Rolltreppen

Um Höhen zu überwinden, benutze ich sehr gerne moderne Hilfsmittel, weil mir Treppen steigen prinzipiell zu wider ist. Ich fahre schon ab zwei Stockwerken Aufzug. Leute, die ab einem Stockwerk Aufzug fahren, schaue ich dagegen schräg an. Vielleicht ist es blanke Schwabenmentalität, wie z.B. im Falle des Büros – zahlt man ja immerhin mit den Nebenkosten, also muss man die Rakete auch nutzen. Und sowohl an S-Bahn Haltestellen als auch in Kaufhäusern entscheide ich mich prinzipiell für die Rolltreppe.

Mehr noch als bei einer Aufzugfahrt bleibt bei Benutzung der Rolltreppe die Zeit stehen, genauer gesagt, sie verlangsamt sich, dehnt sich aus zu ein paar Sekunden Rast. Die Rolltreppe ist einer der letzten Entschleuniger unserer Zeit.

Das beginnt schon beim Einfädeln am Fuße des zu überwindenden Anstiegs. Man ordnet sich ein, wartet brav auf sein Treppchen, rechts stehen, links gehen. Oben angekommen war es als kleines Kind eine der ersten Herausforderungen des Lebens das richtige Timing beim Absprung zu koordinieren. Das Ende naht, Aufregung pur – und jetzt! Nachdem es mich unzählige Male gebrettert hatte, war ich noch vor meinem 18. Geburtstag ein stilsicherer Rolltreppen-Benutzer.

In den letzten Monaten und gerade heute wieder ist mir wieder ein Phänomen aufgefallen: Ich bin an allen S- und U-Bahn-Höfen ein sportlicher Rolltreppen-Geher, nutze das Hilfsmittel quasi als Beschleuniger – keine Zeit, lasst mich durch, oh Alter, rechts stehen, links gehen, Mann! Und was willst du da jetzt mit deinem Kinderwagen?! – in Kaufhäusern aber wiederum ein gnadenloser Rolltreppen-Steher! Stabile Erleuchtung! Tröööt! Treppenleak des Tages!

Warum ist das so? Wenn man z.B. am HBF aus der S-Bahn steigt, in meinem Fall immer recht weit vorne, staut sich die Menschheit vor und auf dem Beförderungsband. Vielleicht habe ich einfach zu viel Stolz, um mich da einzugliedern (eine Art Rebellion?) und will gleichzeitig verdeutlichen: Seht her ihr faulen Eierköppe, ich bin fit, ich zieh an euch vorbei!

Sprich, das Überholmanöver als wahre Genugtuung. Die einen kennen es vom Hockenheimring, die anderen vom Bärensee, aber auf der Rolltreppe wird das Überholen zu einem wahren Triumphzug. Nirgendwo sonst lässt man innerhalb kürzester Zeit so viele Leute stehen. Vielleicht will ich aber auch einfach nur ein wenig Schwung holen, um anschließend möglichst schnell den Arnulf-Klett-Platz, bekanntlich der schönste Fleck auf Gottes weiter Erde, zu durchqueren.

Außerdem habe ich schon früh festgestellt, dass ich mich stehend auf einer vollgestopften Rolltreppe, eingepfercht zwischen schweigenden Menschen, außerordentlich unwohl fühle, auch ohne an jeglicher Form von Platzangst zu leiden.

Interessant auch, dass man zwar die Mitfahrer auf seiner Spur mit weggedrehten Kopf missachtet, aber die Gegengerade beim Hochrasen genauestens analysiert. (Missachtende) Blicke kreuzen sich für Bruchteile von Sekunden, man scannt sich. Ah guck an, ein Brathähnchen; da gleiten Halbstarke in Jogginghosen herunter; oh je, kauf dir mal ne neue Mufu-Jacke, du IT-Wurst; jaja, Stuttgart Button-City, schon klar. Ich bin mir sicher, dass man kaum woanders innerlich so viel abgelästert wie auf einer Rolltreppe.

Ganz anders im Kaufhaus. Ich ergattere mein silbernes Stüfchen und verteidige es bis oben. Nicht, dass ich oder wir Männer im Allgemeinen bekanntlich mit reichlich Shopping-Muse gesegnet wären. Und nicht, dass es im Stilwerk bzw. im Saturn so unendlich geil wäre, dass man da auf der Rolltreppe ausharren müsste und nicht hier auch noch ein paar Sekunden rausholen könnte, aber ich bleibe trotzdem hypnotisiert stehen.

Vielleicht weil man so sich besser eine Übersicht der Etagen machen kann, vielleicht weil – Verschwörung! – die Kaufhäuser irgendeinen Duft in die Luft jagen, der dich auf den Absätzen ganz glückselig stehen lässt. Oder vielleicht auch nur, weil man doch mal eine Runde Gemütlichkeit braucht, auf die ich zuvor an der Haltestelle verzichtet habe. Die Zeitbilanz bleibt so jedenfalls ausgeglichen. Vielleicht sollte ich permanent auf Treppe  umsteigen.

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36 Comments

  1. says: Basti

    Sehr geil, schon fast poetisch. Ich bevorzuge übrigens grundsätzlich die Treppe und wetze diese dann extra schnell hoch um die auf der Rolltreppe stehenden mit meinen Gedanken zu strafen “ Ihr denkt ihr spart Zeit, werdet Fett und ich bin trotzdem schneller“ 😉

  2. says: Thorsten W.

