Besuch im Wasen-Zelt: Es gibt kein Bier auf Hawaii

Cannstatter Wasen. Der Ort, an dem sich die Generationen näher kommen. Ein älterer Herr legt fast beiläufig seiner sehr jungen Begleitung die Hand auf den Hintern, allerdings so wie Leute das tun, die nicht „Hintern“, sondern „Arsch“ denken.

Wir Jungs erkennen solche Momente. Der Kerl ist on fire, die wenigen Haare, die er hat, trägt er grau – Styler. Eine Frau mit blondgrauen Haaren und beängstigender Vorderauslage am Dirndl fragt mich auf dem Weg zur Toilette unverblümt, was ich denn bitte für einer sei. Als ob ich das wüsste.

Meine Cheffin Sabine sagt: „Benimm‘ Dich bitte, nicht dass ich Dich bei der Polizeiwache auslösen muss“. Dabei fände ich das sehr spannend. „Setzer, kannst gehen. Jemand hat Kaution für dich gestellt“. Aber ich sehe ein, dass das den Abend unnötig komplizieren würde.

Außerdem sollte man hier ganz andere Leute verhaften: Mungo Jerry zum Beispiel. Der steht auf der Bühne und hat außer „In The Summertime“ nur recht dürftiges Material anzubieten. Das hinderte einen Musikmanager aus Winnenden trotzdem nicht, sein Comeback als Sensation zu verkaufen, in der Rangordnung noch vor den Ramones in Originalbesetzung. Mungo Jerry und seine Statisten machen sich nicht einmal die Mühe, so zu tun als würden sie live spielen. Irgendjemand wird’s schon fressen.

Hunger hab ich keinen bei der offiziellen Wasen-Eröffnung. Bin zum ersten mal da und wollte eh schon immer mal sehen, wie unser Oberbürgermeister Wolfgang Schuster etwas mit Substanz macht. Einen Zapf in ein Bierfass zu kloppen, scheint mir da ein guter Anlass.

Die Tatsache, dass die Menschen hier schon Bier trinken, bevor er den Stunt macht, sollte ihm allerdings zu denken geben. Nachhaltig ist auch was anderes: Bei der Trinkerlaune im Zelt, ist das Fass in nullkommanix leer. So bleibt für Schuster wieder nur ein symbolischer Akt – wahrscheinlich wird er bald Bundespräsident.

Reden hält er auch wie einer: Er strapaziert Schwabenklischees, rechnet die Kosten für Stuttgart 21 in Freibier um und kalauert sich um den Verstand. Überboten wird er nur von Christoph Sonntag. Aber der ist da schließlich Profi.

Viele Leute klatschen, einige hauen sich die eigene Hand gegen die Stirn. Der Moderator vom SWR ist dagegen sehr witzig: Er nennt CDU Kreisvorsitzer Michael Föll, den Wasenbürgermeister. Das klingt wie Spaßminister, Joy Division.

Die nette Frau, die uns mit Getränken versorgt trägt eine Wäscheklammer am Revers auf der „Can D“ steht – „Candy“, sagt sie. Frauen, die so heißen, kenne ich nur aus Filmen, in denen Robert De Niro nie mitspielt. Und ich frage mich, wie ich wohl in Leder-Hot-Pants und Karohemd aussehen würde.

Stefan Mross prescht derweil durch die Reihen und singt ein ulkiges Lied. Ich dachte immer,  der würde nur eine heiße Trompete blasen. Er scheint doch Multiinstrumenatlist, fast so wie Prince. Die Kastelruther Spatzen (vielleicht auch Zillertaler Schürzenjäger, kurz nicht aufgepasst) rocken auch das Haus. Der SWR überträgt die Party trotzdem live und nebenan führt der VfB noch 1:0 gegen Hamburg.

Schnell ein alkoholfreies Bier bestellt, für den Fall dass Thorsten vorbeikommt. Gibt’s hier im astreinen Stigma-Krug. Der Aussenreporter hat sich schon entschuldigt, er schaut nebenan dem VfB zu. Karlsruher sollten das öfter tun, Leid sind sie eh gewohnt.

Bier macht beweglich. Ich lerne das auf dem Wasen, weil ich sonst kaum Bier trinke. Aber der Toilettenmann gibt mir die High Five, ich ihm schon wieder 50 Cent. Aber das ist gut angelegtes Kapital, denn es macht durchaus Spaß, sich auf der Wasentoilette umzuhören.

Zwei Typen unterhalten sich derart angeregt über die Geschlechtsteile von Frauen, mit denen sie nicht verheiratet sind, dass einer in der Kabine spontan und sehr laut kotzen muss. Kurze Analyse der Möpse-Taskforce: „Naus damit, wenn’s koi Miete zahlt“. Schockschwerenot, der Kerl evakuiert den Wohnblock. Mein Freund, der Toilettenmann singt.

Trotzdem: Wenn man das alles hier will, gibt’s wahrscheinlich keinen besseren Ort auf der Welt. Da ist Spaß drin. Klar, organisiert bis ins letzte Detail, aber lieber so als gar nicht. Die Rheinländer haben Karneval, wir hier im Süden wiesnwasen uns ein paar Tage im Jahr blitzsauber dem Wahnsinn entgegen.

