Abschied vom Fluxus in der Calwer Passage Stuttgart

Wehmut incoming. Fühlsch wie ich denk‘, des isch halt des. Und des ist ein leicht trauriger Espresso. Einer der letzten vielleicht, wahrscheinlich, höchstwahrscheinlich. Morgens um 08:00 Uhr, Ende Juni 2018.

Die Siebträgermaschine tut Siebträgermaschinen-Dinge. Währenddessen erzählt mir der Tatti-Barmann und Türsteher Aziz von diesem ganz fantastischen Metal-Konzert der Band Meshuggah, das er kürzlich besucht hat. Wenn man genau hinhören würde und das ganze Geschrei und Geschrabbel ausblendet, so meinte er, merke man den Jazz-Einfluss in dieser Combo. Ich hab‘s im Büro versucht. Ganz kurz. Ich probiere es nochmals. Schwör. Ich finde und fühle den Jazz-Einfluss.

Anfang November 2014, wir saßen bis zur Fluxus-Eröffnung, tatsächlich, jeden Mittag an der Suite212. Ja, den Burger King auf der Theo gibt’s schon wieder so lange, man kann es kaum glauben, dass es im November 2014 noch die Suite212 im Game war.

Am Montag nach der Fluxus-Eröffnung bin ich mittags in die Calwerpassage rübergelaufen, um mir dieses brandneue Konstrukt, entwickelt und geplant von Hannes Steim und rund 20 Mitstreitern, zunächst geplant für drei Monate, bei Tag anzuschauen. Gucken, ob da was geht und was da so geht.

Schon von weitem sah ich meine beiden Mittagspausen-Sitzbrüder, strong am Glas, hart am Kaffeebecher wie eh und je: Reimi The Beast und Pierre The Paradise. Es kam zu folgender – zumindest für mich – legendären Konversation, ein Nullpunkt im Mittagspausen-Spiel.

Ich: „Sitzen wir es jetzt hier?“
Pierre: „Sieht so aus.“
Reimi: „Wir sitzen jetzt hier.“

Also saßen wir von da an hier. Also dort. Am Bohème. Und am Tatti. Fast jeden Tag.

Juni 2018: Draußen hinsetzen, front row wie Anna W., alles im Blickfeld, das ist sehr wichtig am und im Tatti. Beobachten. Walter Ercolino hat das Tatti-Life für uns einst zusammengefasst.

Kinder in einer typischen Kinderausflug-Lemming-Formation drehen ihre Einflussrunde und werden anschließend vom S-Bahn Eingang verschluckt. Ein Hund, ein attraktiver Hund, soweit ich das hundelos beurteilen kann, schaut der Gang hinterher.

Vielleicht weint er, der Hund, ich kann’s nicht sehen, vielleicht weil er weiß: In gut einem Monat wird dies wieder eine der wenigen Emotions an der Stadtmitte sein. Menschen werden von der S-Bahn-Haltestelle ausgespuckt und eingesaugt. Ein immer gleicher Boomerang. Rauf, runter. Abwesend. Die S-Bahn kriegend.

Zumindest für die nächsten Jahre. Man muss ja kein Prophet sein um zu wissen, wenn am geographischen Mittelpunkt Stuttgarts zwei, drei Jahre lang Baustelle ist, dann ist hier am Platz erst einmal over mit Life. Auch wenn noch der eine oder andere zurückbleibt, mit Zugängen zur Calwerstraße, es wird schwer. Baustelle vorm/am Laden, schwer. Immer schwer.

Und was kommt dann? Man möge den Fluxus-Spirit wieder aufnehmen, ließen im September 2017 die Bauherren verlauten. „Diese Flächen sollen angelehnt an das heutige Projekt FLUXUS, das bis Mitte 2018 verlängert wurde, auch in Zukunft dem inhabergeführten, kleinteiligen Einzelhandel Chancen in bester Innenstadtlage bieten.“

(Visualisierungen Ferdinand Piëch Holding GmbH) 

Die Renderings sehen zumindest ähnlich aus. Erstaunlich sehr ähnlich. Liegt freilich daran, dass ein Teil erhalten werden muss (das Halbzylinderdach), dieser Denkmalschutz, du kennst ihn. Manche kennen ihn ja nicht so genau in dieser Stadt. Manchmal dummerweise genau die Leute, die etwas entscheiden können.

Die Entwürfe und die Aussagen der Eigentümer und Neubauer wirken jedenfalls so, als wolle man dem Volk Herzen-gewinnend zurufen: „Wir haben verstanden!“ (RIP Guido).

Endlich verstanden, dass grobschlächtige, tetrisklotzige Einkaufszentren nicht alles sind, was diese Stadt ganz dringend (nicht) braucht, von denen ironischerweise parallel mit dem Fluxux gleich zwei im Herbst 2014 in Stuttgart gelandet sind, sondern dass Konsumgastroleben auch anders gehen kann als global genormte Einkaufstraßenwelt inklusive Food Court.

Beziehungsweise, anders gesagt, dass es auch eine gewisse Klientel gibt, die das bitte schön ganz gerne etwas anderes präsentiert hätte und vor allem: nicht ganz so plump. Und für den großen Rest reicht das immense (Shopping) Angebot der Stadt sowieso nicht für ein Leben. Oder zwei.

So war und ist das Fluxus der schönste Keil, den man im Herbst 2014 zwischen Stadtmitte und HBF treiben konnte, dieser lokale Einzelhandel-Dream plus Café-Bars, die mit einem Food Court so viel gemeinsam haben wie der Ghetto Netto mit einem Alnatura.

