Ein bisschen Madonna. Und ganz viel Liebe: Helene Fischer im Neckarstadion

(Halb Holi-Festival, halb Hochrisikospiel. Was aussieht wie VfB gegen KSC, ist in Wirklichkeit KTV gegen den Rest der Welt)

„Immer noch kurz, aber mit seitlichem Wellenpony. Die Strähnen des Scheitels gehen bis unter das rechte Ohr“, so hat die Stuttgarter Zeitung das Gastspiel von Helene Fischer am letzten Sonntag in der Mercedes-Benz-Arena unter der Überschrift „Schlagerqueen mit Trendfrisur“ rezensiert.

Ganz so musikalisch fundiert würde unser Bericht nicht ausfallen. Denn im kessel.tv Chatroom klang die Kritik wesentlich differenzierter:

– Wie war’s bei Helene Fischer?

– Gut.

Keine Pointe.

Mit dem Highlight Helene ging am Sonntag eine vollgepackte, antizyklische Konzertwoche für mich zu Ende. Alle waren bei Jamiroquai, ich lieber bei Jamie Cullum und vor allem Joss Stone.

Und statt wie so viele ins 3D-Kino von Kraftwerk zu gehen, um den Systemadministratoren beim Checken der Mails zuzuschauen, bin ich lieber zu Lenny Kravitz gegangen. (Unterdessen war übrigens niemand bei den Toten Hosen – weil niemand mehr Punk ist. Schon gar nicht die Toten Hosen.)

Und als dann am Sonntag halb Stuttgart bei Fanta4 war, hab ich lieber DJ Elbe an der Hand genommen und wir sind zusammen zu Helene Fischers letztem Konzert ihrer großen Stadiontour gestiefelt. Auf der Suche nach einer Antwort auf die Frage warum.

Für mich war klar – die U11 wird eine fahrende Schublade voller Helene Fischer Fans sein mit sehr markanten Eigenschaften: Camel Active Schuhe, Knirps Schirm, Freitag Täschle, Barmer Ersatz, orthopädische Einlagen, Park & Ride mit dem Opel Vectra.

Aber DJ Elbe widersprach und meinte: da siehst du viel Flanking und Nike Air. Und er sollte verdammt recht behalten.

Helene kriegt sie alle. Denn Helene ist Event. In einer Welt voller Hochseilgärten und City Slide Rutschen. Heute DTM, morgen DFB, Sonntagabend Spürst-Du-es 2018 Stadiontour.

Tatsächlich treffen wir zwei Bekannte von DJ Elbe und betreiben Feldforschung. Ja, sie sind heute hier, weil sie beim Zappen bei einer ARD-Doku über Helene Fischer hängengeblieben sind, und das gut fanden. Aber in Wahrheit sind sie hier, „weil’s Leben schön ist – und es immer was zu feiern gibt.“

„Seid Ihr also auch ironisch hier?“ Sind sie nicht. Sie lieben Konzerte. Jay-Z, Jan Delay, Cro und heute ebene Helene.

„Genau wie ich es erwartet habe“ sagt Zukunftsforscher DJ Elbe. Oder: Neulich Fluxus-Closing, vorvorgestern Jamiroquai, gestern Marienplatzfest, heute Helene Fischer. Das bestätige seine Theorie: der Mainstream ist im Mainstream angekommen. Alle gehen zu Allem. Hauptsache Event.

Auf der Pressetribüne setzen wir unsere Zielgruppenbefragung  fort. (Musiccircus – von Herzen thanks for having us. Das war wirklich nett.) Wir kommen mit den Tischnachbarn ins Gespräch, denn auf der Pressetribüne gibt es Tische. Und Ethernet. Allerdings kein Internet. Wir hätten gerne getickert.

„Wir sind von der Freizeit Revue,“ stellt sich das junge Pärchen vor.

„Ja hallo, wir sind von Kessel tv.“  

„Ist das nicht dieses Medien Portal. Ach nee. Das heisst ja kress report.“

„Ja, so ähnlich. Wir sind kessel.tv aus Stuttgart.“

„Aus Stuttgart? Da seid ihr ja nicht weit gekommen“.  

Wie recht sie hat, die kleine Yellowpressgöre. Die gerne alles hört, was so läuft und zu vielem geht, was so auf  Tournee kommt:

„Ich war auf m Southside. Ich mag Country. Ich mag Materia. Live war der gut. Ich kann nur Rap ausschließen. Sonst alles.“ 

„Ich hör nur Hip Hop und Techno“ kontert DJ Elbe. 

