Vom 15. bis 18. November wurde in einer WG in der Olgastraße das Stück 18109 Lichtenhagen aufgeführt. Gastautor Niko, u.a. für LIFT aktiv, hat sich das angeschaut.
(Alle Fotos von Tobias Metz)
Letzte Woche war Theaterpremiere. Aber nicht im Schauspielhaus, Opernhaus, Großes Haus, Kleines Kaus, Altes Haus, Volksbühne oder wie die alle heißen, sondern in einer Wohnung an der Olgastraße. Hab mich angemeldet, bekam daraufhin eine Mail: „Beginn 20 Uhr, klingeln bei Rabert.“ Voll spannend und geheim und Off und so. Das Stück heißt 18109 Lichtenhagen.
Die Bühne ist eine halb ausgeräumte WG, so typisch Olgastraßen-Altbau: Das Wohnzimmer hat 300 qm, die Küche 80, der Flur ist so groß wie meine Wohnung. An der Tür werden wir von Michael Rabert (gespielt von Christian Streit, aber nicht der Freiburg-Trainer, der heißt auch Streich und nicht Streit) per Handschlag begrüßt („Da is Wohnzimmer, da Küche, rauchen nur aufm Balkon“).
Unsicherheit: Wer von den anderen bereits Anwesenden ist sonst noch Schauspieler? Alle gucken irritiert in der Gegend rum, hoffen, nicht von einem Schauspieler angesprochen zu werden, und rauchen auf dem Balkon.
Auf dem Herd kochen Eier in einem Topf. Tatsächlich alles echt spannend. Was zu trinken gibt’s aber nicht. Weil es aber so Off ist, rückt nach und nach auch die halbe Stuttgarter Theaterschickeria an: Das halbe JES ist da, Staatstheater auch, der Rest sieht auch aus als hätte er irgendwas mit Kunst zu tun oder hätte gerne was mit Kunst zu tun. Stofftaschen und so, man kennt das.
Man ist also bei Raberts in der Wohnung, Rostock-Lichtenhagen, Mutter und Schwester von Michael kommen rein. Die Geschichte ist schnell erzählt: Michael will sich an einer Filmhochschule bewerben und dafür eine Doku über seine Familie drehen. Die Zuschauer wohnen diesen Dreharbeiten bei, in deren Verlauf immer mehr dunkle Details der Familie an die Oberfläche kommen: Michael war damals bei den Ausschreitungen in Lichtenhagen dabei, er hat einen Nazifreund namens Poffie, den er verharmlost. Der Vater war Stasi-Spitzel, die Tochter ist schwanger, von der Uni geflogen und vom Freund verlassen worden.
Die Raberts laufen im Publikum rum, filmen sich, streiten sich, verteilen Kaffee und belegte Brote (dafür die Eier auf dem Herd). Es stehen und sitzen und hocken dauernd Leute im Weg, das stört aber nicht. Irgendwie hat man doch das Gefühl, sich als Gast in der Wohnung aufzuhalten. Ich erinnere mich an irgendwelche Vorlesungen über Immersion an der Uni.
Einziges Problem: Die Raberts rennen dauernd von der Küche ins Wohnzimmer und wieder in den Flur. Da kommt man nicht immer hinterher, es gibt aber Fernseher, auf denen das Kamerabild von Michaels DV-Kamera übertragen wird, man guckt also ständig hin und her zwischen der echten Szene und dem, was auf den Fernsehern läuft. Den Ton bekommt man auch nicht immer mit, wenn man nicht schnell genug hinterherrennt. Und es stehen ständig Leute im Bild oder halten ihre Jutebeutel da rein.
Egal, denn es funktioniert, man ist mitten im Geschehen. Ich traue mich aber nicht Handy-Fotos zu machen, weil das so profan wirkt und bestimmt alle anklagend oder mitleidig gucken würde. Außerdem sträubt sich mein erstaunlich bürgerliches Über-Ich dagegen, im Theater zu fotografieren.
Abgesehen von der abgefahrenen Bühnensituation: Schön, mal wieder dran erinnert zu werden, dass man für gutes Theater eigentlich gar nicht so viel braucht, keine aufgeblasene Multimedia-Show und zehn Schauspieler auf Riesenbühnen. So was wie hier darf es meinetwegen ruhig öfter sein.
Leider lief das Stück nur vier Tage in Stuttgart, war aber immer ausverkauft (okay, bei maximal 30 Zuschauern/Vorstellung nicht sooo schwierig…), am Sonntag war die letzte Vorstellung. Das nur so kurz gespielt wurde liegt daran, dass die WG bewohnt ist: Nach der Vorstellung schlappten die Mitbewohner in Pantoffeln aus ihren Zimmern, um in ihrer komplett um- und ausgeräumten Küche mit den Besuchern zu quatschen. Ganz schön anstrengend, mit Theaterleuten zusammenzuwohnen, aber es passiert wenigstens immer was.
Yeah. Kultur bei kessel.tv.
„Klingeln bei Rabert“ gefällt mir am besten. Nächste Woche dann die Premiere von „Klingeln bei Elbert.“
motto: getränke sind wichtig.
Es gab doch Kaffee. Und danach Bier.
Aber erst hinterher!
Bei „Welche Droge passt zu mir?“ vom Theater Rampe darf man im Wohnzimmer sitzen bleiben! 😉 http://www.theaterrampe.de/Stuecke.php?From=Spielplan&Id=304
Was katjuscha sagt.
Den Kaffee gab’s doch relativ früh 🙂
Egal. Die Schnittchen waren jedenfalls die Wucht.
Außerdem geht es doch um Kunst und nicht um Konsum.