    Ich halt’s da meistens mit Basti – ich lauf die Treppe neben der Rolltreppe hoch und straf die faulen und dicken Leute auf der Rolltreppe mit meinen Blicken. Im Kaufhaus wiederum hat man ja meistens keine Wahl…

  3. says: Whiskydrinker

    Also ich lauf auch immer die Rolltreppen beim ÖPNV hoch. In Kaufhäusern fahr ich eigentlich immer mit dem Aufzug, weil es das Zeugs, dass ich brauche, irgendwie immer in den obersten Stockwerken ist.

    Es sei, denn die Rolltreppe hat eine spektakuläre Eigenheit, wie ihre Länge, Aussicht oder so. Da bleib ich dann auch in aller Ruhe stehen. Besonders fasziniert hat mich dabei übrigens die Fahrt in den Forum Shops im Caesars Palace in Las Vegas. Das ist eine Rollwendeltreppe.

    Noch mehr Spaß kann man übrigens auf den Laufbändern in Flughäfen haben. Aber das ist eine andere Geschichte.

  4. says: Ni Na

    großartiger text..
    ich habe bei mir noch keine regelung feststellen können denn ich mache irgendwie alles.. gehen, stehen oder treppen..
    allerdings werd ich ab jetzt bestimmt jedesmal drauf achten und mich nach dem grund fragen

  5. says: alx

    Endlich wieder was feines vom Onkel Martin.
    Rolltreppen sind auch was feines, manchmal hör ich auf den Takt, das Geräusch das erzeugt wird ist manchmal ganz schönr Rhytmisch. Das muss aber keiner verstehen.
    Die Rolltreppe an der alten Messe hatte eine nette Beschriftung, war schon lange nicht mehr da, ist ja auch keine Messe mehr.
    Bei den Laufbändern am Flughafen, werde ich wenn ich Zeit habe jedes mal zum Kind und es ist mir scheissegal wer zuschaut. Hammerspass 😉
    Was mir mal aufgefallen ist, manchmal scheint es mir als würden die die rechts stehen, die ich also immer schnell und weite hinter mir lasse, weil auch ich fit bin, so seltsam hinterher schauen. Ich kann das gar nicht einordnen. Es ist weder offener Hass, noch Sehnsucht. Es ist so…leer.Ich habe mich dann auch mal rechts hingestellt. Wahnsinn, in der Zeit könnte man Krebs heilen, so kommt einem das vor.

  6. says: cHiller

    …wenn sie einen vorbei lassen. Komischerweise versperren mir die Leute immer dann die geliebte Überholspur der Rolltreppe, wenn ich gerade runter zum S-Bahn Gleis eile um noch eine wartende Bahn erwischen zu wollen. Da stehen sie dann alle ganz gemütlich rum mit ihren Trollies, und unterhalten sich in großen Gruppen auf der Rolltreppe und rallen nicht dass hinter ihnen mehrere genervte Hetzer warten müssen.

  7. says: westernbasti

    ich hasse alle rolltreppenläufer. ich bin der, der grundsätzlich links STEHT, weil mir diese „ich muss jetzt 5 sekunden früher oben sein“ idioten auf den sack gehen. und als verfechter des gemeinwohls bin ich davon überzeugt, dass alle viel schneller und angenehmer rolltreppe fahren könnten, wenn man die kapazität nicht künstlich auf die hälfte kastrieren und einfach nebeneinander stehen würde, anstatt da ne überholspur zu installieren. wer laufen will, soll gleich die normale treppe nehmen. Entschleunigung FTW!

  8. says: Philthy

    geiler artikel!
    ist bei mir immer abhängig von der länge der rolltreppe.
    auf langen laufe ich hoch und auf kurzen bleibe ich stehen. besonders beim einkaufen wichtig, wenn einen die misses durchs kaufhaus zerrt, kann man sich bissel erholen 😉

  9. says: franzi

    @westernbasti: dann bist du so einer von den im weg stehern, über die ich mich immer voll aufregen muss! ist doch alles voll aufeinander abgestimmt: aus der s-bahn raus -> rolltreppe hochflitzen -> andere rolltreppe wieder runterflitzen -> und gerade noch die u-bahn erwischen. wenn einem jemand im weg rumsteht heißt des 15 min doof auf die nächste u-bahn warten!
    ganz schlimm sind ja auch die, welche direkt nach der rolltreppe stehen bleiben, weil sie nicht wissen, wo sie lang müssen! und sich dann noch beschweren, wenn man gegen die läuft 😉

  10. says: westernbasti

    @franzi:sorry 😉

    aber die zeit die du beim laufen reinholst, würdest du erst gar nicht verlieren weil es nach meiner vision keine staus mehr am anfang der rolltreppe gäbe… 🙂

    aber die leute die dnn oben stehen bleiben hasse ich auch. jetzt ist aber genug gehatet für heute.

  11. says: afro-dieter

    @Westernbasti: Haben in deiner Vision alle Hüte mit Alufolie an, oder!? …es gibt keinen Anfang der Rolltreppe, Du bist der Anfang! 😉

    Morgens ist bei mir der Rolltreppenmodus aufwärts abhängig von den Faktoren Zeitdruck, Motivation, Tagesform und Hygienischer Erscheinung des Vorderen.
    Aber tendenziell bin ich auch eher fürs Rolltreppen hochlaufen, gibt einem ein Feeling wie auf Sprungschuhen (oder kann man das jetzt nicht mehr bringen?)
    Abends immer schnellschnell Abwärts obwohl die Bahn eh immer Verspätung hat, spiel dann auch gern mal für so Westernbastis „WHAVSM“ (Wer mein Spiel erkennt, bekommt nen Kurzen!)

    Aber geil unwichtig sowie völlig spannendes Thema, i love!

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