„Dann müsstest du ja eigentlich jetzt bei Fanta4 sein.“

Falsch. Den besseren Deutschen Schlager gibts ja heute bei Helene. 

„Und was erwartest du so?“ fragen wir den Yellowpressboyfriend Bloggerlöcher in den Bauch.

„Alles und nichts.“

Komm, schlag ein, genau wie wir. 

„Live ist ja alles gut heutzutage. Wenn’s gut gemacht ist.“

Nee, schlag wieder aus. Stimmt nicht ganz. Queens of the Stone Age zum Beispiel, oder die blöden Smashing Pumpkins, die sind auch live wahrscheinlich so kacke wie auf Platte. 

Meanwhile unten, dort, wo normalerweise Ron-Robert Zieler arbeitet: Bühnenwischen für den perfekten Auftritt. Auf den größten Leinwänden, die ich jemals gesehen habe, läuft Werbung für DJ Ötzi, Andreas Gabalier, Mathias Reim, Media Markt und Julia Engelmann. 

Dann ein bombastisch gefilmtes Intro. Und dann geht sie los, die große Helene Fischer Show. Präsentiert von Deutsche Vermögensberatung und VW. 

„Hoffentlich spielt sie was vom 1. Album“ nicken wir uns zu. Und dann steht sie da. Von der Hydraulik und 43.000 Zuschauern nach oben gepumpt. Unsere Helene, unerreichbares Mädchen von nebenan. Sie singt toll, sie tanzt toll, sie freut sich doll und sie ist top in shape. Bodygoals und überhauptgoals. Sexybiene Helene. Das Becken der Nation. Gewährt uns verstohlene Blicke auf Körper und Seele.

„Sag mal hörst du mich? Sag mal siehst du mich? Sag mal spürst du mich?“ Ja, all of the above. Ich stehe unter einem leichten allergischen Schock. Weil sich eben so gar keine Schlager-Unverträglichkeit einstellen will. Das da unten ist erschreckend gut. Aber das da unten ist auch nicht mehr Schlager 1.0.

„Ihr Lieben. Willkommen zu einer super Party. Heute Abend werden wir die Bühne rocken.“ Rocken ist ein verdammt großes Wort – und es wird wahrscheinlich nicht mehr lange dauern, bis die Deutsche Vermögensberatung Ihre Sparfonds rockt.

Ihr Lieben – das hat Dave Grohl damals nicht zu uns gesagt. Der nannte seine Zuschauer Motherf**kers. Ging aber auch zu Herzen.

Mehrere Menschen mit viel Tagesfreizeit zum Basteln haben Schilder gemalt, die sie in die Höhe halten. Zeichenkarton + Edding ist gleich Liebe. Die Kameras projizieren die Botschaften dankbar bis in die letzte 90-Euro-Reihe.

„Wir spüren es“ steht auf einem Plakat. „Helene, du bist zu unserer Hochzeit eingeladen“ auf einem anderen. Beides vollkommen ironiefrei. Das ist weder Fernsehgarten noch Schlagermove. Das ist eine perfekt durch choreographierte Pop-Show. („Der sich das alles ausgedacht hat, muss was drauf haben.“)

Würde sie englisch singen, könnte man es kaum von den ganz großen internationalen Konzertereignissen unterscheiden. Ein bisschen Madonna, ein bisschen Britney.

Beim nächsten Mal male ich mir dann auch ein Schild: „Ich find’s gar nicht so schlimm.“ Mein Fuss ist längst außer Kontrolle und wippt.

Meine beste Freundin Helene hat das dort unten mitbekommen: „Stuttgart, ich liebe euch jetzt schon dafür. Lasst euch einfach fallen. Wir werden es auch tun.“ Ich ertappe DJ Elbe beim Mitklatschen. Synchron auf die Eins mit 43.000 anderen Helene Fischer Fans: „Ich fühl es einfach.“ 

Dann wird es ein bisschen zu Karneval in Cannstatt für meinen Geschmack: Helene Fischer fährt auf der zur Mini-Bühne umgebauten Pritsche des neuen VW Amarok durch die Arena.

Der neue VW Amarok –selbst unter extremen Bedingungen bietet er hohen Premiumfahrkomfort. Grund dafür ist die perfekte Fahrwerks-und Antriebsabstimmung – kombiniert mit dem bewährten Allradantrieb 4MOTION – bringt sie ganz nah zu ihren Fans. Einmal in die Untertürkheimer Kurve, zur EnBW Tribüne und zurück. So geht Wiederaufstiegsfeier.

