Neulich bei Hitler: Der Lars Von Trier Film „Antichrist“

Müssen wir eigentlich über Lars von Trier reden? Wen? Lars von Trier. Dänischer Regisseur, für den einst beschlossen wurde, dass es im Kino bestmöglich dunkel sein sollte, damit niemand den vor Freude masturbierenden Feuilletonisten auf die Finger sehen muss.

„Also, jetzt reicht’s echt“, hörte ich vor ein paar Jahren eine Frau im Metropol Kino sagen. Ich habe nicht gesehen, wie sie aussah. Nur ihre Umrisse als sie sich mit zwei Freundinnen nach circa 60 Minuten des Von-Trier-Films „Antichrist“ lautstark echauffierte und aufstand. Auf der Leinwand ejakulierte Willem Dafoe gerade Blut. „Ja, echt. Ekelhaft. Frechheit. Sauerei“, pflichtete ihr eine ihrer Begleiterinnen bei. Dann wurde sie kleiner. Immer kleiner. Dann krachte es. Sie ist umgekippt. Wie dieser Sack Reis in China plumpste sie einfach um. „Reingefallen!“, wollte ich rufen. „Du bist auf Lars von Trier reingefallen, Säckin.“

Etwas Kunst, viel Unappetitliches, menschliche Abgründe, Opfer, ein paar steife Schwänze und ein nebulöser Bilderstrom, dessen Ordnung so vage war, dass man sich halt selbst etwas zusammenreimen musste. Und wenn’s künstlerisch doof läuft, dann bleibt da von „Antichrist“ unterm Strich halt nur ein Schwanz und etwas Blut übrig.

„Provokation“ nennen das dann Feuilletonisten. Von Trier lässt seine Zuschauer damit gerne alleine. Vergleichbar mit David Lynch, nach dessen Filme Leute auch nur selten sagen: „Was für ein selbstgerechter Mist“. Man könnte sich ja als Banause outen. Aber Lynch’s „Inland Empire“ ist selbstgerechter Mist.

Man möge mich bitte nicht falsch verstehen: Lars von Trier ist kein dahergelaufener Schmierfilmer und die Dogma95-Sache, der er einst vorstand, war eine sehr gute Idee, wie vieles aus seiner Feder. Aber jeder der sich eingehend mit dem Horror-, Psycho- und Splatter-Genre befasst hat, wurde bei „Antichrist“ höchstens durch die Mittelmäßiglkeit provoziert. Schockiert, verstört und so weiter – das haben Jörg Buttgereit, Michael Haneke, Takashi Miike und selbst Russ Meyer schon treffender hinbekommen.

Buttgereit beispielsweise ließ schon 1993 in „Schramm“ des Hauptdarstellers Schwanz an den Tisch nageln.  Großaufnahme. Nicht gut. Nicht schön. Aber krass. Und wer da Assoziationen, Meinungen, Theorien und Interpretionen lostreten will: der Kunstmarkt ist eröffnet. Davon lebt sie schließlich, die Kunst.

„Melancholia“, Von Triers neuer Film, braucht nun wieder etwas Reklame: Deshalb gab der Regisseur bei der Pressekonferenz der Filmfestspiele in Cannes wieder ordentlich Gas und sonderte mehr, ‚zeihung,  Scheiße ab als einer mit Dünnpfiff im Zeltlager. Der Feuilleton ist sich einig: „Enfant Terrible“, das ist Französisch, heißt aber leider nicht „Arschlochkind“ oder wenigstens „Vollidiot“.

„Enfant Terrible“ – so was sagen sie zu Leuten, denen sie sich nicht trauen, auf die Fresse zu hauen. Weil sie irgendwie okay, oft sogar sehr gut aber manchmal eben auch riesengroße Vollpfosten sind. Einer wie Pete Doherty zum Beispiel.

Hier Von Triers Bewerbung für den diesjährigen Kleinkunst-Award:

„Das einzige, was ich sagen kann, ist, dass ich für eine lange Zeit dachte,
ein Jude zu sein. Und ich war glücklich darüber. […] Aber es kam heraus,
dass ich kein Jude war. […] Ich wollte wirklich ein Jude sein. Und dann
fand ich heraus, dass ich in Wirklichkeit ein Nazi war, weil meine Familie
deutsch ist. […] Und das bereitete mir auch etwas Vergnügen.

Also, was kann ich sagen? Ich verstehe Hitler. Ich glaube, dass er ein paar
schlechte Dinge gemacht hat, klar, aber ich kann ihn mir in seinem Bunker
vorstellen, am Ende. Ich will sagen, dass ich den Mann zu verstehen glaube.
Er ist niemand, den wir einen guten Kerl nennen würden, aber ich weiß über
ihn Bescheid und ich sympathisiere mit ihm. […]

Ich bin nicht für den Zweiten Weltkrieg. Und ich bin nicht gegen Juden.
[…] Ich bin sehr für Juden – aber nicht zu sehr, weil Israel absolut
schrecklich ist. Wie komme ich aus dem Satz wieder heraus? […]

Ich will noch etwas über die Kunst sagen. Ich bin sehr für Speer, Albert
Speer habe ich sehr gemocht. Er war vielleicht auch eines von Gottes besten
Kindern. Er hat Talent. […] Okay, ich bin ein Nazi.“

Eine Provokation ist das nur für ausgemachte Idioten, beziehungsweise: Da muss man schon  Henryk M. Broder ranlassen, wenn man Polemik, Provokation und Stammtischgepöbel unbedingt als Olympia-Disziplin etablieren will.

