Wandern rund um die Nebelhöhle auf der Schwäbischen Alb

Sieht aus wie bei Harry Potter. Ist aber bei Sonnenbühl: Der Premiumwanderweg „HochGEHträumt“. Name von der Redaktion am liebsten geändert, weil was soll denn bitte hoch-geh-träumt sein? Wir kennen nur hochgebumst. Sonst war aber alles unglaublich schön und regenbogen auf der Vier-Stunden-Wanderung rund um die Nebelhöhle.

Schon allein die Anreise: In Pfullingen lockt ein Textileinzelhändler namens „Modenest“ die Fashionistas aus nah und fern. Und auch die Gemeinde Pfullingen lädt zum Verweilen ein: Alle oberirdischen Parkplätze sind gratis. So geht Konjunkturanschieben. Hier tut man was fürs Klima. Und wenn es nur das Konsumklima ist. Fridays for Future und Worldpeace for Pfullingen.

Vielleicht ja ein best practice Beispiel für den Stuttgarter Einzelhandel? Damit der sich nicht die ganze Zeit fragen muss, wer eigentlich schuld daran ist, dass die Straßen voll aber die Läden leer sind.

Und da sind sie wieder – die Jugendworte des Jahres 2020 oder zumindest meine Lieblingsvokabeln der letzten Wochen: „Kauflaune“ – wahrscheinlich das schönste aller Gefühle. „Kulturwasen“ und „Applaus App“. Und ich glaube jetzt dann auch „Modenest Textilhandel Pfullingen“. Von dem Google allerdings behauptet, es sei dauerhaft geschlossen. Da kamen die oberirdischen Gratisparkplätze wohl eine Spring/Summer-Season zu spät.

Also lassen wir sie links liegen und fahren weiter. Hochzus. Richtung Stuhlsteige. Wo die Sicht schlagartig miserabel wird. Hat da jemand die Tür zur Nebelhöhle offen gelassen? Nebelhöhle übrigens super Bandname, super Name für eine Shishabar – besser als Feinstaub.

Oben angekommen ist es dann zwar einen Jack-Wolfskin-Wendekittel kälter, aber zum Glück auch wieder aufgeklarter. Und der Premiumwanderweg ist wirklich Premium. Boden, Landschaft, Luft, Playmobilburg – alles vom Feinsten.

Ursprünglich wollte ich ja DJ Elbe fragen, ob er nicht mitkommen will. Der allerdings hat seit neuestem eine eigene Jägermeistermaschine und arbeitet dort oft noch in der Spätschicht daran. So, dass er am nächsten Tag verständlicherweise erschöpft ist.

Einen tiptopp Geheimtipp zum Wandern gibt er mir aber trotzdem mit auf den Weg: Das ZEIT-Magazin habe ein Special über Urlaub vor der Haustür.

Die Infoelite 4.0: Unsere Ausflugstipps kommen aus dem ZEIT-Magazin. Die Streamingtipps aus der NZZ. Die Rezepte aus der Süddeutschen. Und die Meinung aus dem Deutschlandfunk. Aber als Podcast. Das Outfit dazu stammt vom Globetrotter, oberste Etage, Abteilung Kletterseile – Geocaching – Bouldern. Unser olles Decathlon-Geraffel kann dann in die Verschenkekiste auf die Straße. Wandern ohne Ortovox ist eigentlich nur Spazierengehen.

Im Zeitmagazin liest sich der entsprechende Wandertipp dann so: „Wer fliegen will, ohne abzuheben, der wandert diesen Weg: Er führt in das Herz der Schwäbischen Alb...alle 50 Meter verändert der Weg seinen Charakter, mal steinig, mal weich, knorrige Buchen, Felsvorsprünge, Blumenwiesen.Wiesenhänge wie Meereswogen, keine Straße, kreisende Greifvögel„.

Auf Gehzeit-, Kilometer- und Höhenmeter-Angaben verzichtet das ZEIT-Magazin bewusst. Vermutlich, um seine Leser nicht zu unterfordern.

Was sie nicht geschrieben haben, ist, dass man NebelhöhleundBärenhöhle immer in einem Atemzug sagen muss. Und dann gibt es da in meiner Schulwandertagserinnerung noch eine dritte. Da konnte man mit dem Boot reinfahren. Aber war das Schwäbische Alb oder Augsburger Puppenkiste? Google sagt, es war Wimsener Höhle. „Wo der Fährmann die Besucher 70 m ins mystische Erdinnere entführt“. Also doch Puppenkiste!