Und so geht Sponsor in Show einbinden. Und Marketing unter die Musik mischen. Helene Placement in einer der letzten großen Familien-Unterhaltungsshows. Übel nehmen kann und will man ihr nichts davon. Dafür bekommt man zuviel Liebe für sein Geld.

Und für Liebe reicht eben doch nicht der Ticker. Oder die ARD-Aufzeichnung. Das muss man mal erlebt haben. Wie einen Abstieg oder ein echtes Rock’n’Roll Konzert.

Und morgen früh küss ich dich wach. Davor aber noch Hey-o, Ale-Aleo. Helene Fischer bringt ein bisschen Ethno, singt ein bisschen Conga und lässt mich vergessen, dass ich mal in Gloria Estefan verknallt war.

Alles singt, nichts muss. Eine emotionale Druckbefüllung für die Massen. Und ein paar Takte Rockin‘ all over the world. Dann fängt es plötzlich an zu regnen. Allerdings nur rein meteorologisch. Den Menschen ist es egal, sie strahlen weiter. Ponchos raus, Glück rein.

„Das stehen wir zusammen durch, den Regen,“ ruft Helene. Und nicht nur den. Denn im Herzen haben wir die Sonne.

Und dann geht die Neue Post richtig ab: Verdammt ich lieb dich. Rhythm is a Dancer. What is love. I like to  move it (Da freute sich DJ Elbe, dass ein gewisser Erick Morillo bei einem Helene Fischer-Konzi auch noch ein paar Cent verdient. Ich hatte keine Ahnung, wen er meinte). Musikalisch ist Helene Fischer dann am besten, wenn sie nicht Helene Fischer ist. „Es ist jetzt offiziell Zeit zum Durchdrehen“ ruft ihr Quoten-Rapper auf der Bühne. Ach, so spät schon?

Die Zeit fliegt. Und irgendwann ist Schluss mit Herzbeben und Konfetti und es ist wieder U11 und real life. Özil tritt auf Twitter nach und zurück und die Welt ist plötzlich nicht mehr von hier bis unendlich. Schade eigentlich. 

Für 2,5 Stunden hat man da drin in der Wohlfühlschüssel Daimlerstadion nichts von der bösen Welt da draußen mitbekommen. Und das lag nicht nur an der katastrophalen Netzabdeckung. Das lag vor allem an Helene Fischer.

50.000 + zwei Fans gehen happy nach Hause. Die meisten, um vielleicht noch ein bisschen lineares TV zu schauen. Denn wie sagte eine ausnahmsweise mal betagtere Dame in der U11 nach dem Konzert: „Schon imposant. Aber im Fernseher hat man mehr davon.“

Ja, vielleicht, weil man keinen Poncho trägt – aber dafür hat man auch viel weniger Eventgefühle.

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13 Comments

  1. says: martin

    Meine Kurzfassung: Es ist die Schrödinger Katze unter den Konzerten: Absoluter Metazustand zwischen saugut und sauschlimm. Man weiß es nie.

    (Außer wenn sie mit Fahnenträgern angeführt durchs Stadion fährt, dann ist es richtig schlimm.)

  2. says: ZweiStein

    (Außer wenn sie mit Fahnenträgern angeführt durchs Stadion fährt, dann ist es richtig schlimm.)

    Der einzige der jemals gut in einem viersitzigen Cabrio ausgesehen hat war Adi himself.

  3. says: bernd_s

    ne, da war mir jetzt zuviel ironisierte Ironie. Oder doch doch nicht, wer weiß das noch. Wie doppelte Verneinungen, die irritieren nicht nur Trump nicht, sondern lassen mich Gelesenes oft echt schlecht verstehen, dafür aber den Nervpegel steigen. Auch den indirekten Weg gehen und alles mit Doppelnetz den Yellowpressbloggern oder Zeitungsberichten in den Mund zu legen usw. ist irgendwie auch nicht richtig Gonzo-Journalismus sondern, mir fällt nix Besseres ein: Feige

  4. says: bernd_s

    ?Netz und doppelter Boden? in nur einem Wort 🙂
    Ich weiß, ich schreib noch schlechter, aber ich hatte tatsächlich ein ungutes Gefühl beim lesen, das wollte ich nur beschreiben. Mehr schlecht als recht halt (schrecht).

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