Lost in Translation oder wie ich einmal Model in Japan wurde

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Fünf Minuten vorher, und das ist jetzt kein Witz, sag ich noch zu meinem Kombl Thomas, als wir an der berühmten Kreuzung im Stadtteil Shibuya in Tokio stehen: Lustig wäre ja, wenn uns jetzt jemand hier wegen unserer Bärte casten würde.

Und dann spricht mich ein junger Japaner an. Nächste Woche ist eine Fashionshow und sie suchen noch Models, sagt er. Und zeigt mir auf Instagram Fotos von irgendeinem Italiener mit Bart.

Unversehens gebe ich ihm meine Kontaktdaten und Maße und er macht ein paar Fotos von mir, uns siehe da, eine halbe Stunde später wird Thomas an der gleichen Stelle von einer jungen Dame zum gleichen Thema rekrutiert.

Wirklich ernst nehmen wir das Ganze zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Wieviel gibt man darauf, was ein wildfremder Mensch in einer wildfremden Stadt auf der Straße in holprigem Englisch erzählt?

Entsprechend überrascht sind wir dann, als noch am selben Tag per E-Mail tatsächlich die Einladung zur „Audition“, also dem Casting kommt. Jetzt habe ich zumindest einen guten Blogeintrag in Aussicht, denn wie oft geht man schon zu einem echten Casting?

Viel weiter denke ich in dem Moment nicht. Ich bin 40, hab nen leidlichen Kessel und bin nicht mal besonders groß. Ernsthaft bei ner Modenschau mitlaufen? Come on.

Also gehen wir gut gelaunt am nächsten Tag zur „Audition“, und exakt mit Öffnen der Tür des schicken und für Tokioter Verhältnisse überraschend großzügigen Ateliers in der Nähe des Kaiserpalastes befinden wir uns im Rundum-Germanys-Next-Topmodel-RTL-Reportagen-Klischée.

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Wir setzen uns auf zu kleine Hocker zwischen große, dünne und junge Modeltypen und ältere, schräge, offensichtlich auch von der Straße gecastete Männer. Es gibt nichts zu trinken und unglaublich viele Leute laufen rum und tun geschäftig, auf Kleiderständern hängen sehr viele Klamotten. In der Mitte eines Tisches thront der Designer.

Der heißt Umit Benan. Natürlich haben wir zwischenzeitlich recherchiert. Dass das Ganze keine Amateurveranstaltung ist, haben wir spätestens dann gemerkt, als bei Google als erster Treffer eine Fotogalerie auf vogue.com von Benans letzter Modenschau erscheint.

Das Klischée geht weiter. Als ich dran bin, muss ich wie im Fernsehen vor dem Designer und seiner Entourage einmal hoch- und wieder runterlaufen, erst in meinen Klamotten, dann im Umit Benan-Outfit. Und der scheint angetan und fragt mich, ob ich in Tokio lebe (eine naheliegende Frage, wie sich später herausstellt).

Als ich verneine und auf die Frage, wo sie mich gefunden habe, wahrheitsgemäß antworte, in Shibuya auf der Straße, habe ich zum ersten Mal die Lacher auf meiner Seite. Als sich auch noch herausstellt, dass Benan tatsächlich in Stuttgart geboren (aber mit zwei Jahren weggezogen) ist, liegen wir uns alle in den Armen. Also fast.

Dann noch schnell ein Foto von mir mit Outfit gemacht, „Wir melden uns“, Danke, Tschüss.

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Bis zu diesem Zeitpunkt ist alles noch eine sehr witzige Urlaubs-Anekdote, wir waren bei nem Casting in Tokio, haha. Doch zwei Tage später bekomme ich tatsächlich eine Mail: „You passed the Audition“. Ok. Also jetzt ernst oder wie?

Thomas bekommt leider eine Absage, aber Kombl wie er ist erklärt er sich dennoch bereit, unsere Reisepläne so zu ändern, dass ich bei der Show mitlaufen kann. Bei der Show mitlaufen. Ich. Alter.

Also nach einem DJ-Gig in Yokohama doch nicht weiter ins Landesinnere, sondern zurück nach Tokio, da ich zwei Tage vor der Show noch zum „Fitting“, also Outfit-Anprobe, in die gleiche Location muss. Diesmal gibt es sogar was zu trinken und Snacks, ich bin der einzige ältere Typ und zum Glück relativ schnell fertig.

Zwischenzeitlich habe ich mich weiter schlau gemacht, die neue Kollektion von Umit Benan heißt „Los Bastardos“ und wird als Abschluss-Show im Rahmen der Amazon Toyko Fahsionweek gezeigt. Irgendwie hört sich das ziemlich ernst an.

An einem freundlichen Dienstag ist es dann so weit und ich werde schon um 16 Uhr in ein riesiges Luxus-Shoppingcenter in Shibuya zitiert.

Zunächst nimmt sich mir der Chef-Makeup-Artist an und besprüht mein Gesicht und meinen nackten Oberkörper mit künstlichem Schweiß. Aber nur eine Hälfte, weil er ist der Chef – er zeigt wie’s geht, den Rest darf eine Assistentin machen.

