Spiegel, wir müssen reden

Du, ich weiß nicht, wie ich anfangen soll. Du weißt ja selber, dass es in letzter Zeit nicht so rund gelaufen ist mit uns. Klar, ich mein, es gibt immer mal Zeiten wo man sich nicht so gut versteht. Aber ich glaube wir haben uns einfach klassisch auseinander gelebt.

Vielleicht hätten wir es einfach bei der Trennung letztes Jahr belassen sollen. Ich weiß, das kam damals alles ein wenig plötzlich, aber das war so eine Bauchentscheidung. Ich musste umziehen, du hattest Ärger mit deinen Chefredakteuren, und da hab ich das Abo einfach gekündigt. Per E-Mail. Ja ich weiß, das ist Scheiße, ich hätte es dir persönlich sagen sollen. Aber Mann, ich hatte echt Stress zu der Zeit.

Und dann hab ich dich ja wirklich manchmal vermisst. Immer wenn ich an einem Kiosk vorbeigelaufen bin, habe ich auf dein Cover geschielt, heimlich. Ich wollte sehen, ob du was Interessantes für mich hast, ob ich was verpasse. Ich hab schon ab und zu an dich gedacht, das gebe ich zu.

Und du hast ja auch nicht locker gelassen. Hast mir einen Brief geschrieben und mich mit einem Probeabo gelockt. So ganz fair war das nicht, aber ich bin ja selber Schuld. Mit einem Abus-Fahrradschloss als Prämie hast du mich rumgekriegt. Du wusstest doch ganz genau, dass du mich mit dem Thema Fahrrad kriegst.

Zuerst dachte ich auch, ja, es war ja nicht alles schlecht, und ich hab mich wieder langsam ein bisschen an dich gewöhnt. An die Zeit mit dir abends im Bett, die halbe Stunde vor dem Einschlafen, die nur uns beiden gehört. Aber dann hast du wieder so Sachen gebracht, weißt du – du hast echt alles kaputt gemacht.

Es waren schon immer die Kleinigkeiten, die mich an dir gestört haben. Aber es sind ja immer die Kleinigkeiten. Die kleinen, schlechten Angewohnheiten. Die Sache mit Hitler auf dem Cover. Dein Kulturteil, der immer soo hochnäsig war. Diese latente Arroganz. Alles immer kritisch sehen und Scheiße finden müssen, auch wenn das Leben halt nicht immer Scheiße ist. Diese mit Stolz vor dir hergetragene Nicht-Ahnung von Computer- und Internetthemen.

Es hat ja eine Weile gedauert mit uns am Anfang. Als wir uns zum ersten Mal beim Arzt im Wartezimmer gesehen haben, ich war jung, gerade mal Anfang 20. Erst fand ich dich ja total unattraktiv, aber das weißt du ja. Ich fand dich altmodisch, trocken, die überflüssigen Textpölsterchen, die du ja später losgeworden bist.

Aber dann haben wir doch geflirtet, ich hab erst in dir rumgeblättert, dann einzelne Artikel gelesen und dann deinen ganz speziellen, tiefsinnigen Humor und deine Intelligenz entdeckt.

Wie wir zusammengekommen sind ist ja echt lustig. Ausgerechnet ein Ex-Junkie, der an meiner Tür geklingelt hat, hat uns verkuppelt. Ich weiß, dass man bei solchen Leuten keine Abos abschließen sollte, aber da hatte es mich schon gepackt, du gingst mir nicht mehr aus dem Kopf, und ich hab einfach unterschrieben, einfach so an der Tür.

Und dann warst du da, jeden Montag. Egal was sonst in meinem Leben passiert ist, wo ich auch hingezogen bin, du warst immer da, montags, in meinem Briefkasten. Und wir hatten immer unser Ritual. Erst hab ich dich ganz durchgeblättert und nur die ganz spannenden Geschichten gleich gelesen. Dann hab ich immer noch mal von vorne angefangen und alles gelesen, was mich interessiert hat. Manchmal hat es dafür sogar noch einen dritten Durchgang gebraucht.

Viele haben ja nicht verstanden, wie offen wir unsere Beziehung geführt habend. Du hast noch 800.000 andere Leser, sogar etwas mehr, das hat mich nie gestört. Und dir hat es nie was ausgemacht, dass ich auch was mit deiner Schwester SPON was hatte. Sogar immer noch habe.

