Mensch, Jahrestag!

Achtoll. 30. September. Der Tag, an dem Genscher auf den Balkon lief und sagte: „Wir sind heute zu zu Ihnen gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass heute Ihre Ausreise…“ und dann Jubel. Das war 1989.

Gestern war nur wieder ein Stau in der Stadt, plus reichlich miese Laune. Jubel habe ich keinen gehört. Wahrscheinlich auch weil keiner ausreisen konnte. Gottlob gibt’s noch den deutschen Problemlöser: Hupen, „Arschloch“ brüllen und später Tatort gucken.

Ich stand am Montag selbst mit dem Roller mittendrin und hab aus purer Langeweile einen Autofahrer angelächelt, der das auch gleich mit „Waaasss???!!!“ quittierte. Aber mit Helm auf dem Kopf, werde ich gerne mal frech und sagte: „!!1!!!1einself!!11!“. Das wird man ja wohl noch sagen dürfen.

Ja, ich muss auch manchmal grinsen, wenn montags Siebzehn Radfahrer von der Polizei eskortiert werden. Aber die Eskorte ist bitter nötig. Im Straßenverkehr ist schließlich alles möglich und frustrierte Autofahrer sind eine der größten Gefahren in unserem Land.

Stau wiederum ist nur okay, wenn er wegen einer Baustelle, einem Herbert Grönemeyer-Konzert oder einem Einkaufszentrum passiert. Stau aus anderen Gründen: aufs Maul. Ich glaube immer noch, dass ein Großteil der Stuttgart 21-Befürworter eigentlich nur die Gegner nicht leiden können.

Als ich das letzte Mal auf einer Montagsdemo war, habe ich die ganze Veranstaltung über mit Peter Reinhardt von der Röhre verquasselt. Auch weil auf der Bühne nur zu den bereits bekehrten gepredigt wurde und viele Zuhörer trotzdem immer „Buuhhh!“ brüllten, wenn die Redner eine Pause machten.

Einmal war ich dort und Joe Bauer hielt eine Rede. Sinngemäß sagte er, es würde hier doch längst nicht mehr um einen Bahnhof gehen, sondern darum, wie Immobilienspekulanten die Stadt unter sich aufteilen. Da habe ich geklatscht und „Ja!“ gesagt. Weil ich das darf, bleib ich auch nach mehrmaliger Überprüfung dabei: Ich halte Stuttgart 21 noch immer für eine Scheissidee. Ich will das alles nicht.

Ich fahre trotzdem mit der Bahncard 50. Denn manchmal ist das die einzige Möglichkeit, annähernd problemlos ausreisen zu können. Genscher hat ja nicht immer Zeit.

Wenn die Bahn sich irgendwann um ihr marodes Gleiswerk, den miserablen Kundenservice, das Netz oder die irrwitzige Preispolitik kümmern würde, wäre es vielleicht noch besser. Aber nichts sagt mehr über dieses Unternehmen aus als ihre Raucherzonen: Das ist ein Verein, der Krebs durch gelbe Striche vermeidet. Hätte man ja auch früher draufkommen können.

Tagesziel heute: Trocken bleiben. Nicht auf die Fresse bekommen.

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4 Comments

  1. says: Beraternase

    „Ich glaube immer noch, dass ein Großteil der Stuttgart 21-Befürworter eigentlich nur die Gegner nicht leiden können.“

    Der Satz hat viel Wahres…. Und bei einigen Reden bei den Montagsdemos kann ich das sogar verstehen. *Duckweg*

  2. says: kutmaster

    Ich stand am Sonntag wegen diesem Lederhosen- & Dirndlfest im Stau. Da ging zwischen Neckator und Esslingen nix mehr. Den Wasen in die Provinz mit Autobahnanschluss auslagern – Sinsheim oder so – wäre die Lösung so vieler Probleme… oder alles unter die Erde verlegen, mitsamt den Zufahrten. 😉

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