The Art of Sessellift: Über meine Snowboard-Karriere

Im Frühjahr denke ich mir seit Jahren, kauf dir doch mal wieder ein Skateboard. Im Herbst denke ich mir, fahr doch mal wieder Snowboard. So geht das seit über einem Jahrzehnt. Meine Jungs fragen immer, wann ich endlich mal mitkomme, all´n´together, so wie früher, als man noch abends den widerlichen französischen Rotwein aus dem Kanister (!) für fünf Franc vernichtet hat, dabei Gang Starr oder DJ Honda hörte, und morgens trotzdem pünktlich zum Lift-Opening stramm stand. Logisch, der Skipass ist/war teuer. Muss man voll ausnutzen. Bis zur letzten Fahrt. Und immer schnell dahin wo die Sonne scheint.

Auch wenn der letzte bald zwölf Jahre her ist – hat sich einfach nicht mehr ergeben mit meiner Posse – bin nach ich wie vor der Meinung, dass eine Woche Wintersporturlaub die Lebensqualität erhöht. Danach ist man neu aufgesetzt. Refreshed.

Kam lange Jahre nie in den Genuss eines Winterurlaubs. Stamme nämlich aus einer Nicht-Wintersport-Familie. Nicht-Wintersport-Kinder, so waren wir zumindest früher, sind immer ganz traurig und bisschen neidisch, wenn an Weihnachten, Fasching oder Ostern oder in allen drei Ferien, abhängig von der Einkommensklasse der Eltern, ihre Wintersport-Familien-Freunde in die Berge abhauen. Wie gerne wäre man auch mal. Meine Eltern sind nie Ski gefahren. Deswegen war das kein Thema bei uns. Berge im Sommer okay, wandern voll geil, im Winter aber viel zu teuer. Und die ganze Ausrüstung! Menno. Dabei wollte ich so arg. Und als der Snowboard-Hype Anfang der 90er nach Deutschland schwappte erst recht.

Ich habe 1989/90 „aktiv“, sagen wir leidenschaftlich, angefangen Skateboard zu fahren. Ich war nicht schlecht für meine Zeit. Ehrlich. Konnte zwar keinen Impossible wie der Helge vor dem Wittwer, dafür für über sieben bis acht nebenaneinanderliegende Decks ollien, einen 540° Shove It und einen 180° Kick-Flip. Klingt heute grandios lächerlich, damals konnte man zumindest seine Kumpels bisschen beeindrucken. Die Mädchen selten. Hab es versucht. Dass Mädchen auf Skater stehen bleibt zumindest in meinem Leben eine Legende. War wahrscheinlich nicht richtig rough genug mit 14/15. Bart wuchs auch keiner. Bier schmeckte schon damals nicht. Laut rülpsen brachte mich den Zielobjekten ebenfalls keinen Schritt näher.

Ich war schon wieder Skater a.D., weil die Dreifach-Kickflip-to-Bluntslide-to-Frontfood-Doubleflip-off-Welle meinen 540° Shove It abartig verblassen ließen wie heutzutage mein Outfit neben einem Herrn Thorsten W. oder Moritz E., als ich 1994 ich mein Snowboard-Debüt hatte. Die befreundete Wintersport-Familie P. hatte einen Platz frei im roten Panzsat ohne Servolenkung, den später mein Kindergartenfreund Robbe übernehmen sollte.

Es ging nach Balderschwang in Bayern. Im Kombi: Mutti P. und ihre drei famosen Söhne, genannter Robbe, Matze und Bernie. Drei völlig unterschiedliche Charaktere mit einer gemeinsamen Eigenschaft: Beim Sport muss es absolut selbstlos in eine Richtung gehen. Nach vorne. Vollgas. Lebensmotto: No risk no fun. Die meinten das ernst. Ich kenne heute niemanden, der no risk no fun sagt. Folgerichtig holte sich Robbe irgendwann auf dem Skateboard seinen Kreuzbandriss ab.

Ich war vor meinem ersten Schneebrett-Erlebnis selbstbewusst und tief überzeugt, dass das mit dem Boarden völlig easy ist, tönte im Vorfeld rum, jaja, ich bin ja schon Skateboard gefahren. Voll easy!

Ich bin in den letzten zwölf Jahren mehrere Tausend Kilometer gelaufen. Grob überschlagen zwischen 25 bis 30.000. Darunter waren unter anderem drei Marathons plus das dazugehörige sehr intensive Training. Nach einem Marathon läuft man etwas breitbeinig, und es schmerzt ein, zwei Tage ein bisschen – aber ich war noch nie in meinen Leben so fertig wie nach meinen ersten Boardertag in Balderschwang. Gut, 1994 war ich eben auch einfach alles andere als fit.