Nach einer viertel Stunde sitze ich oben ohne in einer Garderobe, werde von sechs Japanern und Japanerinnen angegrinst und bekomme auf meinen fragenden Blick „so sexy, so sexy“ zurück. Skurriler wird es wahrscheinlich in diesem Leben nicht mehr.

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Nach und nach trudeln auch meine anderen Model-„Kollegen“ ein, und während wir zum warten von einem Raum in den nächsten geschickt werden, stellt sich heraus, dass das Konzept bei „Los Bastardos“ nicht wie von mir angenommen ist, Typen mit Bart wie mich von der Straße zu casten. Sondern, dass ich das einzige verdammte Nicht-Model bin.

Dennoch ist die Zusammenstellung überaus interessant: Wohl nicht unüblich für Japan ist kein einziges japanisches Model dabei. Zumindest niemand, der wie ein Japaner aussieht. Dennoch sind fast die Hälfte der 20 Typen Japaner, die aber nicht so aussehen – sondern dunkelhäutig, blond, aber japanisch sprechend und offensichtlich hier lebend.

Dann gibt es noch ein paar wenige professionelle Models („I walked the Calvin Klein Show last week“, „I’m here for a few weeks for modeling“). Der Rest ist sehr international und eher halb-professionell.

Ein Italiener mit japanischer Frau, der in Tokio lebt, nicht mehr wie ein Model aussieht als ich, aber Vollzeit als ein solches arbeitet und davon seine Familie ernährt. In Tokio gibt es sechs bis sieben Männer mit Bart, da trifft man immer die gleichen bei den Castings, erklärt er mir.

Dann noch ein großer Schwarzer aus Detroit, der ebenfalls mit Familie in Tokio lebt und nebenher noch in einer Bar jobbt. Zwei Skater, einer aus Schweden und einer aus Australien, die von einem Skatespot zum nächsten reisen und das mit gelegentlichen Modeljobs finanzieren.

Und der junge Skater auf Durchreise, Typ Latino uns späterer Star der Show: „I’m from Seattle, where MC Hammer is from, you know.“ – „Äh, and Grunge?“ – „What?“. Okay.

Irgendwann sitze ich mit 19 anderen Typen in einem Raum, alle oben ohne, die Hälfte noch keine 20. Und komme mir vor wie beim Dreh zu „Kids“.

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Endlich geht es ein Stockwerk tiefer, wo unsere Klamotten hängen und für jeden eine Anziehhilfe wartet. Outfits an, Probedurchlauf, oha, die haben den ganzen „Catwalk“ mit Sand ausgelegt und mit Kakteen dekoriert. Wüste, künstlicher Schweiß, Los Bastarods, jetzt macht es Sinn.

Bis zu diesem Zeitpunkt hat mir niemand gesagt oder erklärt, wie ich überhaupt laufen soll. Wie läuft ein männliches Model? Schnell, langsam? Lässig, dynamisch? Macht man am Ende des Laufstegs so eine Model-Pose?

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Die Kollegen sind auch keine große Hilfe, die meisten arbeiten überwiegend als Fotomodel und sind selber noch nie eine Modenschau gelaufen. Aber beim Probedurchlauf haben weder der Designer noch jemand aus der vielköpfigen Entourage viel zu meckern, dann noch paar Fotos gemacht und zurück in den Wartebereich.

Dann wird es ernst, und die ganze Aktion mit Streetcasting, Audition, Fitting, Styling und fünf Stunden warten gipfelt darin, dass ich ein mal den Laufsteg hoch und wieder runter laufe und dann noch mal in der Gruppe hoch und wieder runter.

Nach geschätzten sechs Minuten ist der Spuk vorbei, und was ich angesichts der Scheinwerfer zum Glück nicht gesehen habe: Im Publikum sitzen stolze 800 Leute, die mich angeglotzt haben.

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Backstage große Freude und Abklatschen, alle gratulieren dem Designer, umziehen, Geld abholen (ja, es ist bezahlt, und da die Umschläge keine Namen haben gehe ich davon aus, dass ich gleich viel wie die Profis bekomme), und dann raus zu den Fans. Spässle.

Im Vorraum wartet schon Thomas, der die Show anschauen durfte und natürlich alles ausführlich dokumentiert hat, noch schnell ein Selfie mit dem Designer und das war’s.

Und das Fazit? Der verrückte Höhepunkt einer verrückten Reise in einem verrückten Land, den Modezirkus mal „hautnah“ erlebt und die Feststellung, dass die Leute alle echt nett sind, ich aus logistischen Gründen aber meine Modelkarriere in Japan erst mal nicht weiter vorantreiben werde.

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Wer’s vielleicht trotzdem nicht glaubt und noch mehr Bilder und Videos sehen will: Einfach nach #umitbenan bei Instagram suchen

Nachtrag: Hammer Fund von Thomas Geyer – meine Story als Song.

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