glorifizieren und auch nichts zu verniedlichen. Auch aus Respekt vor denen, die damals verletzt wurden. Es gilt höchstens, endlich wirkliche Aufklärung zu leisten.

Aber ich sehe noch immer nicht ein, dass unter diesem Tag ein Strich gemacht wird, unter dem lediglich „Gewalt!“ steht. All die Menschen, die an diesem Tag im Park waren und auch jeder Einzelne, der am Tag darauf friedlich durch die Innenstadt gezogen sind – sie haben eines gezeigt und auch erreicht:

Sie haben erreicht, die Verzweiflung und gleichzeitig auch die Kaltblütigkeit von Mappus, der Bahn und Co. ans Tageslicht zu bringen. Die Wucht, mit der dieser Club Stuttgart 21 umsetzen will – komme, was da müsse. Oder andersrum. Es sagte mehr über dieses Bauprojekt als jeder entlarvende Artikel und jede Diskussion zuvor.

Alleine dafür hat es sich gelohnt, im Park gewesen zu sein. Auch dafür, dass Teile der CDU ihr wahres Gesicht gezeigt haben. Ich behaupte sogar, dass dies letzendlich dazu geführt hat, das die CDU nun bei der OB-Wahl keinen offiziellen Kandidaten stellt, beziehungsweise, dass ihr Trojaner Kandidat Sebastian Turner sich sehr laut und vehement als „parteilos“ ausgibt.

Ich werde den Aufkleber weiterhin bei mir tragen. So wie jedes Mal, wenn ich in einen Zug einsteige. Denn ich fahre Bahn. Sehr viel sogar. Und wie jeder andere Bahnreisende weiß ich: das Letzte, was der Bahn zum Fortschritt fehlt ist ein Tiefbahnhof.

Ich nutze jetzt den Bahnhof, den alten Sack. Bin raus.

Wer da ist: Gedenktag zum 30.9., ab 11 Uhr. Hier sind die Infos.

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8 Comments

  1. says: Sarah

    “ … Es sagte mehr über dieses Bauprojekt als jeder entlarvende Artikel und jede Diskussion zuvor … “

    Ich denke, dieser Satz trifft es ganz und gar. Denn ja, am Ende bauen sich wohl ein paar wenige, männliche Politiker ein Denkmal – und es bleibt bis heute die Frage, ob man(n) so viel Geld nicht für wichtigere Projekte ausgeben könnte, die mehr Menschen in diesem Land zu Gute kommen würden.

    Guter Text!

  2. says: akoe

    danke herr setzer. das ist aber wirklich bis auf den letzten buchstaben EXAKT das was ich dazu (auch) fühle und denke.was mir besonders gefällt ist das fehlen jedweden pathos! großartig geschrieben.

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