Beben im Zentrum der Macht

Nebenkriegsschauplatz IHK. Die heile Welt ist kürzlich bei der Wahl Vollversammlung ins Wanken geraden. „Wutunternehmer“ haben 22 von 100 Sitzen übernommen und so wie es aktuell aussieht den amtierenden Präsidenten verdrängt. Unsere Gastautorin Frau Doktor fasst die Ereignisse zusammen und gibt Einblick in eine Parallelwelt der Macht.  

„Die Wutunternehmer haben zugeschlagen.“ und „Eine Gruppe von einem Prozent der Unternehmen hat den Präsidenten hinausgekickt. {Ein solches Ergebnis ist) in hohem Maße ärgerlich und nicht repräsentativ.“ – So zitiert die Stuttgarter Zeitung am 29. September Dr. Herbert Müller, den demnächst gewesenen Präsidenten der IHK Region Stuttgart.

Is’ ja auch schade: Da genehmigt man sich einen schnittigen Neubau für schlanke 40 Millionen Euro – und dann besitzt die Bagage die Unverfrorenheit ihr Wahlrecht auszuüben! Und Dr. Herbert Müller, seit Februar 2009 Präsident der IHK Region Stuttgart, sitzt ohne Amt da. Denn nach einer aktuellen IHK-Pressemeldung vom 16. Oktober konnte man ihm wohl ausreden, sich durch eines der Schlupflöcher im byzantinischen Wahlrecht der IHK am Wahlergebnis vorbei in die Hauptversammlung zu schmuggeln. Und bei Ernst & Young, seinem früheren Arbeitgeber, steht er auch auf keinem Organigramm mehr.

Vor einigen Wochen sah Herr Müller die Sache mit der Wahl noch anders. In einem im staatsbürgerlichen Tremolo gehaltenen Brief, in dem natürlich auch die neuen politischen Modevokabeln „Bürgerbeteiligung“, „Mitwirkung der Gesellschaft an der gesellschaftlichen Willensbildung“ et al. nicht fehlen, rief er die Mitglieder der IHK Region auf, sich zahlreich an der Wahl zur Vollversammlung, dem „Parlament der Wirtschaft“ (O-Ton IHK) und zu den Bezirksversammlungen zu beteiligen.

10,86 Prozent der Unternehmen nahmen Herrn Müller beim Wort und beteiligten sich diesmal an der Wahl. Das ist gegenüber 2009 eine deutliche Steigerung. Da machten sich nämlich nur 8,5 Prozent die Mühe, den IHK-Wahlzettel auszufüllen.

Viele werden jetzt die Schulter zucken: „Was soll’s, irgendeinen Gremienhengst hat’s zerbröselt. Ist doch eh’ egal, wer den Grüßonkel bei den Verleihungen der Ausbildungszeugnisse oder beim Neujahrsempfang gibt.“

Tatsächlich hat die Nicht-Wahl des amtierenden IHK-Präsidenten – in meiner bescheidenen Meinung – so ziemlich denselben Stellenwert wie das Ende der CDU im vorletzten Jahr. Wenn die (schwarze) Macht eine Adresse hat, dann ist es das Wengerterhäusle alias Weinberghäusle oberhalb der Jägerstraße. Hier haben in kleiner, feiner Runde bei Maultaschen und IHK-eigenem Trollinger Politik und Wirtschaft Posten, Gesetze, Investitionen und Projekte ausgeklüngelt. Der Legende nach wurde hier S21 besiegelt. Und nebenbei bemerkt schon Tatorte gedreht.

Wer in Stuttgart was werden wollte, hat hier seine Aufwartung gemacht. Und wer hier seine Aufwartung machen durfte, der war im schwarzen Netz schon weit gekommen.

Dass hier mal jemand anderes präsidiert und residiert, als die vom System ausgeklüngelte Charaktermaske, das ist so nicht vorgesehen. Entsprechend herrscht nun in der Jägerstraße, wie man so hört, eine ins Panische tendierende Stimmung – und auch in der Ex-Staatspartei wird man die Störung im Kern der Macht wahrgenommen haben.

