Über Terroranschläge, die Medien und dumme Nazis

Ich wollte mein Facebook-Profil-Foto in den Farben der Tricolore einfärben und ich wollte auch das stilisierte Peace-Zeichen des Eifelturms  nutzen. Nee, wollte ich nicht. Ich wollte einfach irgendwas. Nur um etwas getan zu haben. Manchmal ist nichts schlimmer als Nichts. Aber ich hatte Angst. Nicht etwa vor Terror, sondern vor Befindlichkeiten.

Denn wenn in ein paar Tagen wieder Normalität einkehren wird – und das wird sie – würde ich das Bild wieder austauschen gegen eines, auf dem ich mich gutaussehend, witzig, ironisch oder zumindest irgendwie standesgemäß empfinde. Dann müsste ich den Eiffelturm und die Farben wieder ändern. Ich befürchte, es könnte aussehen, als wäre das mit der Anteilnahme jetzt aber langsam genug.

So wie mit der Solidarität mit Charlie Hebdo im September. Als die französischen Satiriker das Bild des ertrunkenen Jungen aus Syrien nachzeichneten, dahinter eine McDonald’s-Werbetafel, die für ein Kindermenü warb platzierten und „So nah am Ziel…“ dazu schrieben, war für einige klar: „Also, nö. Das darf Satire aber wirklich nicht. Arschlöcher!“.

„Charlie Hebdo verspielt Sympathien“, schrieb beispielsweise Das Handelsblatt. Sympathien, die scheinbar alleine darauf begründen, dass Menschen abgeschlachtet wurde. Kein Wort von der Satire. Im Kommentarspalteninternet wurde derweil schon wieder gefordert, was Charlie Hebdo längst zugestoßen war.

Ich halte es weder für verwerflich, dumm oder gar heuchlerisch, wenn Menschen ihr Profilbild bei Katastrophen ändern. Es ist menschlich, in solchen Situationen, irgendetwas tun zu wollen, obgleich von vornherein klar ist, dass nichts diese Hilflosigkeit auflösen wird. Wahrscheinlich ist es andererseits auch menschlich, wütend zu sein, wenn da einfach schon wieder einer ohne Lösung und Wahrheit am Stammtisch aufkreuzt. Manchmal erkenne ich selbst kaum den Unterschied zwischen Stammtisch und einer Debatte. Doch alleine die Tatsache, dass ich in dieser Nacht auch an Derartiges dachte, schockiert mich.

Ich wollte mich auch an den Debatten der Zyniker, Bescheidwisser, Pietätlosen und Hetzern beteiligen. In solchen Momenten haben kurze Wege Konjunktur. Vom Kopf bis zur Faust in neuer Rekordzeit. People Are People trallallala. Problemlösungen-to-go, jeder bitte mindestens vier Stück. Und irgendwer muss sofort auf die Fresse bekommen. Ich habe es gelassen. Auch weil ich nichts Sinnvolles außer Leere und Stille beizutragen hatte.

Matthias Matussek, Markus Söder, AfD, die Dorfrassisten und Freizeitpolitologen hatten auch bereits alles gesagt, was ich über verabscheuenswerte Menschen wissen muss. Sie spannen Tod und Angst vor den Karren, der ihre Agenda ziehen soll. Man nennt das „instrumentalisieren“. Ich wollte jeden einzelnen „dummes Arschloch“ nennen, als würde es wirklich helfen. Wahrscheinlich ist auch das alles menschlich. Weinen wollte ich auch. Doch selbst das habe ich nicht getan. Ich erinnere mich aber nicht mehr, ob es dafür einen Grund gab.

Ich habe in dieser Freitagnacht noch etwas gelernt: Ich bin ebenfalls ein dummes Arschloch. Als mir die Berichterstattung von ARD und ZDF zu langweilig wurde, weil sie ständig die gleichen Meldungen wiederholten, zappte ich zu den Nachrichtensendern. Dort wiederum regte ich mich auf, dass sie nichts außer Mutmaßungen aus meinem Fernsehgerät herauskotzten. Ein sensationsgeiles Bodycount-Bingo. Mindestens 189 Tote. Bingo. Gewonnen. Doch ich habe schockstarr zugesehen, während ich zeitgleich bei Twitter und Facebook nach irgendetwas suchte. Keine Ahnung, was.

Dann habe ich ernsthaft „Blödsinn“ gesagt als jemand die Eagles Of Death Metal eine Heavy Metal Band nannte. Und ich motzte „Halt doch endlich dein verdammtes Maul“ als die Sprecherin bei N24  die Band „Eagles Of Death“ nannte und wie sehr die Heavy Metal Band nun von ihrem eigenen Namen eingeholt wurde. Obwohl die Fernbedienung neben mir lag. Umzuschalten wäre keinerlei Aufwand gewesen.

Ich zuckte zusammen als Renault auf Twitter für ein Fahrzeug warb, das Platz wie ein Konzertsaal biete und ich habe mich nachträglich geschämt, weil ich vorher einen dummen Witz per whatsapp an meine Freunde schickte. Ich wusste zu diesem Zeitpunkt noch nicht, was in Paris geschehen war und noch immer passierte. Nö, ich freute mich lediglich, dass ich ein sagenhaftes Konzert von Der Weg Einer Freiheit im Keller Klub gesehen, Cider getrunken und mich gut amüsiert hatte.

Ich habe auch an Jesse Hughes gedacht, den Sänger der Eagles Of Death Metal. Als ich ihn vor einigen Jahren interviewte, hatte ich später leichten Muskelkater in den Backen, weil ich aus dem Grinsen nicht mehr heraus kam. Der Mann hat eine ansteckend positive Aura, ist schlau und ziemlich lustig. Ein Typ, den jeder sofort auf seiner Couch übernachten lassen würde. Ich hoffe, dass er und seine Freunde irgendwann all das verarbeiten können, was sie jetzt gerade durchmachen. Andere Leute nennen das vielleicht „beten“ statt „hoffen“. Ich denke aber, sie meinen einen ähnlichen Gemütszustand.

