Lokalpresse und Gebäck

Ich war gestern bei der Social Media Night im Mercedes-Benz Museum. Das ist ungefähr so lustig wie ein Auftritt von Mario Barth, nur dass mehr Witze über Werber als über Frauen gemacht werden.

Kurz vorneweg, wer nicht weiß was Social Media ist: Dabei handelt es sich um ein so genanntes Internet-Phänomen, das vorwiegend auf den Plattformen myspace, Kiezkollegen und Knuddels.de stattfindet.

Ich war schon beim ersten, vom Stuttgarter Social Media Club (ja, das gibt es) veranstalteten Abend, über den Jana damals berichtet hat, hab dann zwei, drei ausgelassen und war gestern vor allem da, weil auch Kollege Geiger nebst Freundin und natürlich unsere Cannes-Reisegruppe am Start waren. Als ich ankomme sitzen Geiger und Frau schon in der dritten Reihe, und ich muss lange überlegen, ob ich mich daneben setze oder nicht doch einen Stehplatz nahe des Ausgangs wähle. Verstehen die beiden nicht – noch nicht.

Links und rechts ist schon die Twitter-Wall aktiv, auf der alle Tweets projeziert werden, die zum Hashtag des Abends (#smcst) abgefeuert werden. Das war schon beim letzten Mal lustig und ist auch heute der amüsanteste Teil. Weil wozu soll so eine Twitter-Wall gut sein, wenn nicht zum Dissen des Refrenten, der sich nicht wehren kann, weil er ja davor steht und nicht sieht was über ihn gelästert wird?

Der langweilige Teil des Publikums twittert allerdings so spannende Sachen wie Bin bei der Social Media Night #smcst, Komme gleich #smcst, Komme gleich, es regnet #smcst, Wurde beim Einchecken mit Namen begrüßt, yipiiiiieh #smcst, @knuddelbärchi heute müssen wir uns aber mal in RL kennenlernen, wink mal *grins* #smcst, interessanter Vortrag #smcst

Beim Einchecken hat übrigens jeder zwei Oldschool-Bons bekommen (die Papier-Abreißdinger von der Rolle), einen für ein „Getränk“ und einen für ein „Gebäck“. Es gibt aber nur Butterbrezeln, wir sind ja schließlich in Baden-Württembeg, und Geiger erntet mit seinem Tweet Brezel ist streng genommen kein Gebäck #smcst seinen ersten Lacher.

Dann geht’s los. Der erste Vortragende vom Literatur-Café möchte etwas über WordPress erzählen und entschuldigt sich erst mal, dass er nichts über Kultur erzählen wird. Ist ihm glaube ich bisschen peinlich. Das Thema ist an sich interessant, und bei der Umfrage, wer denn WordPress benutzt, muss ich Geiger sagen, dass er strecken soll. Doch als der Redner behauptet, WordPress wäre als CMS für so gut wie jede Website geeignet und eine Grafik zeigt, die behauptet, WordPress würde bei 50% aller Websites weltweit als CMS eingesetzt, werde ich etwas stutzig.

Ich bin aber höflich und bashe dezent an die Wall: #smcst WP für fast jede Website als CMS geeignet? Glaube ich nicht wirklich… Interessant wäre eine CMS-Statistik nur für Corporate Sites. Ein anderer Gast hat eine niedrigere Hemmschwelle: #smcst WordPress als CMS zu bezeichnen ist lachhaft. Es ist ne Blogsoftware. CMS ist was anderes. Sprecher isz plamlos 🙁.

Muss ich natürlich gleich retweeten, und nach dem Vortrag kommt der zweite Lästerer tatsächlich noch per Mikrofon zu Wort und zerreißt sachlich fundiert in zwei Sätzen die Aussage des Redners in der Luft. Ich breche spontan in Beifall aus. Als einziger. Alle sofort auf mich ungläubig gerichteten Blicke ignoriere ich mit einem bewusst wissenden Blick. Pah, die haben doch alle keine Ahnung.

Dann wird’s endlich spannend, unsere fröhliche Reisegruppe aus Cannes ist vollständig angetreten und verspricht spannende Einblicke vom wichtigsten Werber-Stammtisch der Welt. Unser Freund Lukas-Pierre Bessis eröffnet die Runde und gibt gleich mal zu, dass es stimmt, dass sich die Jungs einfach ihren Trip nach Cannes vom Land Ba-Wü bezahlen lassen wollten. Aber das machten Industrieunternehmen schließlich auch. Und sie hätten ja gearbeitet vor Ort.

Als Beweis stellt er drei „Cases“ vor, also Social Media Kampagnen, die in Cannes ausgezeichnet wurden. Das macht er gut, er ist halt der geborene Entertainer, und ich weiß nicht, wieso ihn noch niemand als Nachfolger von Thomas Gottschalk bei „Wetten Dass…“ vorgeschlagen hat. Allerdings findet man die drei Cases auch bei YouTube, was ich natürlich gleich twittern muss. Die Veranstalter reagieren verschnupft und twittern gleich zurück Wie fast alles, aber nicht so fundiert erklärt wie hier (sinngemäß – der Tweet ist irgendwie weg). Hätte nicht gedacht, dass der Abend soo gut wird.