Manchmal lese ich „Die Zeit“. Da stand jetzt ein toller Satz: „Wenn man sich schon wundern will, dann darüber, dass von Trier mittlerweile auch zur billigsten aller Provokationen greift, um Aufmerksamkeit zu heischen.“

Jetzt wurde Lars von Trier in wegen Hitler und so in Cannes zur unerwünschten Person erklärt. Bemerkenswert auch, dass keiner daran Anstoß nahm, dass von Trier auch verkündete, er wolle als nächstes einen Hardcore-Porno mit Kirsten Dunst drehen: „Ohne viel Dialoge, also so, wie es Frauen mögen.“ Da musste ich kurz grinsen. In der Hoffnung, dass es ebenso ein Schmetterball von der Stammtischkante war wie der Hitlerjudenspeer-Quatsch.

Aber eben genau das ist es, was Sinn machen würde: So muss Lars von Triers Oevre immer wieder als gute Ausrede herhalten für die Leute, die gerne ruppigen Sex und ein beschisssenes Frauenbild sehen wollen, sich aber nicht trauen, in der Videothek „Fick und Fotzi die lesbischen Nymphomaninnen-Stewardessen unterwegs im Bumsbomber nach Bangok“ auszuleihen.

„Du Depp“, sagt mein Stofftiger Tieschäh gerade. „Du bist auch auf Von Trier reingefallen. Du schreibst über ihn“. „Tiehschäh“, hab ich zu ihm gesagt. „Nein, ich will, dass der Mann sehr berühmt und auch finanziell erfolgreich wird. Dann hört er vielleicht auf mit den billigsten Tricks um Aufmerksamkeit zu buhlen.“ Selbst wir hier im Party- und Turnschuh-Blog wollen ihm helfen.

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27 Comments

  1. says: Marius

    Guter Artikel. Ich fand bemerkenswert, wie in jeder Nachrichtensendung und auch bei Spiegel, die Zitate aus dem Kontext gerissen wurden, so dass ich anfangs auch (einmal mehr) an von Triers Verstand gezweifelt habe. Letztendlich war das ein flappsiger Spruch für den man nicht unbedingt ans Kreuz genagelt werden muss.

    Zu Antichrist: Ich fand die perversen Szenen für den Film letztendlich überflüssig, da dieser durch die wirklich unglaublichen Bildarragements auch ohne die Goreszenen gut dagestanden wäre. Letztendlich haben mich Dogvile oder Manderley fast noch verstörter zurück gelassen. Auf der anderen Seite bringt so etwas eben Promo, was dazu führt, dass mehr Leute einen solchen Film sehen und das finde ich gut. Hinzu kommt, dass man ein Kunstwerk eben auch akzeptieren sollte wie der Künstler es präsentiert.

    Ich bin gespannt auf Melancholia!

  2. says: stegoe

    „Hitler“, „ Dünnpfiff“ & „Bumsbomber“ in einem Artikel… man darf wohl gespannt sein was solche Keywords für Suchanfragen anspülen 🙂

  3. says: do

    ich mag die nische die dank mr. setzer hier einzug gehalten hat.
    bitte immer weiter so, wirklich toll und auf den punkt geschrieben, wie eigentlich alles was bis jetzt von dir kam!

  4. says: gusteau

    Wobei Roman Pola?ski letztes Jahr von Cannes protegiert wurde, während von Trier rausgeschmissen wird. Jetzt kann man streiten was schlimmer ist Pädophile oder Nazis.
    P.S. Wann dreht entlich jemand einen Film über pädophile-Nazi-Zombies

  5. says: Thorsten W.

    Sehr guter Artikel! Ich hab die Tage auch die Verzweiflung des Feuilletons bemerkt… aah, schon blöd was er gesagt hat, aber er hat sich doch entschuldigt und so. Warum sagt nicht einfach einer wie’s ist: Wer solche Sprüche loslässt ist ein Volldepp, kein Provokateur.

    @Marius: „flappsiger Spruch“? Nein.

  6. says: Frau Doktor

    Supertext! Superanalyse, warum LvT-Filme Feuilleton-Pornos sind. Der Typ hätte beim Fernsehen bleiben sollen: Hospital der Geister fand ich großartig – spannend, gruselig, rührend und gleichzeitig eine tolle Genre-Weiterentwicklung. Ab dann nur noch Scheiß, mal abgesehen von Dancer in the Dark, den Björk und Cathèrine Deneuve retten. Von mir aus können sie den für Lebenszeit aus allen Kinos Stuttgarts verbannen.

