Stadt oder Land. Aber halt bitte nix dazwischen.

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Gestern morgen – und ich meine wirklich gestern morgen und nicht irgendwann mal neulich morgens und ich tue jetzt so, als ob das aktuell ist. Also gestern morgen, am 15. Mai diesen Jahres, da stieg ich am Fasanenhof an einer Haltestelle namens ENBW-City in die Linie 6.

Grund: die Vespe musste zur Inspektion, denn bald ist kessel.tv Rollerausfahrt – und die fahre ich aus Tradition nicht uninspiziert.

Als ich das letzte Mal im Fasanenhof in irgendetwas eingestiegen bin, war die ENBW noch die TWS, das Gewerbegebiet Fasanenhof irgendwas zwischen Tundra und Taiga und die Linie 6 noch die Linie 6 – nur schöner und ohne die Volte via Fasanenhof.

Wer in den Fassi wollte (wenige) oder vom Fassi weg (die Mehrheit), der musste den Fassi-Bus nehmen. Den 72er. So war das damals im Wilden Westen als die Eisenbahn noch nicht jede Geisterstadt angefahren hat.

Im Interweb kursiert ein Video – das ausnahmsweise mal nicht Daft Punk zeigt – sondern die Stadtbahnstrecken-Eröffnung im Fasanenhof im Dezember 2010. Wir hören den Soundtrack „the final countdown„, „I will surive„, nein leider leider „Hells Bells“. Und wir sehen, wie durch eine Wand aus Trockeneisnebel, angefeuert von einer Pyroshow… die U6 fährt. Dazu jauchzt eine Mädchenstimme „wooooohhh“. Linie 6 ab Fasanenhof – der Justin Bieber unter den Stadtbahnlinien.

Als ich gestern einsteige, bin ich enttäuscht. Kein Jauchzen, kein AC/DC, kein Pyro und nicht mal andere Fahrgäste. The ENBW City never sleeps, aber hellwach ist sie halt auch nicht.

Schelmenwasen – Europaplatz. Wir fahren durch Landstriche, die ich noch nie gesehen habe. Zumindest nicht aus dieser Perspektive. „Ich hab mich verfahren“ SOS-SMS’e ich an DJ Elbe. Und schicke gleich noch einen fotografischen Notruf hinterher…

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..eine Steppenlandschaft zwischen Fasanenhof und ähhh…ist das schon Steckfeld? Kemnat? Hoffeld?

„Da ist die Welt noch in Ordnung“ – kommt die Trost-SMS zurück. Die kommt irgendwie immer. Egal was passiert.

„Hilfe. Ich stecke in einer Karaoke-Bar!“

„Da ist die Welt noch in Ordnung“

„Bin im Climax. Wo bist du?“

„Da ist die Welt noch in Ordnung“

Und wenn ich jetzt hier einfach aussteige und einen eigenen Dorf-Blog starte? unteraichen.tv?

Bin froh, als die U6 wieder auf gewohnten Bahnen und vertrauten Gleisen fährt. Bahnhof Möhringen. Hier kenn ich mich aus. Wie in meiner Jeanswestentasche. Dies war mal meine Hood. Damals, als Hood noch Heimat hieß.

Hier steigen ein paar Neuntklässler meiner alten Schule ein. KCG. Königin-Charlotte-Gymnasium. Das Salem Stuttgarts. Sie lästern über die Lehrer und ich spitz die Ohren, ob ich noch einen erkenne. Aber sie lästern nur über lebende Lehrer.

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(you never know. Elite-Gymmie, wird später Anwalt, will seine Ömme hier nicht sehen, verklagt uns und aus die Maus. Die da dann keinen Faden mehr abbeisst.)

Die jungen Leute verwenden Worte wie „proaktiv“ und sagen Sachen wie „ich hab die Aufgabe nicht verstanden. Hab dann einfach irgendwas reingeschrieben.“ Das kenn ich nur zu gut. Geht mir jeden Tag so. Kinder, möchte ich rufen, das wird sich nie mehr ändern in Euerm Leben. Ihr werdet immer zu wenig Zeit für die Aufgabe haben und den Mittelteil nicht verstehen! So ist das Leben eben.

Wieso, frage ich mich, riechen die Jungs heute eigentlich alle wie kleine Erwachsene? Menschgewordene Duftpröbchen, die sich kein Coolwater leisten können und deshalb zum Axe-Ersatz greifen müssen.