Pfeifendeckel war es mit easy. Paar Meter geradeaus gefahren, im Tiefschnee-Feld gelandet. Mühselig und keuchend wieder ausgegraben, wie aus einem Sumpf. Am Ufer drei lachende Brüder. Und Stress haben sie gemacht. Wir müssen hier runter, wow, da 10 Meter Tiefschnee, da drüben ist die Sonne, lass uns schnell dahin fahren. Ich kam natürlich kaum hinterher. Nach zwei, drei Stunden konnte ich so bisschen den Berg runter, ähm, auf der Kante rutschen.

Gegen Mittag wartete ich mit Bernie am Sessellift. Er hat sich aufopferungsvoll um mich gekümmert hat, Robbe und Matze war ich zu lahm. Es war ein sonniger Tag, Balderschwang war ausgebucht wie die Schräglage am Wochenende, circa 200 bis 300 Menschen warteten auf ihren Transport nach oben. Wir kamen an die Reihe, er, goofy, links, ich, regular, rechts.

Der Zweisitzer rauschte an, ich stand wohl zu weit aussen, verpasste den optimalen Draufspringpunkt, wurde von dem Lift mitgerissen, hielt mich an dem Stahlgerüst fest und ließ mich John McLane-mässig noch circa 20, 30 Meter lang mitschleifen. Vor meiner Nase tobte vor Lachen der Bernie. Ich ließ schließlich los und versank im Schnee, der Lift-Wächter blöckte mich wie blöd auf bayrisch an, hinter mir 300 Menschen, die sich in der Mittagssonne an meinem Stunt erfreuten. Guck dir den geilen Depp an. Ja sorry.

Den restlichen Tag brachte ich solide herum, hatte das Board gegen Ende okay im Griff und Robbe beruhigte mich, dass ich nicht der erste sei, der den Einsatz am Lift verpasst. Ich merkte schon auf der Rückfahrt, dass ich völlig am Ende bin. Jedes Körperteil brannte. Knochen wie Muskeln. Keine Kraft für nichts. Zu oft aus dem Tiefschnee gebudelt. Daheim erst mal Badewanne. Soll gut tun. Ich war nicht mal mehr fähig meine damals langen Haare zu waschen und musste Mutti rufen. Ehrlich. Meine Finger waren taub. War peinlich Part 2 an diesem Tag. Sie hat es aber gerne gemacht. Mutti halt.

Hat übrigens danach dann immer gut geklappt, konnte sogar irgendwann paar Moves, und die Snowboard-Urlaube zählen zu meinen schönsten Erlebnissen. Wenn sich jetzt im Winter die Snowboardpremieren häufen, wie am kommenden Samstag im Delphi mit dem Maßstäbesetzer-Streifen „The Art Of Flight“, dann denke ich nicht nur an die Wochen in Frankreich sondern zu allererst an Balderschwang, Home of Muskelkater.

Artofflightmovie.com

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12 Comments

  1. Absolutes Muss, der Film.
    Und ich kann leider nicht.
    Kommt so schon irre in HD auf dem Fernseher, möchte nicht wissen, wie einen der von der Kinoleinwand runter tief in den Kinosessel drückt.
    Hammer Aufnahmen, Tricks, die kein Mensch mehr benennen kann, unfassbare Backcountry-Lines und und und.
    Wer Zeit hat und nicht hingeht, dem ist auch nicht mehr zu helfen. Selbst Nichtsnowboarder wird es beeindrucken. Vorher halt noch ’ne Bommelmütze, ähh, ’nen Beanie im Funsportladen der Wahl kaufen, nicht vergessen, sonst ist man gleich geoutet, bei all den schneesportlichen Menschen.
    Der beste Spruch ist wirklich „What planet the fuck are you from?!“ und beschreibt die darauffolgende Aktion absolut passend.
    Viel Spaß!

  2. says: TG

    Derbe, das erste Video hat einen Soundtrack von Arch Enemy! Mist, eigentlich wollte ich diesen Winter mal nicht boarden gehen und das Geld besser sparen – aber what the heck, ich muss einfach boarden gehen!

  3. says: afro-dieter

    Aber sowas von dabei – Endlich zieht mein Lieblings-Football Team in die gebührende Arena – Nutzt Ihr die LED Wand fürs Live-Bloggin?

  4. says: Kollege Geiger

    Regular rules! Hab’s damals am Ifen unter den gleichen Schmerzen gelernt. Wird Zeit für ne Kessel tv Snowboard-Ausfahrt. Setzer kann ja Rodeln.

  5. says: MCBuhl

    Wuha. Nach über 10 Jahren Pause, mittlerweile mit Kessel, nach vorne aufstehen ist im Flachen echt Sport! Aber s’curvt immer noch wie eine 1!
    Wobei: ihr seid ja bestimmt alle Softboot-Ritsch-Ratsch-Bindungs-Fahrer…

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