Unglaublich, aber wahr: In Stuttgart ist jeden Tag, jedes Wochenende immer noch super viel los, obwohl Jürgen aus Stuttgart-Renningen oder Birgit aus Stuttgart-Neckartailfingen permanent auf Facebook damit drohen, nicht mehr nach Stuttgart nei fahra zu wollen.
Die Gründe für den Boykott liegen für die vielen Stuttgart-Kritiker:innen auf der Hand: Keine bzw. viel zu teure Parkmöglichkeiten, zu viele Ampeln, zu viel Staus, zu viele Baustellen, zu viele Demos, zu ramschig, zu viel Luxus und zu teure Bahnen und Busse.
Sowieso ist alles nicht mehr wie in den 1990ern, als man noch gemeinsam mit seinen Freunden seinen Penis in einen Mövenpick-Freundschaftsbecher reinstecken konnte, ohne dass direkt die Woke-Polizei hinter dem Pauls Boutique hervorgesprungen ist. Man darf ja heutzutage gar nichts mehr.
„Stuttgart blutet aus und verödet komplett“, so die einhellige Meinung im Internet, wenn wieder ein Traditionsgeschäft unverschuldet selbstverschuldet schließen muss, weil es vielleicht den Zeitgeist verpasst hat, aber das Helga und Heiner noch von ihrem letzten Ausflug nach Stuttgart im Jahr 1998 kennen. Gute alt Zeit und überhaupt, „ich will mein altes Stuttgart zurück!!!1!1!“ wird in diesen Diskussionen ebenso gerne gedroppt und sorgt für große Like-Stürme.
„Stuttgart sagt mir ganz deutlich, ich bin nicht willkommen“, drukiet Holger aus Stuttgart-Benningen wütend unter einem Facebook-Post über den Superblock in Stuttgart-West.
Das Stadtteil-Thema sollte ihn in Benningen eigentlich überhaupt nicht tangieren, aber seine Meinung teilt Holger trotzdem gerne mit, denn immerhin gefährden derartige Büllerbü-Projekte den schwäbischen Wohlstand, warum auch immer, und Stuttgart ist dem Untergang geweiht. „Ich werde ab sofort einen großen Bogen um die City drehen, aber meine Kaufkraft nehme ich mit. Am Breuningerland Sindelfingen kann man noch kostenlos parken!“
Da hat er ordentlich ausgeteilt, der Holger. Sein Mitstreiter René aus Stuttgart-Bernhausen wird da noch deutlicher: „Keine Sau bringt mich mehr nach Scheißgart!“
Entgegen all diesen Aussagen passiert in Stuttgart vor allem eines: Die Stadt brennt wie ein ganzjähriges AC/DC Konzert und ist ein Dauer-Ankerplatz der Freude wie ein 365-Tage-Fischmarkt.
Ab 10 Grad wächst den Stuttgarter:innen und Tausenden von Nähe-Stuttgart-People ein Vino-Glas aus der Hand, der gesamte Innenstadt-Boden ist Lava, die City explodiert und platzt aus allen Ritzen. Nur ein Fact: Im Jahr 2023 konnte die Königstraße die Anzahl der Flaneure auf knapp 18 Millionen erhöhen (2022 waren es rund 13 Millionen).
Auch im Rathaus hat man die unzähligen wir-fahret-nicht-mehr-nei-Drohungen mit großer Sorge verfolgt und ist verblüfft, dass überhaupt noch irgendeine Person durch die Innenstadt läuft. „Wir können uns das nicht erklären, warum immer noch so viele Menschen nach Stuttgart kommen. Normalerweise stimmt ja das, was die Leute ins Internet schreiben. Das ist Gesetz“, meint eine völlig perplexe Pressesprecherin der Stadt Stuttgart.
Woran das letztendlich liegt? Man kann nur spekulieren. Vielleicht weil Stuttgart das Epizentrum einer Metropolregion mit 5,2 Millionen Einwohnern ist, mit einem mega-brutalen Event-Kultur-Gastro-und-Shopping-Angebot? Ach nee, das ist ja alles ausgestorben, am ausbluten und am veröden. Wohl denn, dann werden wir das Geheimnis von Stuttgart und seiner anziehenden Magic nie erfahren.