Klar, ich hatte auch Affären mit anderen, aber daraus hab ich doch nie ein Geheimnis gemacht. Eine Zeit lang war es Neon, bis ich zu alt für sie wurde. Oder sie zu jung für mich. Danach habe ich es sogar mit Nido probiert, aber das war auch nicht das Richtige. Nur mit dir war es immer schön, wir sind zusammen älter geworden, reifer.

Mit dir habe ich mich immer wohl gefühlt, du warst immer für mich da, ich hab mich auf dich verlassen. Wir waren fast immer einer Meinung, wenn ich dich gelesen hatte war hatte ich das Gefühl, Bescheid zu wissen was in der Welt passiert.

Aber dann kamen irgendwann die Zweifel. Es dauert ja eine Weile, bis einem so was klar wird. Ich glaube es war der Aldi-Artikel letztes Jahr, bei dem mir dann klar wurde, dass es nicht mehr das Richtige ist. Irgendwas hat da nicht gestimmt. Die These war da – Aldi ist böse – aber in der Geschichte gab es keinen einzigen Beweis dafür.

Das konnte doch nicht sein! Das hatte ich nicht erwartet – nicht von dir! Ich war enttäuscht, und verwirrt. Von da an merkte ich, dass ich immer kritischer wurde. Genauer las. Nicht mehr alles glaubte, was in dir stand, und es gab einfach immer wieder Artikel, die ich dir so nicht abgenommen habe.

Und jetzt, wo ich gerade wieder bereit war, mich noch mal auf dich einzulassen, was machst du da? Bringst dieses Cover. Ein Grieche auf einem Packesel. Sag mal geht’s eigentlich noch? Das ist doch das Letzte, das ist doch nicht dein Niveau! Das hätte ich nicht mal dem Stern zugetraut.

Aber soll ich dir was sagen? Es war nicht mal das Cover, das das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Und es war auch nicht Diekmann, die Geschichte fand ich sogar gut. Es war die Anzeige. Und du weißt genau, welche ich meine. Hallo? Eine Doppelseite! Ich hatte Tränen in den Augen, als ich es gesehen habe, so enttäuscht war ich. Früher hättest du dein Cover eher Rosa gemacht als eine Bild-Anzeige abzudrucken. Aber es war das Geld, oder? Ach, ist doch jetzt auch scheißegal.

Es tut mir leid, aber ich werde das Probeabo nicht verlängern. Und nein, ich hab keine andere. Das ist doch lächerlich. Focus? Stern? Ach komm, das ist doch nicht dein Ernst. Die Zeit? Ja, vielleicht denke ich ja ab und zu an sie. Na und? Sie ist nicht der Grund, und das ändert jetzt auch nichts mehr. Es ist vorbei.

Wir sehen uns bestimmt noch ab und zu in einem Wartezimmer oder in einem Flugzeug, vielleicht lass ich mich dann noch hin und wieder auf dich ein. Aber warte nicht auf mich, es lohnt sich nicht.

Wir können ja Freunde bleiben.

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31 Comments

  1. says: Martin Sp.

    Achja, das kommt mir so bekannt vor. Nur ist es bei mir etwas länger her. Das ehemalige Nachrichtenmagazin (Nerd-Spott) hatte ich zwar nie im Abo, aber Woche für Woche am Kiosk gekauft. Bis ein neuer Chefredakteuer kam. Einer der bisher TV gemacht hatte. Einer der den Unterschied zu Print nicht kannte oder dem es egal war. Irgendwann wurde es mir zuviel. Nur noch einseitige Reportagen, weniger bis gar keine Hintergründe. Tja, das war es wohl. Ich zucke immer noch zusammen wenn ich mal was von Aust mitkriege.

  2. says: martin

    ich les ihn schon immer eher nur sporadisch (und sowieso ganz selten die titelgeschichten) aber wenn ich was drin lese, ist das meist gut geschrieben. so dieser spiegel grundschreibstil hat sich, meinem empfinden nach, nicht verändert. ich find eher dass das webangebot gerade in den letzten zwei drei jahren nachgelassen hat.

    und was die großen themen angeht – da geht denen halt offensichtlich auch die düse und da denkt man sich in letzter zeit schon öfters am kiosk, okay „auflage auflage auflage!“ aber das scheint ja doch auch nicht zu funken.

    aso und spiegeltv gehört für mich bissle zum sonntag dazu 😉 vor den reporter hab ich schon respekt, die gehen halt mitunter echt da hin wo es richtig weh tun kann. im wahrste sinne des wortes.

