Ich würde mal meinen, wir hatten alle ausreichend Fanta 4 und Rammstein in unserer Timeline und trotzdem sind da noch ein paar Fragen offen: zum Beispiel, ob bei letzteren die Musiker selbst in der Stadt waren – oder ob sie nur ihre Stichflammen geschickt haben?
Ich habe nämlich weder ein Foto der Band Rammstein gesehen noch ein Wort darüber gelesen, wie die zwei Konzerte auf dem Cannstatter Wasen musikalisch waren? Nirgends eine Zeile zu Sound, Songauswahl, Spielfreude und überall nur Fotos von einer zugebenermaßen ziemlich eindrucksvollen Bühne und jeder Menge Feuer. Andererseits auch nichts, was man mit einem BIC-Feuerzeug und einem gescheiten Makro nicht auch im Gärtle selber hingekriegt hätte. Wie war’s denn nun wirklich?
Meine Meinung zu Rammstein muss ich mir erst noch bilden. Ich glaube aber, eher nein. Meine Meinung zu ihrem Sänger Til Lindemann dagegen steht fest. Sie lautet: wie bitte??
Denn neulich hab ich gelesen, dass Lindemann solo nicht in Wacken spielt. Zuerst hab ich mich gefragt, wie es wohl ist, wenn Lindemann ohne Rammstein und Feuerzeuggas irgendwo auftritt. Und dann gelesen, dass seine Absage wohl daher rührt, dass er keine Leute findet. Personalmangel wie in der Gastro. Und zwar nicht auf der Bühne, sondern dahinter.
Das muss man sich mal vorstellen: Lindemann hat wahrscheinlich den Rolodex voll mit Nummern von Technikern, Sound Engineers, Crew & Co. – und findet trotzdem keine Leute, die ihm das Geraffel nach Wacken fahren und dort auf die Bühne tragen. Weil alle, die in der Musikbranche gearbeitet haben, jetzt Eure amazon Prime-Pakete rumfahren.
In solchen Zeiten finde ich es dann super erfrischend, endlich wieder Bands und Publikum und Bühnen und Clubgigs in der Timeline zu sehen. Dass die einen wieder Konzerte geben und die anderen wieder hingehen. Wie geil ist denn bitte Livemusik?
Mich persönlich fixt das alles ziemlich an und ich habe fast wieder Bock, selbst Musik zu machen. Als mich Thorsten neulich in Berlin alleine auf der Straße ausgesetzt hat, weil er zur republica musste, bin ich ein Riesen-Musikgeschäft gegangen und hab erstmal alles angefingert, wie ein Kind im Breuninger Candy-Tunnel. Stundenlang. Bis die Ladendurchsage ertönte „Der kleine Kollegegeiger möchte bitte aus der Gitarren- und Bassabteilung abgeholt werden.“
Ich hatte lange nicht mehr gespielt/geübt/mit ner Band geprobt – und war gottfroh, dass bei allem technischen Fortschritt beim Bass die dicke Saite oben immer noch die E-Saite ist. Das hilft ein bisschen beim Wiedereinstieg.
Der sich ansonsten nicht ganz einfach gestaltet: mir fiel wieder auf, dass man ja zum Musikmachen Musikmitmacher braucht. Und mir fiel wieder ein, warum ich überhaupt aufgehört hatte.
Mit der letzten aktiven Band hatten wir einen Live-Gig in Feuerbach. Es muss eine Musikkneipe gewesen sein. Ich hab das verdrängt, aber ich wette, wenn ich nachschaue, hieß sie ‚Baccara Musikpub‘ oder ‚Zur linken Schelle‘.
Sehr gut ist meine Erinnerung allerdings an die Größe und Art der Bühne: klein und nicht vorhanden. Wir spielten auf Augenhöhe mit dem Trinkerpublikum und ich meine mich auch zu erinnern, dass an einer ruhigen Stelle einer der Zuschauer „Mach mal Metal, du Wichser“ rief. Als plötzlich ein Rosenverkäufer die Kneipe betrat und mangels weiblichen und überhaupt Zuschauern, der Band seine Ware anbot.
Ich wünschte, ich hätte diese Episode erfunden. Oder sie zumindest wie bei einer guten Traumabewältigung so umgedeutet, dass uns halt jemand Blumen auf die „Bühne“ gebracht hat. Aber er wollte drei Mark pro Stück.
Mark! So lange ist das her! Es gibt aber zum Glück auch Positives in der Diskographie: ich hab mal auf der Loreley vor 10.000 Rockern gespielt. (Motorradrocker, nicht Musikrocker, oder halt beides). Da antwortest du auf „Mach mal Metal, du Wichser“ nicht mit „Halt die Fresse!“, sondern mit „Welchen Song genau in welcher Tonart willst du hören?“
Und ich war mal in der Bravo. Nicht nackig bei Dr. Sommer – sondern in schwarzen Lederhosen mit Strähnchen und Kajal Muss ich mal raussuchen. Irgendwo im Keller.
Ich durfte drei Alben einspielen, von denen zwei das Licht der Welt erblickt haben. Die Masterbänder der dritten („Out of Balance – Rebel“) müssen noch irgendwo bei Buffy oder Jerry im Schrank liegen und hätten es eigentlich verdient, veröffentlicht zu werden. Sie waren musikalisch auf jeden Fall am anspruchsvollsten.
Auf die großen Bühnen, vor die großen Rockermengen und in die durchgefurzten Studioregieräume muss ich nicht mehr unbedingt. Aber so Proberaum-Vibes ohne Tageslicht mit einem Gitarristen, der auch in den Songpausen nicht aufhören kann, zu gniedeln, so dass erst gar kein Gespräch aufkommen kann, bei dem man merkt, was für eine Arschgeige der Typ eigentlich ist – darauf hätte ich schon Bock.
In Zeiten von Tinder und Rammstein ist die Suche nach Mitmusikern aber eher komplexer geworden. Während man früher einfach den nächstbesten Langhaarigen in der Rockfabrik anquatschen konnte, ob er singen könne, liest man heute auf digitalen Band-sucht-Musiker-Börsen, dass Rock to Push aus Ehningen einen Bassisten brauchen. Denn der Vorgänger ‚Kröte‘ ist ausgestiegen, weil seine kleine 1-Mann-IT-Firma und die Zwillinge seine ganze Aufmerksamkeit brauchen. Probe: dienstags und donnerstags über dem REWE in Gültestein, Stil: alles, was fetzt.
Du siehst den Keyboarder auf dem Bandfoto und weisst auf den ersten Blick, dass er im Gießwerk schafft und immer sehr verschwitzt in seinem Mercedes Benz Polohemd zur Probe kommt. Und dass die Band „ihr Set“ immer mit „Smoke on the water“ beendet. Und dann fragst du dich: was würde Til Lindemann tun und wo bekomme ich jetzt auf die Schnelle einen gescheiten Flammenwerfer her?