52 Albums/49: Social Distortion
„White Light, White Heat, White Trash“
von Michael Setzer

Ein lange ersehnter Gast-Beitrag, auf den wir uns besonders freuen. Der Mann mit dem roten Bärtchen und den Rastas ist in Stuttgart glaube ich so bekannt wie der oft zitierte bunte Hund.

Tagsüber seit vielen Jahren bei PRINZ beschäftigt, abends Probe und Auftritte mit seiner Band End Of Green, die mit ihrem letzten Album sogar in die Charts einstiegen. Vorhang auf für Michael Setzer, ein wahrer Fels in der Brandung, und einem klasse Text. Er besitzt die beschriebene CD übrigens nicht mit obigen Cover, sondern mit diesem hier (PromoCopy):

Martin sah immer etwas merkwürdig aus. Tolle Tolle, Teddyboy, Rockabilly und so. Einmal drückte er mir im Rauchereck auf dem Schulhof zwei CDs in die Hand, obwohl er gar nicht rauchte. „Gefällt Dir garantiert. Punk, irgendwie springsteen- aber auch so countrymäßig“, hat er gesagt.

Er klang, als ob er sich selbst nicht sicher sei, was er eigentlich von Social Distortion halten sollte. Den Namen der Band kannte ich wiederum nur von T-Shirts anderer Punkbands. Aber auf dem einen Cover war eine Knarre, ein Gangster, Alkohol und ein bestrapstes Pin-Up-Girl. Da kommt selten was Schlechtes bei raus.

Mittags hab ich gleich beide CDs gangstermäßig auf eine Kassette gezogen und mich wahnsinnig über „Cold Feelings“, „Sick Boy“ , „So Far Away“ gefreut. Super Lieder für Freaks auf dem Dorf, die sich dunkel kleiden. Angehört, mitgepfiffen, für gut befunden und dann vier Jahre lang keinen Gedanken daran verschwendet.

Steffen sieht gar nicht komisch aus. Trotzdem drückte er mir 1996 eine Promo-CD in die Hand. „Hab ich doppelt, die neue Social Distortion. Wusste gar nicht, dass es die noch gibt. Voll gut.“ Auf dem Cover war ein Engel, eine Stripperin und Heroin. Zu Hause in der schäbigen WG fegte mich „White Light, White Heat, White Trash“ von Social Distortion dann gegen die Wand.

Das ideale Futter für die widrigen Abschnitte im Leben. Da ist alles drin, was Linderung verspricht. Poesie, die auf einen Bierdeckel passt. Ehrlich und selbstgerecht. Billig und schön. Genau das Richtige, wenn man verlassen wird. Das war 1996 so und wird immer so bleiben. Melodien für die Ewigkeit und Worte, die helfen, so lange durchzuhalten. Quatsch. Die Ewigkeit zu überleben, darum ging’s.

„White Light, White Heat, White Trash“ legt man auf, wenn man sich mit der Welt anlegt, Gott eine reinhauen will, ungefragt vom Leben gefickt wird, tief im Loch sitzt oder auch wenn die Kurve wieder nach oben zeigt, wenn man wieder nach vorne blickt. Immer halt. Das ist die Faust, die gegen die Wand schlägt und die Träne, von der Robert Smith nie gesungen hat.

Sexy ist es auch. Es klingt nach Frauen, von denen Privatdetektive in Filmen aus den 30er-Jahren immer mit sonorer Stimme gesagt haben: „Als die Kleine mein Büro betrat, wusste ich sofort: Das riecht nach Ärger“. Social Distortion rechnen die Welt runter, wie man das halt macht, wenn’s dunkel ist und Hoffnung nur ein schlechter Witz ist.

Der Rest des Abends war damals gelaufen: „Dear Lover“, um zu erklären, „Don’t Drag Me Down“, um ein bisschen aufgestaute Aggression loszuwerden, „Untitled“, um das Herz nicht zu vernachlässigen, „I Was Wrong“, um Einsicht vorzugaukeln. Punkt. Das sind vier Lieder und die bockstärkste Eröffnung, die je eine Platte hatte.

Und die selbstgefällige Achterbahnfahrt war längst nicht vorüber: „Through These Eyes“ machte einen zum tätowierten Franz Beckenbauer, zu so einem, der alles schon mal gesehen hat, den nix aus der Bahn werfen wird. „Down On The World“ ist das Zippo, um Innenstädte abzufackeln. „Give me tomorrow’s broken dreams now / I’m feeling like a loaded gun“. Nimm das, Morrissey.

Da man aber kein Wichser ist, gedenkt man auch denen, die’s nicht geschafft haben: „When The Angels Sing“. Ein bisschen Straßenpoesie bei „Gotta Know The Rules“, etwas Selbstmitleid in „Crown Of Thorns“ und ein bisschen plumpes Rumgeschwanze bei „Pleasure Seeker“ und sogar ein richtig doofes Lied: „Down Here (With The Rest of Us)“. Und gerade als ich dachte „Wow, das war jetzt aber huiuiui“ gab’s „Under My Thumb“ von den Rolling Stones.

Im Sommer hab ich mir die CD von Mike Ness signieren lassen und mich dabei wie ein Teenager aufgeführt. Mike Ness ist der Sänger und spielt Gitarre. Er hat einen kleinen Anker ins Gesicht tättowiert. Einer dieser Typen, von denen man dann irgendwie doch nicht wissen will, wo sie schon überall waren.

„Wow, das Cover kenn ich gar nicht. Kann ich die behalten?“, hat er gefragt. „Nö, bist du wahnsinnig? Das ist meine“. Ich glaube er hat verstanden, dass ich keinesfalls unhöflich sein wollte. Aber so eine Platte wie „ White Light, White Heat, White Trash“ verschenkt man nur, wenn man sie doppelt hat. Danke Steffen.

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6 Comments

  1. says: Sebert

    Full Ack.
    Obwohl doch Social Distortion stilistisch ehr unspektakulär sind, macht sie vielleicht gerade dies so gut. Nur schade dass sie so selten Alben rausbringen und sich auch nur selten sehen lassen 🙁

  2. says: jo

    you can take the boy outta the white trash, but you can’t take the white trash out of the boy 😀

    mit eine von beschde band der welt!
    … auch wenn die genannte Scheibe hier finde ich zu den schwächeren von mikey mike und Co, zählt…
    weiter mit solchen „exotischen ausreissern“ 🙂

  3. says: Ralf Möbius

    Ich würde Euch ja gerne exklusiv mein Foto von Mike vom vergangenen Donnerstag in Porto Alegre einstellen, aber das ist leider nicht möglich.
    Da kann man so schön den kleinen Anker im Gesicht erkennen – und auf der Suche nach dem Anker habe ich dann diese Seite gefunden … Einen Anker im Gesicht … na ja. Aber es ist eben die Musik.

  4. says: Schmudo

    Chapeau! Danke für dieses Loblied auf Mike und seine Barden. Geniale Platte die bei mir trotzdem viel zu selten läuft… Jetzt aber Anlage an und ab dafür!

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