Unsere kleine Nostalgiereise über 2 Verbundzonen voller Eisenbahnromantik kommt zum Zwischenstopp Peregrinastraße. Schöner Name. Nur: wer war das – oder was ist das? Als ich das später am Tag google, antwortet das Interweb: „Peregrina ist ein passender Name für eine Tochter.“ Danke babyvornamen.de! Sollte ich mal eine Tochter oder eine Straße bekommen, dann möge sie bitte auch Peregrina heißen.

Ab Sonnenberg wird’s sichtbar urbaner. Aus Suburb wird Urb. Aus Vorort langsam Stadt. Die Menschen. Die Mode. Die Sprache – alles metamorpht von einem Kauderwelsch zu richtigem Deutsch. Vor allem die Mode.

Dann hält unsere kleine U6 Holzeisenbahn an der Weinsteige. Immer muss ich dabei schmunzeln. Nicht, weil da heute Heimat ist. Sondern weil beim Sommermärchen 2006 ein Unbekannter im Fußi-Rausch mit Original VVS-Typo aus dem Wörtchen „Weinsteige“ seinen WM-Helden „SchWeinsteigeR“ gezaubert hat. Wenn der, der das war, das hier liest, sei er gegrüßt und ich vor ihm niedergekniet.

Dann fällt mir wieder die Geschichte von unserem Besuch aus Bremen ein. Die stiegen damals in Degerloch in die 6 und am Olgaeck schnell wieder aus, weil sie Spuckerle machen mussten. So steil und so kurvig war das damals für die Norddeutschen.

Wir fahren weiter und für einen kurzen Moment hoffe ich, die 6 würde nicht in diesen Tunnel tauchen. Sondern wie früher oberirdisch und mitten auf besagter Weinsteige runterfahren. So wie früher. Mit dem besten Blick der Welt. Auf die schönste Hometown der Welt. Stuttgart-City.

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19 Comments

  1. says: jaytext

    kollege geiger, du kriegst nicht nur ne straße, sondern gleich einen ganzen platz! autoren, die sich so wie du um die stadt verdient machen, sollten ein ganzes viertel nach sich benannt bekommen

  2. says: stegoe

    Ist wahrscheinlich die künstlerische Freiheit des Autoren, aber da ist ein kleiner Fehler in der Erzählung, die mich kleinen Vorstadtneurotiker beim lesen etwas aus Bahn geworfen hat: die Haltestelle „Peregrinastraße“ kommt, wenn man aus Richtung MöBa kommt, erst nach Sonnenberg.

  3. says: Jen

    saukuhl, das gestern schon auf der Lesung vorab gehört und heute nochmal nachgelesen zu haben. Gläschen Peregrina dazu, läuft! 😉

  4. says: Labelboss

    Auf der Strecke gibt’s doch auch die Haltestelle „Möhringen Freibad“ oder so ähnlich, oder war das die U? von Leinfelden aus? Auf jeden Fall hält die wirklich mitten irgendwo in der Pampa zwischen Gut und Böse. Man könnte mal so ein Survival-Ding abziehen, Samstags morgens um 4 die Leute da rausschmeißen, mal sehen wer es bis Samstag Abend wieder ins Climax zurück geschafft hat 🙂

  5. says: martin

    wuhuhuhu fake!

    awa ehrlich jetzt?

    gesehen davon, dass du den joke nicht verstanden hast, hat man in der ersten etage sogar empfang. war erst letzten samstag dort.

  6. says: Danny Decker

    Wow, was für ein versnobter Artikel. Erinnert fatal an bemüht „lustige“ Glossen von Berliner Journalisten über die schwäbische Provinz (aus deren Sicht: Stuttgart).

    Das KCG als „Salem Stuttgarts“…alberner gehts kaum…oh, doch:

    „Ab Sonnenberg wird’s sichtbar urbaner. Aus Suburb wird Urb. Aus Vorort langsam Stadt. Die Menschen. Die Mode. Die Sprache – alles metamorpht von einem Kauderwelsch zu richtigem Deutsch. Vor allem die Mode.“

    Wie hat denn das konkret ausgesehen und geklungen? Da hätten wir gerne mehr erfahren. Moment – bei dem Niveau des Artikels – lieber nicht.

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