  3. says: Frau Doktor

    Mit dem Spiegel habe ich in 1993 Schluss gemacht, als sie auf die rassistischen Anschläge in ganz Deutschland mit einer Reihe wiederwärtig rassistischer Titelbilder reagiertn. Ab und an mal reinspicken zeigt mir, dass ich alles richtig gemacht habe. Ein wiederwärtiges Drecksblatt, dass unter anderem gegen Windräder polemisiert, weil einem ahemaligen Chefredakteur damit die AUssicht auf seinem Reitgut vermasselt worden ist. Und das ist kein Witz.
    Fun Fact: In der Spiegelredaktion fanden sich in den 50er Jahren zahlreiche hochrangige SS-Leute, was der Spiegel bis heute nicht wirklich aufgearbeitet hat – wenn man mal die zahllosen Adi Hitlär- und Landserromantik-Titelseiten mal nicht als Aufarbeitung gelten lässt. Insofern ist ja die Augstein jr.-Obsession mit Israel, der ja für ihn die größte Gefahr für den Weltfrieden ist, auch wieder stimmig.

  4. says: Flo

    Kann mich Frau Doktor anschliessen. Außerdem finde ich es blöd, dass die Spiegel-Kantine hier nebenan nicht öffentlich ist, würde da gern mal hin 😉

    Lese ihn nur noch, wenn er mal in der Bahn liegt und ich nichts anderes hab.

  5. says: LiquidBlue

    Ich finde den Spiegel auch scheiße, hab denen nie verziehen, dass die 1939 in Krakosien einmarschiert sind…

    Aber mal ehrlich: Für mich immer noch mit Abstand das beste wöchentlich erscheinende Magazin in Deutschland. Thorsten hat mir einigen Punkten schon recht, aber von scheiße ist er noch weit entfernt. Letztendlich ist der Spiegel für mich auch nur ein einzelner Baustein für meine Meinungsbildung. Zusammen mit bspw. der Zeit, FAS, TV oder auch den NachDenkSeiten ergibt sich erst ein stimmiges Bild. Bei dem aber für mich der Spiegel nicht fehlen darf.

  6. says: Martin Sp.

    Das ist ja das Beunruhigende, daß der Spiegel immer noch zu den besten deutschen Nachrichtenmagazinen gehört. Weil die Konkurrenz genauso oder einfach grottenschlecht ist.

  7. says: FloHD

    Als neue kann ich da nur die „le monde diplomatique“ empfehlen. Ist zwar eine Monatszeitung, aber lohnt sich sehr!

  8. says: bernd_s

    na ja, wenn ich mir die nicht im Zeitungsformat erscheinende deutsche Konkurrenz an wöchentlicher Journalie anschaue, sollte man den Spiegel eigentlich trotz leider vermehrter Schwächen eher loben als rügen. Das ist zwar ne dämliche der Einäugige-König-der-Blinden-Logik, aber bevor ich Focus oder Stern als Meinungsbilderbuch hernehme steche ich mir lieber auch das 2te Auge aus.

  9. says: mikerolli

    Der letzte wars, den ich mir gekauft habe, am Krankenhauskiosk. Hatte eine Scheißangst, weil eine Niere raus musste. Und dann das:“Die fabelhaften Guttenbergs“. Da war noch kein Plagiat in Sicht, aber der geschönte Lebenslauf von KT schon bekannt. Ich kam mir vor, als hätte ich das bunte Blatt erworben, und Deutschland sollte die Monarchie wieder einführen. Für mich wars das damals.Weiß nicht, ob ich was verpasst habe.

  10. says: ichi

    Mal sehen wie das Personalkarussell weiter geht.

    In 12 Monaten wird bei Bravo die neue Chefredakteurin wieder abgeschossen; sie kann dann mit dem SpiegelChef die Rolle tauschen und den „Verjüngungskurs“ einleiten:

    Auf dem Cover werden sich dann Hitler und Justin Bieber abwechseln…Zielgruppe des MIX : 45 Jahre ===> passst schooo

  11. says: stegoe

    Kann sich noch jemand an „Die Woche“ erinnern? Wurde vor nun auch schon vor rund 10 Jahren eingestellt, vermisse die heute aber immer wieder mal. War die zu ihrer Zeit beste Wochenzeitung, gut gestylt, gut geschrieben.