  7. says: afrique

    Immer wieder erfrischend die genialen Texte von kessen.tv. Wer da noch sagt, in Stuttgart leben nur Mitarbeiter von Automobilkonzernen, Spießer und Langweiler, der tut Unrecht.

  8. says: max

    okay, das ist alles sehr dumm und scheiße mit dünnpfiff im zeltlager, schon wahr. und von triers menschenbild muss man nicht teilen, wenn er denn eins hat und seine filme nicht einfach nur von einer enttäuschten liebe erzählen und viel eher parabeln sind als geschichten. weiß ich nicht. es auf eigenwerbung für den neuen film zu verkürzen oder seine filme zu verbannen ist aber vielleicht nicht ganz richtig.

    die ganzen dämlichen journalisten, dämlichen jurys, das ganze dämliche getue auf diesen festivals kann einen doch auch: ankotzen. und wenn eine arbeit von monaten dann auf zwei sätze verkürzt werden muss, damit sie sich verkauft. auf so einem podium zu sitzen und den kunstclown zu geben ist vielleicht nicht immer nur spass. ich will den nicht verteidigen. er hätte nicht hingehen sollen. er hätte nix sagen oder sagen sollen ihr arschlöcher kotzt mich alle an. oder sich einen ansaufen und übers wetter reden.

    aber angenommen, die liebe des publikums erstickt ihn und die provokation ist fundamentales prinzip seiner filme, wie soll er sich der gunst der kritiker anders entziehen als durch die einzig wirklich unentschuldbare provokation? wie soll er wirksam bleiben und kraft behalten, außer indem er sagt: ich bin ein monster?

    übrigens leben in stuttgart NATÜRLICH AUSNAHMSLOS mitarbeiter von automobilkonzernen, spießer und langweiler, das war nie anders und wird immer so sein.

  9. says: setzer

    Huch. Nach deiner gutmenschlichen Therorie vom desillusionierten, unverstandenen und in die Rebellion getriebenen Künstler würde ihn das ja zu einem noch größeren Idioten machen.

  10. says: max

    ich weiß nicht wie groß seine idiotie ist. ich glaub das ist ein moralist. und leider sauer geworden. schön ist das nicht und meinetwegen nennt man das einen idioten. aber heißt das man muss sich mit seinen filmen nicht mehr auseinandersetzen? selbst wenn man sie zum kotzen findet?

  11. says: Thorsten W.

    Die Frage ist doch: warum wollen alle ihn verteidigen? Warum gibt es immer ein Aber? Warum sagt keiner dass der Typ ein Depp ist, ohne Einschränkung (bezogen auf die Sache)? Darf jeder, der mal nen schlechten Tag hatte, so nen Scheiß labern? Ups, da stand ja zufällig ein Mikrofon…

  12. says: Herr Cut

    Ich glaube das LvT so oder so nur was für NERDisten ist. Und wer ein NERDist ist will sich nicht im Kino eine Film nur des Zeitvertreibs ansehen sondern „den“ LvT Film. Er will das sehen was LvT darstellt. Provokation & Kunst!
    Sein Kommentar war Müll, definitiv ohne wenn und aber. Aber so ist halt Kunst. Zudem auf sowas warten doch die Leute. Skandale… Hier ist er.

  13. says: Marius

    @Thorsten: Flappsiger Spruch ist tatsächlich verharmlost. Er ist eindeutig über das Ziel hinausgeschossen, aber ich finde so wie sich das Gespräch entwickelt hat gibt das Zitat, aus dem Kontext gerissen, den Kern eben nicht wieder. Hinzu kommt, dass ein Däne nicht wie wir mit der ständigen Gewissheit der Kollektivschuld zu kämpfen hat. Das Theater das nun veranstaltet wurde ist völlig übertrieben.

  14. says: se

    ich finde man darf ruhig auch mal beim thema hitler sarkasmus walten lassen, ohne gleich an den marterpfahl der konsensgesellschaft gestellt zu werden. ich hab mich schon beim ersten satz „i really wanted to be a jew, but then i found out that i was really a nazi“ weggeschmissen vor lachen. ist, so far, mein lieblingssatz 2011.
    desweiteren sollte das glaube ich keine pr für den aktuellen film sein, der journalist wollte ein statement zu einem älteren interview, wo von trier angab, sich für die ästhetik der nazis zu interessieren. journalisten sind doch auch immer bloß auf ne schlagzeile aus.
    und wenn ihm die architektur der nazis wirklich gefällt, is das nur ne geschmacksfrage und meines erachtens erstmal nichts verwerfliches.
    über ästhetisches geschmacksempfinden lässt sich immer streiten.
    hätte von trier gesagt, er findet toll, was hitler den juden/behinderten/homosexuellen/… angetan hat, fände ich die moralkeule angebracht, aber so…

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