Ausflug nach Trochtelfingen: Für jedes -ingen einen Schnaps

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Burladingen. Oder: jedes Dorf hat das Maskottchen, das es verdient.

Fragt nicht! Für Freizeitaktivitäten im Grünen musste ich am neulich nach Trochtelf***n. Klingt wie No sleep ’til Pfullendorf reloaded.

Denn nach Trochtelfingen müssen ist hart. Aber ohne Navi nach Trochtelfingen müssen, ist die Härte. Weil mein tragbares Navigations-Endgerät, nachdem es mit Hotte Kalifornien durchquert hat, zu der Zeit mit den Elbes die Giro d’Italia fährt.

Also notier ich mir die Route eben vorab analog: ’Reutlingen – Eningen – Pfullingen – Engstingen – Trochtelfingen’. Den Aufschrieb kommentiert Hotte hämisch mit „Jedes –ingen einen Schnaps.“

Der hat leicht reden. Erstens schnapst er ja nicht. Und zweitens ist er zeitgleich in Berlin. Wo die Orte auf -reptow, -pandau oder -oabit enden. Das Wohlklang-Fernduell gewinnt er jedenfalls nicht.

Im Duell #2 versucht mich ein Panamera auf der B27 von der Überholspur zu jagen. Hab mal gelesen, Autos besäßen ein Überhol-Image. Wenn man in den Rückspiegel guckt, wie aggressiv muss dann die Front gestaltet sein, damit der Vordermann freiwillig die Spur räumt.

Ein Panamera im Rückspiegel ist ziemlich aggro und sagt erstmal Achtung! Ich! Reich! Fett! Weg! Andererseits sagt nichts so sehr ‚Aus der Bahn’ wie ein BMW.

In Reutlingen selbst war natürlich auch Kommunalwahl. Hatte ich verdrängt. Die lokale Straßenplakatierung wirbt für Parteien, die glaube ich außerhalb von Reutlingen verboten sind: WIR fordert „mehr Lebensqualität in Reutlingen“. Die FWV dagegen fordert einfach nur Mehr Reutlingen. So ganz generell. Eine Partei namens ADAC fordert mehr Motocross. Und eine weitere namens Ü40 lädt zum fröhlichen Restebumsen in eine Turnhalle.

Die weiteren Veranstaltungshinweise für die Region:

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Reutlingen, du Perle an der………äh………Reut? Hier, wo Stadt in Land übergeht, verändern sich auch die Freizeitangebote. ’Mach mit bei der Jugendfeuerwehr.’ Why eigentlich not?

Langsam aber sicher verschiebt sich auch das Verhältnis von Personenkraftwagen zu Landmaschinen. Hier kann’sch n Pick-up halt bringen. Falls du eine Kuh aus der Echaz ziehen musst.

Die Firma Stuttgarter Hofbräu umgarnt derweil die Eingeborenen mit einem Plakat, auf dem 2 Brodymodels (Kategorie adface) im Schlossplatz-Springbrunnen rumtollen. „Für’s Leben gern ein Stuttgarter“. Gut, dass muss man sich als Reutlinger erstmal trauen, das zuzugeben. Weiß nur nicht, wie sich das mit „Für’s Leben gern ein Zwiefaltener“ verträgt – aber okay.

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Wir verlassen Reutlingen und fahren Richtung Pfullingen. Mal sehen, ob das eine Verbesserung ist. Fest steht, dass ich inzwischen der einzige mit einer einstelligen Buchstaben-Kombination vor dem TÜV-Stempel bin. Und wenn ich mir manche Sportausführung so anschaue, dann bin ich wohl auch einer der wenigen mit einem TÜV-Stempel hinter den ersten Buchstaben.

Vielleicht hab ich mich verguckt, aber ich meine, ein Schild gesehen zu haben, dass zu zwei Albaufstiegen informiert, ob sie befahrbar oder geschlossen sind. Ein Hauch von Splügenpass-Feeling macht sich breit. Und ich ohne Schneeketten, Ende Mai, auweia.

Doch schön ist es schon. Hinter Pfullingen wird die Natur bildhübsch. Biosphären-Gebiet. Und das zu Recht. Da bekommt man Lust auf Wandern, Auswandern und Zwiefaltener Klosterbräu.

