Wahlsieger Landtagswahl Baden-Württemberg 2016: der „Geil“-Knopf

kessel_Wahl2016

Was ich im Internet gelernt habe: Ich, ich und ich – wir sind der bessere Bundestrainer, Stürmer, Torhüter, Journalist, Comedien, Arzt, Sänger, Politiker, DJ, Polizist, Banker, Ernährungsberater und, und, und, und. Ministerpräsident natürlich auch. Super Voraussetzung für Landtagswahlen.

Ich würd’s ja alles selbst machen und mich auch noch als Landesvater zur Verfügung stellen, bin derzeit allerdings sehr beschäftigt. Läuft halt yolo bei mir. Neulich war ich zum Beispiel total busy, bin aber trotzdem auf der Rolltreppe stehen geblieben. Qualitytime ist schließlich auch wichtig. Diese Landtagswahl macht mich trotzdem wahnsinnig.

Aber wenigstens das habe ich gelernt: Politik wird von Menschen gemacht. Es ist unwahrscheinlich, dass sie je besser als die Menschen werden könnte – zumindest wenn sich nur die am Stammtisch treffen, die alles besser wissen und sich gegenseitig nicht zuhören.

Der Wahlcheck bei StN/StZ und auch der Wahl-O-mat haben mich da keinen Groschen schlauer gemacht. Karten auf den Tisch: Ich soll Die Partei wählen. Das ist erstmal nichts Schlechtes, es sei denn, man möchte sich unbedingt Gedanken darüber machen, ob das eigene politische Bauchgefühl nun auch offiziell unter „Satire“ einsortiert wurde. Mehr ist das ja auch nicht, „Bauchgefühl“.

Gut: man legte mir ebenfalls Die Grünen und Die Linke ans Herz. Alles besser, als die nationalistische Dünnschisspartei. Insofern war zumindest das ein erster Wahlerfolg für mich. Realitätscheck, one. two, check, oh, yeah.

Aber ich beschwere mich nicht, bin ich doch mit der Tatsache vertraut, mich selten sofort entscheiden zu können. Neulich habe ich im Auto keine Musik gehört, weil ich nicht wusste, nach was mir eigentlich der Sinn steht.

Der krankhafte Optimist sagt: Das gute Leben zeigt sich durch Möglichkeiten erkenntlich. Der Realist sagt: Es passt ja nie so richtig. Wahrscheinlich wollte ich deshalb beim Wahl-O-mat-Dingens entweder mit „Ja, aber…“ oder „Nein, aber…“ antworten.

Also, wieder was gelernt: Die Grundidee jeder Wahl sind die Optionen. Der größte Irrglaube: Da wäre auch was Maßgeschneidertes für mich, mich und mich dabei.

Da fehlt so eine Art „Geil“-Knopf: drücken und dann wird alles vollautomatisiert spitze, riecht nach frisch geschnittenem Rasen, Gesundheit, Liebe, versautem Geschlechtsverkehr, den ersten vier Black Sabbath Alben, jeder Menge Asche für alle und natürlich Weltfrieden. Weltfrieden ist das „Reiten, Schwimmen, Lesen“ unter den Befindlichkeiten. Was soll daran bitte schlecht sein, so lange das Pferd lächelt?

Seit ich das erste Mal eine Wahlkabine betreten durfte, schiebe ich trotzdem drei Argumente vor mir her: „Die Wahl der Qual“, „Das kleinere Übel wählen“ oder „XY verhindern“. Eventuell liegt die Wahrheit tatsächlich irgendwo dazwischen, es sagt allerdings mehr über mich selbst, als über die eigentliche Qualität der Optionen aus.

Ansonsten läuft das mit den Wahlen so: Kreuz machen, sofort alle Verantwortung übergeben und dann mit Popcorn auf die Couch und „alles Idioten!!!“ brüllen – eventuell noch rüberzappen zum Tatort und die Restwut an den ermittelten Beamten abarbeiten.

Ich halte meine Standpunkte für derart wichtig und artikuliert, dass es mir schlichtweg unverständlich ist, wenn andere die nicht in vollem Umfang für mich umsetzen. Nichtmal das Abendprogramm der ARD. Armes Deutschland. Fuck You Til Schweiger, geh doch ins Kino, Du alte Scheiße. Wir wollen das alles nicht.

Die Sache mit dem „Wir“ funktioniert allerdings auch immer schlechter – „wir sollten mal…“ heißt ja meistens „Jemand sollte mal, bei mir ist grad schlecht: bin busy“ oder alles löst sich im Handumdrehen eh gleich wieder in Ich, Du, Du und Du, Ihr und die Anderen auf.

„Wir“ hat höchstens Bestand, wenn wir Weltmeister, Papst oder Exportmeister werden und halt nichts dafür tun mussten, außer dabei zuzuschauen. Oder wenn „wir“ jemanden nicht leiden können. Gruppen einigen sich wesentlich leichter auf ein Feind- als auf ein Idealbild. Das funktioniert komischerweise immer.

Ah, und dann noch das: „Alle Politiker lügen doch sowieso“. Wahrscheinlich stimmt das sogar ein bisschen, besonders vor Wahlen. Seit Wochen ist jeder Weg ein einziger Werbeblock. Aber ich glaube, Werbung lügt nicht zwingend, sie versucht eher das eigene Bauchgefühl zu Gunsten der Auftraggeber zu verdrehen. Hab’ ich spätestens gelernt, als ich eine Stretch-Jeans angezogen habe, die mich eigentlich hätte modern machen sollen – nicht dick und albern.

Ich meide auch Fernsehsender, die mich fragen, ob der Beckenbauer mit Vornamen a) Jochen, b) Stefanie oder c) Franz heißt, genauso meide ich Parteien, die sich nicht entblöden, ihrer Zielgruppe zu suggerieren, sie würden die Rundfunkgebühren („Zwangsgebühren!11einself!“) abschaffen. Mir sagt das nur, die halten mich für einen Idioten, wollen aber trotzdem etwas von mir, vermutlich meine geballte Kompetenz im Kugelstapeln.

Würde ich zum Beispiel die Werbung im Vorabendprogramm von ARD und ZDF für bare Münze nehmen, könnte ich gleich den Rest meiner Tage damit verbringen, inkontinent auf der Couch zu verwesen – Sodbrennen, Errektionsstörung, Durchfall und Hornhaut inklusive.

„Apotheken Umschau“ lesen und darauf hoffen, dass mir eventuell ein Passagierflugzeug auf den Kopf fällt bevor die Tagesschau beginnt. Der „ARD-Brennpunkt“ ist dann bei mir zu Hause – ganz nah am Bürger … und es brennt und es brennt und es brennt.

Der Wahlwerbeblock auf der Straße scheint mir zumindest ein Schnäppchen: da kostet alles nur ein Kreuz. Freundin sagt, sie würde nur die Partei wählen, die zu allem auch noch verbindlich ein Pony versprechen würde.

Und dann kommt wieder der krankhafte Optimist und fragt: „Wenn sowieso alle lügen, ist dann eigentlich alles wurscht?“

Ich so: „Nee, natürlich nicht.“ 

Läuft das schon wieder darauf raus, irgendwas oder -jemanden zu verhindern? Wahrscheinlich. Aber ich kann nichts Schlechtes daran erkennen, gegen den Rechtsruck einzustehen. Vor, während und nach der Wahl.  Das ist mein „Wir“.

Ich mach’ nochmal Wahl-O-Mat und proste von ganzem Herzen dem Reimi zu:

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