Erfolgreich organisiert und durchgeführt wurde der Angriff auf den Todesstern Stuttgart von einer Rebellengruppe namens Kaktus – kein Witz. Unter diesem Namen haben sich Unternehmen zusammengeschlossen, denen schon lange einiges am Geschäftsgebaren der IHK Region Stuttgart stinkt. Von 100 Sitzen in der Vollversammlung haben sie 22 Sitze bekommen und dem amtierenden Präsidenten seinen Sitz dort abgenommen. Und das mit einer lausigen Website www.htrost.de/kaktus, einem unterdesigntem Flyer, minimaler Facebook-Aktivität – und bei einem Wahlverfahren, das Kenner an die Wahlen zum Nationalen Volkskongress Chinas gemahnt.

Die Macht ist offensichtlich groß im kleinen Kaktus. Herzlichen Glückwunsch!

Mehr Infos dazu in einem aktuellen Kontext-Artikel.  Laut diesem wird das Weinberghäusle zukünftig nicht mehr genutzt: „Die Politik der geheimen Absprache zwischen Wirtschaft, Medien und Politik wollen die Kaktus-Rebellen auf dem Müllhaufen der Geschichte entsorgen“, heißt es in dem Artikel. 

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13 Comments

  1. says: Micha

    Peinlich, ich weiß – aber: Was ist die IHK denn eigentlich?
    Ok, Industrie- und Handelskammer, klar. Man kann dort Fortbildungen machen, sich prüfen lassen…
    Aber was macht dieser Verein sonst so? Was ist die eigentliche Aufgabe? Hilfe. 😐

  2. says: kutmaster

    @Micha: Wegelagererei. Als Selbstständiger bin ich gezwungen, denen jährlich Geld zu überweisen. Als Gegenleistung bekomme ich schöne Beitragsrechnungen und ab und zu irgendwelche Wahlunterlagen kostenlos per Post. Welchen Nutzen diese Zwangsmitgliedschaft für mich hat, konnte mir nicht mal ein IHK Mitarbeiter schlüssig erklären.

    Tatsächlich finanziert sich dieser Verein zu einem grossen Teil aus solchen höchst zahlungsunwilligen Kleinunternehmern wie mir – jedoch hatten wir bisher dort nichts zu melden. Scheint sich ja endlich zu ändern durch diesen Fnord der Kaktusinitiative.

  3. says: Frau Doktor

    So auf die schnelle zur ersten Orientierung: http://www.bffk.de/kammerunwesen/ursprung.html
    ABer Obacht: Das sind die, die die Kammern abschaffen wollen. Ist also ein bisschen tendenziös, aber die Geschichte und ursprüngliche Funktion ist ganz gut erklärt.
    Dass die IHK Region STuttgart nicht so wirklich in der Lage ist, wenigsten auf einer Seite zu erklären, was man da eigentlich so treibt, sagt ja auch schon einiges. Trotzdem zur Information: http://www.stuttgart.ihk24.de/

  4. says: ChrisK

    Die IHK hat keine machtausübende Funktion, außer Geld zu kassieren. Und dies in was weiss ich zu stecken. Von daher, was soll´s, wer an ihrer Spitze steht. Trotz allem meinen Respekt, alte Strukturen aufzurütteln. Aber man sollte eben nicht mehr daraus machen als es ist. Symbolismus. Ob sich Machtstrukturen in einem Weinberghäusle treffen oder in einem Hobbykeller in Halbhöhenlage, an den Ergebnissen der Treffen wird dies nix ändern. Und wirklich Mächtige werden sich nicht auf einen Posten wie das IHK-Präsidium setzen. Also bei aller Freude, einfach mal die Kirche im Dorf lassen.
    Apropos, von den Grünen hört man seit der Machtergreifung auch nix neues mehr. Die vorher wichtigen Themen scheinen es jetzt nicht mehr zu sein. Und ich meine nicht S21 damit! Das Volk auf den Strassen hat seinen Dienst getan und muss somit nicht mehr mobilisiert werden. Wo trifft sich eigentlich Kretschmann mit seinen Kollegen? Im Garten der Villa Berg auf der Picknickdecke?

  5. says: JMO2

    Frau Doktor, bloß nicht Korrektur lesen, sonst muss ich das ja auch machen 😀

    Ansonsten danke ich für den Artikel, bis Sonntag kann der Party- und Turnschuhblog ja durchaus ein wenig (wirtschafts)politisch sein.

  6. says: ducati

    Sorry, werde von der IHK bisher gut bedient und zahle keinen Cent. Bin auch in der Lage, eine homepage zu lesen. Bin gespannt wie sich der Zwergenaufstand entwickelt.

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