An einem sonnendurchfluteten Tag wie diesem ist das nur leider auch die Lieblingsstrecke pensionierter Architekten auf zwei Rädern. Harley im Herzen, aber Honda unterm Hintern. Stichwort: wenn das Angesparte nur zum Softchopper reicht.

Der verrückte Trend Graffiti ist inzwischen auch hier oben angekommen:

„Vatertags-Jause am Skilift steht da,

„Ich liebe Dich, Elli“ und

„Fickt euch alle“

So fangen Heimatfilme an.

Dazu droht das Riedelberg-Quartett, an Himmelfahrt aufzutreten, das Gasthaus Ochsen offeriert Fremdenzimmer und die Linde eine Gartenwirtschaft. Hier ist die Welt noch wie sie ist. Ich hab ein Haus, ein Äffchen und ein Pferd…

Einen Ort weiter hat man die Qual der Wahl zwischen Olgahöhle, Nebelhöhle, Bärenhöhle,  Nebenhöhle und Party-Stimmung-Tanz-Höhle.

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Am Straßenrand lädt außerdem das Albgold-Kundencenter ein. Zu Nudel-Outlet, Nudel-World, World of Nudels. Und wahrscheinlich zu begehbare Spätzlepresse.

Zwischenfrage: wenn hier auf der Straße vor Ölspur gewarnt wird, dann ist schon Rapsöl oder Schweinefett gemeint, oder? Frage 2 – die meistgestellte: was macht man hier eigentlich den ganzen Tag? Ich würde sagen: Wintersport.

Trochtelfingen 10 km. Ich mag mich wiederholen, aber hier oben ist es sauschön. Jetzt führt auch noch eine Bahnstrecke auf einem wildromantischen Kiesbett durch’s Bild.…Auf de schwäb’sche Eisebahne – Wollt emol a Bäuerle fahre – Geht an d’Kass‘ und lupft de Hut: „E Billettle send so gut!“ Und jetzt alle…

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Home is where the Trochtel is.

Sie haben Ihr Ziel erreicht, denke ich mir die Navi-Stimme ’Anke’. Naja fast. Ich würde gerne jemanden fragen, wie es weiter geht, aber hier ist niemand. Wo sind die denn alle? Antwort siehe oben: Wintersport wahrscheinlich.

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Ach guck, hier sitzen die.

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Und die Strassennamensgebung muss man nicht verstehen. Oder muss man?

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13 Comments

  1. says: Flo

    Der Ödenwaldstettener hat wenigstens was zu erzählen. Bei „Friedrichshain, Simon-Dach-Str.“ erübrigen sich ja sämtliche möglichen Nachfragen.

  2. says: Jogi

    „Und eine weitere namens Ü40 lädt zum fröhlichen Restebumsen in eine Turnhalle.“

    Warte, Pursche! Auch Du wirst älter! 🙂

  3. says: Diks

    Nun ja, fast alles südlich nördlich östlich westlich von München sieht ähnlich aus. Allgäu sowieso. Schon ganz hartes Brot dort leben zu müssen. Ok. Hab noch Schwarzwald vergessen 🙂

  4. says: Whiskydrinker

    Das Alb-Gold Outlet und sein Nudelrestaurant sind sehr zu empfehlen, falls du mal wieder in der Nähe bist. Ebenso das Albquell-Bier aus besagtem Trochtelfingen.

  5. says: Kollege Geiger

    Bist schon der zweite mit dem guten Tipp. Hatte mich deshalb auch arg auf Albquell und seinen Biergarten am Bach gefreut. Und dann – sonntags Ruhetag.

  6. says: Matthias

    Lieber kein Finger, als nen Trochtelfinger. Oder so.
    Solange du dich net im Trödler verirrt hast, erkennt man im übrigen an den Traktoren aufem Parkplatz vor der Discothek.

  7. says: Peter

    @Diks: Die müssen dort nicht leben. Wenn es ihnen nicht gefällt, dann ziehen sie einfach in die Stadt. Aber die meisten wollen dort leben, weils eben auch Vorteile hat.
    Bin selbst im Allgäu aufgewachsen und wohn jetzt in Stuttgart. Früher hab ich nur die Nachteile vom Landleben gesehen, heut seh ichs anders, wohn aber trotzdem in der Stadt 🙂
    Hat beides Vor- und Nachteile und ist natürlich auch Ansichtssache.

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