Dann kommt mein persönlicher Höhepunkt des Abends. Zwei andere Teilnehmer der Reisegruppe wollen beweisen, dass in Cannes wirklich gearbeitet wurde. Sie haben nämlich einen Blog aufgesetzt, eine Facebook-Seite und getwittert. Daraus haben sie zwei wichtige „Learnings“ mitgenommen, wie sie selber sagen: Ein Blog braucht Leser. Und ein Blog bedeutet Arbeit. Beides hatten sie irgendwie unterschätzt. Hm, wie soll ich sagen… nee, ich sag’s nicht.

Auf jeden Fall haben sie es hingekriegt und erzählen stolz, dass sogar die lokale Presse berichtet hat. Und zeigen einen Screenshot von meinem Bericht auf Kessel.TV! Yeah! Ich muss mich stark zurückhalten, nicht jubelnd vom Stuhl aufzuspringen (einmal den Affen machen pro Abend reicht), Geiger hat Tränen in den Augen und Lukas kommt extra hergelaufen, um mir auf die Schulter zu klopfen.

Trotz aller Emotionen schaffe ich es noch zu twittern. #smcst @kesseltv yeah, wir waren auf der Leinwand und wurden „Lokale Presse“ genannt #win Ram liest zu Hause mit, die gute Nachricht kann ich ihm nicht vorenthalten. Aber wie es so im Leben ist, die Neider lauern an jeder Ecke. Prompt kommt eine Twitter-Antwort: Lokale Presse? Turnschuh-Blog! #smcst #kesseltv. Pah!

Dann zeigen noch Kameramann Pasel und ein Musiker weitere Cases, deren Zweck sich nicht immer gleich erschließt, und eine lustige Fragerunde beginnt. Und ein älterer Herr mit Glatze packt gleich die ganz große Keule aus, erklärt, dass er Werber nicht mag und dass Werbung ein schlechtes Produkt doch auch nicht besser mache.

Wie gut, dass Lukas für diesen Zweck wie aus der Pistole geschossen eine Parade am Start hat: Als er seine Frau kennengelernt habe, habe er ihr ja auch nicht erzählt, dass er Blähungen hat. Geheiratet hat sie ihn trotzdem, und jetzt furzt er wie wild. Also sinngemäß. Alle Lacher natürlich auf seiner Seite, zu Recht. Die weiblichen Zuschauer überschlagen sich bei Twitter mit Lobhuldigungen für den gelungenen Vortrag von Herrn Bessis, nur Heiratsanträge sind keine dabei. Ich guck aber zur Sicherheit noch mal nach.

Dann ist der Spuk vorbei, und Geiger und ich sind froh, weil wir haben noch unsere Gutscheine für Getränk und Gebäck, die wir beim anschließenden Get-Together-Networken oben an der Bar verprassen wollen. Dort muss ich natürlich gleich mal Lukas aufziehen und frage ihn, was der Trip denn nun gekostet hat. Er versteht den Witz nicht und erklärt mir dezidiert seine Reisekostenabrechnung.

Der Rest des Abends ist dann aber noch wirklich nett, die Gesprächsthemen gehen von Butterbrezeln über Sascha Lobo bis brennenden Automuseen, und am Schluss, als wir uns alle weinend in den Armen liegen, bieten mir Pasel und Lukas tatsächlich an, mich nächstes Jahr der Cannes-Reisegruppe anzuschließen. Das wäre überaus praktisch, weil mit mir hätten sie schon einen DJ, einen Blog und Leser mit dabei. Ich überleg mir das wirklich, muss nur noch bei Ram Urlaub beantragen.

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12 Comments

  1. says: Thorsten W.

    Wikipedia sagt: „Als Gebäck werden in der Alltagssprache Backwaren aus Teig bezeichnet, die auf einem Backblech oder in einer Form im Ofen gebacken werden oder in Fett ausgebacken werden. Bäcker bezeichnen diese Gebäcke als Feingebäck im Unterschied zum so genannten Kleingebäck aus Brotteig wie Brötchen oder Croissants. In Österreich bezeichnet „Gebäck“ alle Backwaren, also auch Brötchen, Brot etc. In Deutschland bezeichnet Gebäck im engeren Begriff oft eher kleine Teigstücke.“

  2. says: dozy

    „WordPress würde bei 50% aller Websites weltweit als CMS eingesetzt“
    JONGER – geht mir immer das Messer in der Tasche auf wenn Medien-Fritzen meinen sie hätten Informatik studiert weil sie jetzt ihr WordPress oder Typo3 bedienen können. Wenn der Typ zerfetzt wurde dann zurecht!

  3. meine Erwartungshaltung beim Überreichen des „Gebäck-Gutscheins“ ging schon eher in Richtung Dänischer Plunder, Amerikaner oder wenigstens Butter-S. Außerdem haben wir im Mercedes-Museum die Gebäckaufbewahrung vermisst. Aber sonst war’s gut.

  4. says: Markus

    Hey… ich hab Euch nicht einfach nur lokale Presse, sondern „Stuttgarts Lieblingsblog“ genannt… und das seh ich auch so! Der zwischenzeilige Zynismus ist sicher nicht völlig unberechtigt… aber das wir uns über Euren Bericht gefreut haben, darf man uns ja nicht vorhalten, oder?

    Markus / COSMOTO

  5. says: Günter

    Ich war gestern auch dort, bin aber beim ersten Vortrag nach der Hälfte ausgestiegen, den ich weiß was man mit WordPress machen kann und was nicht.
    Definitiv darf man WordPress nicht CMS nennen wenn Typo03 und Co. eines ist, das ist klar. Einfach nicht vergleichbar.

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