Dirndl, Lederhosen, Karohemden – vollgepackt mit Leuten, die einem noch mit einem Auge zuzwinkern, Frauen die sehr viel Bier tragen können, Betrunkenen, Ausgelassenen, Sympathischen, ein paar Idioten, Grapschern, einigen Arschlöchern auch und hohen Tieren, die so tun, als ob sie mal vom Pferd gestiegen wären – bestens beschützt und eingerahmt von Zeltsecurities mit Nerven wie Drahtseilen, abgrundtief guter Stimmung und frivoler Partymusik weit unter dem kleinsten gemeinsamen Nenner. Äpfel und Birnen in einem Zelt, nur Zwangszyniker würden da Mathematik draus machen wollen.

Gelernt haben wir auch was: Auf den Bänken tanzen ist okay, auf dem Tisch ist’s verboten. Liegt wahrscheinlich an der Fallhöhe und daran, dass es sich mit drei Maß im Blut schlecht balancieren lässt. Zwei vergnügliche Kerle aus Esslingen Zell werfen uns Witze an den Kopf, wir nehmen die Flanken an. Doppelpass, Viererkette, die Null steht, wir sitzen. Auf der Bühne rennt derweil ein sehr großer Hase herum – wirklich. Nicht so wie bei „Donnie Darko“ aber trotzdem irre.

Dann wird’s wirklich irre: Ich glaube, Diego Armando Maradona sitzt ein paar Bänke weiter. Sabine sagt „Neeehh“, der freundliche Mann von den Stuttgarter Nachrichten, schaut mich kurz an als ob ich zu viel Bier getrunken hätte und ignoriert mich dann. „Dieegooohh“, sag ich nochmal mit Nachdruck und zeige unauffällig auffällig in seine Richtung. Keiner glaubt mir – beziehungsweise niemand beachtet mich. Das ist ein sehr großer Unterschied.

Ich bleib‘ dabei: Die Hand Gottes war da. Und die Hölle erkennt man daran, dass Bier in Literkrügen ausgeschenkt wird. Wir Metaller haben eine gefährliche Faszination für solche Orte.

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20 Comments

  1. says: Aussenreporter

    „Zwei Typen unterhalten sich derart angeregt über die Geschlechtsteile von Frauen, mit denen sie nicht verheiratet sind, dass einer in der Kabine spontan und sehr laut kotzen muss.“ Unfassbar lustig! Nächstes Mal gehen wir zusammen. Warst du noch lange im Transit? Musste irgendwann fliehen wegen Artikulationsschwierigkeiten im fortgeschrittenen Stadion äh Stadium.

  2. says: TG

    Ich warte schon seit Jahren auf den Metal-Abend in einem der Zelte. In Wacken und auf dem 70.000-Tonnen-Metal-Schiff schaffens die Metaller auch, in Massen zur selben Zeit am selben Ort zu sein und überteuertes Bier zu trinken – warum nicht auch auf dem Wasen? Würden sicher ne Menge kommen. Und die Musik wär einen ganzen Abend lang endlich mal gut. Setzer, wie wärs? Mach mal…

  3. says: kutmaster

    Spitzen Frontbericht, Herr Setzer. Im Transit haben wir uns dann wohl verpasst. Kam sehr spät mit noch viel grösseren Artikulationsschwierigkeiten vorbei, die allerdings dann auch bald wieder nach Hause wollten.

  4. says: s.cash

    …hahaha…wie ich’s feier! Das ist n grandioser Bericht!

    „Dirndl, Lederhosen, Karohemden – vollgepackt mit Leuten, die einem noch mit einem Auge zuzwinkern, Frauen die sehr viel Bier tragen können, Betrunkenen, Ausgelassenen, Sympathischen, ein paar Idioten, Grapschern, einigen Arschlöchern“

    Vielleicht sollt ich doch wirklich mal auf den Wasen gehen, um mir selbst n Bild zu machen.

    Viel schlimmer als Fußball kann’s ja kaum sein 😉

  5. says: Kollege Geiger

    „warum hast du so ein bescheuertes Hasenkostüm an?“ „warum hast du so ein bescheuertes Menschenkostüm an?“ Grossartiger Beitrag.

  6. says: franzi

    also ich hab den herrn setzer kurz vom transit gesehen, irgendwas an ihn hingeschwätzt, sehr wahrscheinlich auch mit artikulationsschwierigkeiten (kann mich nimmer so genau dran erinnern) 😉
    aber ich erinnere mich an einen schicken schwarzen blazer. extra für den wasen oder wie? 😀

  7. says: setzer

    Schatz, das war ein Anzug. Mit Weste. Casual-Friday, Lederhotpants hatte ich dem Aussi ausgeliehen. Wer hat uns allen am Freitag eigentlich die Artikulation geklaut?

  8. says: Dome

    So. Nachdem ich den Bericht gestern hoch und runter gefeiert hab war ich gestern auch aufm Wasen. Dinkelackerzelt. Diego war leider nicht da.
    Gestern war übrigens VVS-Tag –> Einzelfahrschein, 4er-Kärtchen oder Abo vorlegen, zack, Gratis-Maß! Dass lässt man sich als Schwabe nicht zweimal sagen. 😀 Ging übrigens beliebig oft. Geh ich nächstes Jahr wieder hin. Ansonsten alles wie im Beitrag. Prost!

  9. says: franzi

    uiuiui und das am casual friday…. dann hätt ich dich ja mal lieber im business outfit mit deinen lederhotpants gesehen 😉

    ich bin morgen mal auf dem wasn und i frei mi, des kann mit den lustigen mädels nur toll werden 😀

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