Ich habe mit Erschüttern die Pressemeldungen gelesen, dass die Band in Sicherheit sei. Denn irgendwo auf dieser Welt saßen Menschen, die eventuell glaubten, dass dies auch Nick Alexander miteinschließe. Er verkauft bei Konzerten die T-Shirts der Band. Doch auch er wurde in dieser Nacht getötet. Bei Bands dieser Größenordnung ist die Crew ein Teil der Band. Da ist man erst komplett wenn alle Kindsköpfe zusammen im Bus sitzen.

Und es war auch der Grund, weshalb EODM noch in der Nacht auf ihrer Facebook-Seite schrieben: „We are still currently trying to determine the safety and whereabouts of all our band and crew. Our thoughts are with all of the people involved in this tragic situation.“ Als wäre es nicht schon absurd genug, sich unter diesen Umständen überhaupt bei Facebook einloggen zu müssen.

Ich möchte nie erfahren, wie es sich anfühlt, per Zufallsgenerator zu überleben und gleichzeitig zu wissen, dass jeder diesen Club ursprünglich nur betreten hatte, um bei meiner Party-Musik Bier zu trinken und gute Laune zu haben. Niemals. Und ich möchte auch das Video dazu nicht bei youtube sehen. Doch die Nachrichtensendungen zeigen es andauernd. Ich habe gesehen wie Dave Catching zusammenzuckt. Das möchte ich nur sehen wenn er ein geiles Boogie-Solo spielt.

Die Band Deftones – die laut Instagram bereits seit einigen Tagen in Paris weilte – lies verlauten, man solle sich um SIE bitte keine Sorgen machen. Als sie ihre beiden für Sonntag und Montag geplanten Konzerte im Bataclan und auch den Rest der Tour absagten, tippte ein Fan, sie mögen sich doch bitte überlegen, jetzt ein Benefiz-Konzert für die Opfer zu spielen. Da wurde mir ein bisschen schlecht.

Es wurde auch nicht besser, als freundliche Internetuser schon wieder damit anfingen, Tote gegeneinander aufzuwiegen. Was ist mit Gaza? Was ist mit Kenia? Wer trauert um German Wings? Mexiko? Und dann schlugen sie auf die Profilbilder der anderen ein. Die waren wenigstens ohne größere Anstrengung greifbar.

Würde ich für jede unnötige Tragödie eine Briefmarke an eine Wand kleben, ich könnte alle Häuser dieser Stadt samt Bewohnern mit der Post verschicken. Irgendwohin, wo es kein Unglück gibt. Dorthin, wo Menschen es vorziehen, sich gegenseitig in die Arme zu nehmen, anstatt sie sich abzuhacken. „Gibt’s nicht, du naiver Idiot!“

Dieses „Paris“ schmerzt beim bloßen Gedanken. Denn diese Scheiße ist greifbar – von jeder Seite aus betrachtet. „Wochenende in Paris?“, „Oh, heute spielen die Eagles Of Death Metal“, „Ich habe Karten für das Länderspiel“, „Sollen wir was essen gehen?“, „Lust auf einen Kaffee?“. Das sind die Sätze von Freunden und natürlich ist das alles Ich-bezogener Quatsch und kein Beitrag zur Lösung der Weltprobleme. Es ist schon schwer genug, sich selbst in den Griff zu bekommen.

Ich bin mir aber auch nicht sicher, ob es zielführend ist, nun lautstark „Krieg“ zu rufen. Denn nach TV-Expertenmeinung hat dieser Terror „eine neue Qualität“ – Luftangriffe zu fliegen, klingt nach einem alten Reflex, der auch nach den Anschlägen in New York nichts zur Besserung beigetragen hat.

Der Moderator, Entertainer, Journalist, Quatschmacher Jan Böhmermann stellte auf Facebook 100 Fragen, ohne Antworten zu geben oder Quatsch zu machen. Jemand nannte das eine Art naives Manifest der Orientierungslosigkeit  – gab allerdings auch keine Antworten, sondern nur eine Abhandlung über das Ende der Spaßgesellschaft. Als ob es die wirklich gäbe.

Schon bei der ersten Frage Böhmermanns zuckte ich zusammen: „Warum?“ lautete die. Denn offenkundig wurde die Antwort darauf seit Freitag Nacht schon von sehr vielen Leuten völlig unterschiedlich beantwortet, beziehungsweise in die Kommentarspalten gehämmert. Mir wurde kurz übel: Ich habe mir vorgestellt, sie hätten diese Sätze den Angehörigen der Opfer, den Verletzten, den Fassungslosen, den Trauernden derart laut ins Gesicht gebrüllt.

Dann doch lieber Eiffelturm, meinetwegen Flagge oder von ganzem Herzen „Ich weiß doch auch nicht“ sagen.

Später habe ich mir die Band Trust angehört – im französischen Original – und kein Wort verstanden außer „Antisocial“.

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8 Comments

  1. says: Oli Klangschneider

    Sehr gelungene Übersetzung der mit diesem Irrsinn verbundenen Gefühlszustände!
    Ziehe ich allemal dem hundertfuffzichsten Faktenaufguss oder wichtigtuerisch daherkommenden Erklär-Elaborat vor. Danke Micha…

  2. says: Chris Hoonoes

    Danke dafür. Schwierig in Worte zu fassen, was sich da in einem selbst abspielt. Du hast es versucht und gut auf den Punkt gebracht. Nochmals Danke!

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