  12. says: Kanalarbeiter

    Dieser Artikel spricht mir aus dem Herzen.
    Um sich zu informieren ist er sicherlich kein schlechtes Medium, wobei man nie vergessen sollte die Deutungshoheit des Spiegels kritisch zu hinterfragen.

    … und die Nachdenkseiten sind wirklich sehr kritisch. Dort wird nicht gegen die Griechen gehetzt, sondern gegen Schäuble und Merkel. Wenigstens ein Gegengewicht zum Merkel-Mainstream.

  13. says: Dee Kay

    Da bleibe ich doch bei dem einzigen seriösen Nachrichtenmagazin: Super Illu.
    Tiefgründige Reportagen und so weiter.

  14. says: Tino

    Das mit der Bild-anzeige war auch ein echter Hammer. Mal zum einen das Bild das benutzt wurde, zum anderen der Spruch, und zum dritten das sich Der Spiegel für so was hergibt. Traurig.. Ich lese den Spiegel seit Jahren.. Es war das erste Nachrichtenmagazin das ich in der Hand hatte.. Mit 5, und seitdem treu quasi jede Woche.

    Ich muss Martin widersprechen, die Artikel sind meiner Meinung nach schlechter geworden, reisserischer geschrieben, polarisierender, mit weniger hintergrund informationen, etc.. Doch, nach wie vor ist es das einzigste ernstzunehmende Wochenmagazin das in Deutschland gedruckt wird. Und deshalb ist Montags nach wie vor Spiegel tag.

    Über die SS funktionäre geschichte muss ich fast schmunzeln. Ich kann mich nur an Mahnke errinern, der sogar Geschäftsführer beim verband der zeitschriftenverleger war und einen (Six?) der ein paar Bücher rausgegeben hat zusammen mit Augstein Sr, oder dem seine bücher publiziert hat (Bin mir nicht sicher), weiss nur das eines davon „Der Frieden hat eine chance“ heisst..

    Und mal ganz generell, es ist quasi unmöglich eine zeitung, verband, partei, unternehmen, whatsofuckingeva aus der Zeit (Nachkriegszeit, 50-60-70er Jahre) zu finden in dem es keine ehemaligen NS, SS, NSDAP funktionäre gab. Und nicht mal ansatzweise ist da alles aufgearbeitet (Wobei wir ein bedeutendes stück weiter sind als die Spanier oder Italiener).

    Im fazit, Der Spiegel wird zwar kontinuirlich schlimmer, aber immer noch weit besser als die konkurrenz. Und wenn ich mir die verkaufszahlen so anschau verdienen wir (Mal als zeitungsleserschaft generalisiert) auch nichts anderes. Ist ähnlich mit dem Trashtv. Bloss das es da wenigstens mehr auswahl an sendern gibt die noch interessante dinge zeigen und nicht mit dem Mainstream mitschwimmen.

    My two cents.

  15. says: Meursault

    Hier kann ich jeden Satz genau so unterschreiben, das ist 1: meine Geschichte. Zumindest die letzte Trennung hat u.a. mit dem ALDI-Artikel zu tun – ich hab´s auch nicht kapiert was den nun böse ist, der ewig gleichen Titel story-Troika – Hitler-Gender-Gesundheit und zu Weihnachten ein bisschen Jesus. Wir haben uns allerdings schon öfter getrennt, sind wieder zusammengekommen… da war mal eine geschichte von Augstein gegen Windräder, den zweiten Trennungsgrund weiß ich schon gar nicht mehr und aus aktuellem Anlass eben die ALDI-Story.
    Und SPON ist eine reaktionäre Schlampe.

  16. says: MCBuhl

    Wenn hier nochmal einer eine Zeitform von „schreiben“ falsch schreibt, dem sein Lieblingsclub erkläre ich _sofort_ zum Szene-Italiener. Inklusive Venus-Stauten.

  17. says: martin

    „schrub / schrob“ ist (nicht nur) nen ktv gag. hat der setzer eingeführt mal und auch die herkunft erklärt. dann lass ma weiter schruben und schroben

  18. says: moritz

    „Diese mit Stolz vor dir hergetragene Nicht-Ahnung von Computer- und Internetthemen.“

    Naja, es ist wurscht, was es ist – Wenn man von etwas Ahnung hat, hat man immer das Gefühl, der Spiegel trägt seine Nicht-Ahnung stolz vor sich her.

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