Wie auch immer: Gut, wenn das jetzt tatsächlich mal jemand verstehen sollte. Ich glaube das aber erst, wenn ich die Zukunft echtgerendert sehe und werfe solange eine Blubb-Waffel ins Phrasenschwein.

Und wenn das dann wirklich gedeihen sollte, so wie das Fluxus gediehen ist, eines der größten innerstädtischen Wunder der letzten 20, 30 Jahre, das sich nun in die Stuttgarter Tote-Ecken-wiederbelebt-Charts für alle Ewigkeit ganz weit oben einreiht.

Es grüßt im Himmel z.B. das Radio Barth-Gebäude und der Marienplatz, der Bismarckplatz, das Jäger-Kriegsberg-Areal und die Tübingertraße lächeln hansimglücklich hoch.

(Fluxus Crew, Foto Benedikt Banovic)

Es ist ja immer dieselbe Geschichte: Einst war es tot und der Mensch kommt erst, wenn er ein neues Angebot vorfindet. Und irgendwann hat der Mensch sich, das finde ich immer noch total verrückt, sogar auf dem Marienplatzbeton ausgebreitet (weil nebenan Angebot ist).

An dieser Stelle muss nochmals Setzer großer Bonmot im Stadtentwicklungskontext ausgerollt werden: „Da sind jetzt Menschen und das ist erst einmal gut.“ Über Details reden wir später. Oder vielleicht gar nicht.

Wie man zu jeder einzelnen Ecke, zu jedem Platz, zu jedem Projekt, zu jedem Laden subjektiv steht, wie man das (im einzelnen) inhaltlich findet und vielleicht gerade an diesem Punkt das obligatorisch-berühmte „früher war’s besser“ nach dem Drop einsetzt: Diese Stadt hatte dank unzähligen fähigen Protagonisten, klugen Köpfen, kreativen Initiatoren, Anpackern, Zupackern und vor allem gut konditionierten Durchhaltern, schon immer die unbändige Kraft, sich weiterzuentwickeln. Und das wird immer so sein.

Auch wenn man es in Momenten wie diesen, wenn so etwas Außergewöhnliches verschwindet, nicht wahr haben will. Und dass auf diesem mitunter steinigen Weg manche resignieren, aufgeben, der Stadt (entnervt) den Rücken kehren, ist wiederum ebenso absolut verständlich.

Und ja, für irgendjemanden fehlt immer (noch) was. Immer. Auch das wird sich nie ändern.

(Foto Maks Richter) 

Die Veränderungen kommen so oder so: Was sind die zukünftigen Neusteiger in den Tote-Ecken-Hi-Life-Charts?

Das Tatti zieht zum Rathaus zwischen Eich- und Nadlerstraße und schlägt (vielleicht, hoffentlich) eine Brücke zwischen Hans im Glück, dem neuem Areal Eichstraße, der Hirschstraße und hoch zum Joseph-Oppenheimer-Platz mit dem Consafos, das seit über anderthalb eisenhart durchhält, weil eben Baustelle, und sie mögen dafür eines Tages richtig belohnt werden – da ist jedenfalls jetzt schon mehr Dynamik drin also noch im ersten Jahr.

Und wie Geiger einst sagte: Der JP-Platz ist nicht schlecht. Wie auch der Platz (wie heißt der eigentlich?) vorm neuen Tatti, ich sehe dort sehr viele Menschen stehen, aber auch für diese Aussage reicht es definitiv nicht zum Propheten.

Eventuell spannt sich der Bogen weiter rüber bis zur Stiftstraße/Fruchtkasten, das ganze Haus wird aktuell noch saniert, unten kommt Gastro rein aus der Breitengrad-Ecke, drüber Kreativ-Wirtschaft und Co.

Unter der Pauline bewegt sich was, die Stadtlücken-Crew ist hier seit einiger Zeit aktiv (neue Website online). Am Wilhelmsplatz ist noch Potential, genauso wie in der Eberhardstraße, Schwabenzentrum, rings ums White Noise und Co. In dieser Ecke lässt jetzt der eine oder andere Fluxus-Laden nieder.

Am Fluxus selbst hängt ein großer Banner, der die beiden Abschiedswochenenden ankündigt. Darauf ist ein Auge zu sehen. Es drückt eine Träne raus. Das lachende Auge aus der Phrase „mit einem lachenden und einem weinenden Auge blablaba“ hat gerade frei. Logisch.

Auch wenn das Auge aktuell weint, und das tut es zurecht, weil man es sich in diesem Moment einfach nicht mehr ohne vorstellen kann gerade wenn man an dieses intensive Leben denkt, dass an einem Sommerabend im Fluxus herrscht, es wird bald wieder viel gelacht. Irgendwo anders. Das ist Gesetz in dieser Stadt. Selbst dann, wenn man nicht daran glaubt.

„Kaffee schwarz für dich?“ Logo, Black wie meine Sets, Black wie Setzers Kleiderschrank.

Irgendwann haben wir am Fluxus angefangen, Freitagmittags (oder auch schon mittwochs) einen Shot in den Espresso zu kippen. Das schiebt. Das brauch ich jetzt.

Fluxus Closing Sommerfest; Samstag, 30.06., all over 

Baustellenabrissparty mit verschiedenen Floors in den ausgeräumten Läden am 14.7. – bis dahin bleiben das Cape Collins, Holzapfel, Herr Kächele Maultaschen & mehr, das Tatti und Zum Wilden Affen geöffnet 

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