Ich war jung, ich brauchte den Strom

Das Kernkraftwerk in Neckarwestheim ist nur einen Steinwurf entfernt, wenn man ziemlich geil Steine werfen kann. Konnte ich nie sonderlich gut. Ich habe dort als Teenager gearbeitet. Das fiel mir ein, als in der Zeitung schon wieder was über das Ding zu lesen war. Diese Störfälle in den letzten Wochen, der Meiler hat zum zweiten Mal innerhalb zwei Wochen erhöhte Strahlenwerte ausgestoßen, machen mich etwas nervös.

Früher nannte mich mein Schulfreund Sven ab und zu „Bart“. Das hatte nix mit Gesichtsbehaarung zu tun, die ich mir damals tierisch herbeigesehnt hatte, sondern damit, dass meine Vater damals im Kernkraftwerk in Neckarwestheim gearbeitet hat. So wie Homer Simpson. Mein Vater ist aber cooler, finde ich. Sieht auch besser aus.

Wir waren im Umgang mit der Kernenergie recht locker. Wer vier Kilometer neben einem solchen Ding wohnt, stumpft da in nullkommanix ab. Und auch weil Helmut Kohl Kanzler war, sagten wir oft „Das macht den Kohl auch nicht fett“, obwohl der streng genommen immer fett war und viel fetter nicht hätte werden können, ohne zu platzen und eine Riesensauerei dabei zu veranstalten. Wie halt ein Atomkraftwerk, wenn’s nicht rund läuft.

Manchmal machten wir auch Witze über die Klassenkammeraden, die direkt in Neckarwestheim wohnten. Marco zum Beispiel, der hatte viel zu viel Bartwuchs und unmenschlich langes und volles Haar. Oder Joachim, der für sein Alter immer recht groß und seine Stimme schon beneidenswert tief war. Meinten wir natürlich nicht so.

Sommerabende auf der Terasse von Marcos Eltern waren auch ein Genuss. Direkter Blick auf ein orange beleuchtetes Kernkraftwerk. Das machten wir solange, bis es uns gar nicht mehr auffiel. Dieses Kernkraftwerk, freundlich GKN abgekürzt, war halt da, irgendwie waren wir auch dagegen, aber was willste machen … wir machten Witze, weil es am einfachsten war.

Um uns Nachbarskinder zu besänftigen, ließ man uns in den Sommerferien immer im Kernkraftwerk arbeiten. Ferienjob. Streng genommen hat man uns gekauft, potentielle Demonstranten deeskalieren. Denn gebraucht hat uns dort eigentlich keine Sau. Die hatten das mit dem Strom und der Kernspaltung auch schön ohne uns hinbekommen. Trotzdem haben wir mitgemacht: Da gab es beste Bezahlung, spannendes Umfeld – und das nicht nur weil die Reaktorkuppeln wie Brüste aussahen. Derartiges wirkt Wunder auf Teenager.

In den Sommerferien hieß es dann immer: drei Wochen arbeiten, drei Wochen Geld wieder verprassen, in den Urlaub fahren oder eine neue Gitarre kaufen. Ich war im Kernkraftwerk im Laufe meiner Schulkarriere unter anderem Lagerarbeiter, Büroboy und auch mehrmals Gärtner. Das wiederum fand ich brüllend witzig. Das ist so ähnlich wie Ernährungsberater bei McDonalds oder Fredi Bobic beim VfB.

Da gab’s ganz schön was zu tun. Heckenschneiden entlang der Schutzmauer um das komplette Kraftwerk, Blumenbeete auf Vordermann bringen oder Rasenmähen um die Kühltürme herum. Grundstücke auf denen Messanlagen stehen, mussten auch gemäht werden, wir durften Waldwege freikloppen wie Indiana Jones damals, Pflanzen in Büros bewässern auch. Letzteres war der Traumjob, weil hochgestöckelte Bürogirls eine unglaubliche Anziehung auf 16-Jährige Jungs haben. Andersrum leider nicht.

Richtig gut waren aber die Getränkeautomaten. Überall auf dem Kraftwerksgelände standen diese Dinger herum und man durfte sich kostenlos die Drinks zapfen. Cola, Diät Cola, Fanta, Sprite und Bonaqua. Geiler Scheiss, zumal solch edles Marken-Zeug bei uns zu Hause nicht abzugreifen war. Also: Nei damit, koscht nix. Ich rülpste den ganzen Tag.

Einmal war einer der Automaten kaputt und ein Arbeiter im Blaumann sagte: „Da müssen wir wohl Jesus rufen“. Meinereiner, sechzehn Jahre alt,  Afro auf dem Kopf, den Schalk im Nacken, nix im Kopf und bestens rausgeputzt im Ramones T-Shirt, reagierte prompt: „Na, ein Monteur wäre besser, oder?“. Die Antwort kam recht flott: „Bleeder Hond, halt dei Klapp du Seggl“. Dann kam auch schon Jesus zur Tür rein. Jemand hatte ihn bereits gerufen. Jesus. Keine Ahnung wie er mit Nachnamen hieß. Er war Portugiese. Da heißt jeder Dritte Jesus. Die anderen beiden spielen Fußball.

Dieser hier war so eine Art Hausmeister und konnte tatsächlich Getränkeautomaten reparieren. „Wozu eigentlich Kirchensteuer?“, hab‘ ich gedacht, wenn deren Jesus offensichtlich nicht mal  Getränkeautomaten repariert. Mein Jesus hatte es drauf, als er mich einmal beiläufig grüßte, fühlte ich mich wie Bono im Vatikan.

Mein Kappo – so heißen Vorgesetzte in Jobs, zu denen man die Hände braucht – hieß Harald, trug Minipli, Schnauzbart und war damals so kurz vor 30. Der war ziemlich cool. Er rauchte Zigaretten immer nur zur Hälfte, „weil’s hinten giftig wird“, manchmal durfte ich ab dort übernehmen. Ich liebe die Gefahr. Ab und an erkundigte sich Harald, wie’s denn so mit den Girls bei mir liefe. Ich konnte ihm da leider kaum was erzählen. Die Ramones, Kreator und Slayer waren immer wichtiger.

Denn Rest des Tages beschützte Harald mich vor unserem eigentlichen Chef. Einem, 1,50 großen Choleriker, der – weiß Gott, was anfiel – immer nur mich zur Sau machte. War super. Ein Typ, der wie Stefan Aust aussah, so groß wie Kylie Minogue, aber bei jeder Gelegenheit Leute anbrüllte, die ihn locker zum Frühstück in der Kantine hätten verputzen können.

Respekt. Strachi würde sagen: „Seine Eier brauchen eine eigene Postleitzahl.“ Ab und zu packte er mich auf die Ladefläche eines Lasters, warf einen Rasenmäher, zwei Kanister Sprit und zwei Heckenscheren hinterher und fuhr mich auf irgendein abgelegenes Grundstück. Ich war mir nie sicher, was er im Schilde führte. Die Filme, in denen Jungs, Löcher graben mussten, in die man sie nach einem Kopfschuss entsorgte, kannte ich damals ja schon. Der Boss sagte aber meistens:  „Mähen. Alles. Und die Steinchen aus der Wiese holen. Das schaffst Du, oder? Ich komm in drei Stunden wieder.“ Er holte mich jedes Mal wieder ab. Manchmal schickte er auch Harald.

Ich hoffe es geht allen gut. Von Jesus habe ich lange nichts mehr gehört und Papa arbeitet auch nicht mehr dort. Vielleicht sollte man das Ding langsam wirklich abschalten.

kessel_GKN
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