Von einem echten Premiumwanderer bin ich leider noch eine Zipp-Off-Trekkinghose entfernt. Dieses sandfarbene Modell, das ungezippt viel zu lang, mittelgezippt viel zu Capri und ganz kurz viel zu viel Oberschenkel ist.

Mir fehlen auch ein Karohemd halbarm, alles von Vaude, der VW Touran und das Abstraktionsvermögen, was die Höhenmeter im Rotpunkt-Wanderführer nachher im richtigen Leben für den Auf- und Abstieg, die Puste und die Wade bedeuten.

Meistens schaue ich nur nach der Nettogehzeit und denk dann: ach komm. Die paar Stunden packste. Die Kilometerangabe teile ich dafür durch 7 wie früher Schilling. Weil: ich hab mal gelernt, eine große Bärenseerunde seien 7 Kilometer. So wie andere in Big Macs rechnen, rechne ich halt in Bärenseen. Und sehe gerade, dass das genau genommen 5,5 Kilometer sind.

Und dann gibt es für gute Wege noch die Formel: je weicher der Boden, desto mehr Bock hat der Hund. Der findet alles, was gepolstert ist, gut.

Nach ein paar dieser gepolsterten Kilometer kommt mir die erste Wandergruppe entgegen: Vater-Mutter-Sohn-Sohn. Und Papa Wandervogel fasst für alle Waldbewohner und für seine Familie den letzten Spieltag zusammen: „Sieben bis acht Hundertprozentige hän die Bayern in den erschten 45 Minuten g’hätt…“. DFDI und Danke für meine private Sportschau.

Halb aus Desinteresse, halb aus ganz persönlichem Boykott sind zur Zeit alle Fußballberichterstattungen bei mir stummgeschaltet oder ababonniert. Vertikalpass ausgenommen.

Der einzige Weg, auf dem mich Ergebnisse und Analysen erreichen, ist also der Hoch-geh-träumt Wanderweg. Hier zwischen knorrigen Buchen und Wiesenhängen wie Meereswogen ist der entgegenkommende Wandersmann meine schwache Verbindung in die Welt der Geisterspiele.

Zugegeben: zwischendurch hatte ich mal am Rande mitbekommen, dass Didavi eine rote Karte und eine neue Shishabar bekommen hat. Und dass Hoffenheim einen Trainer entlassen hat, von dem ich gar nicht wusste, dass sie ihn eingestellt haben. Aber mehr auch nicht. Gibt’s eigentlich Hertha BSC noch?

Egal. In Wandergruppe 2, die mir begegnet, referiert ein ziemlich senioriger Wanderfreund von einem ziemlich großen Smartphone-Display die aktuellen Coronaregeln. Warum er das mitten im Wald und in dieser Lautstärke tut, bleibt sein Geheimnis. Unsere Moderatoren werden ausgestattet von Schöffel.

Jetzt weiß ich also, wie die Bayern gespielt haben und wieviele Menschen auf einer Hochzeit tanzen dürfen. Premiumwanderweg heißt auch Premium-Content.

„Pack deinen Regenponcho aus, da hinten kommt’s ganz dunkel“

„Magst du Salami oder Schinken? Gurke oder Keks?“ Für solche Dialoge geht man solche Wege.

Gurke oder Keks? übrigens super Bandname, super Name für einen Podcast, bei dem wir spannende Menschen aus Stuttgart treffen und ihnen ein kleines Vesper einpacken, bevor wir sie ungefragt wieder wegschicken. Ist in der Mache.

Eine Bärenseerunde später treffe ich auf Premium-Menschen mit XXL-Rucksäcken, die aussehen, als ob sie Gleitschirme mit sich rumtragen. Aber sie sind vermutlich nur auf einer sehr langen Wanderung.

Ich stell mir das so vor: Am 23. März zusammen mit dem Lockdown ganz oben im Norden losgelaufen. In der Hoffnung, dem Virus davon zu wandern. Und Wochen später in Sonnenbühl angekommen. Jakobsweg like you mean it. Ist eigentlich noch Corona? Oder sind die Pandemie-Ferien vorbei? Next stop Pfullingen. Schau mal da unten – da kann man gratis oberirdisch parken…

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1 Comments

  1. says: Felix

    Beschter Artikel ever!
    „Rechne ich halt in Bärenseen“, ab da konnte ich schon nicht mehr…
    Danke!
    Danke!
    Danke!
    Kleiner Tip: Beim nächsten Besuch in der Wimsener Höhle, danach noch nen Abstecher zur Käserei am Loretto Ziegenhof gleich oberhalb machen: Kuchen-Brot-Käse-Naturidyll

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