„Seien sie doch froh, dass sie im Westen leben“: Einwohnerversammlung Stuttgart-West

Erstes wichtiges Event 2019 (nach dem Bürgerhaushalt natürlich): Einwohnerversammlung Stuttgart-West. Das schwäbische Coachella. In der Liederhalle Stuttgart-Mitte. Zwischenfrage: Wie verfickt und zugenäht geil sind eigentlich diese Räumlichkeiten?

Man wird ja wohl noch Räume loben dürfen.

Die Main-Acts: OB Fritz Kuhn, Bezirksvorsteher Reinhard Möhrle (der an diesem Abend noch verkünden wird, dass er im Sommer seinen Platz nach 14, 15 Jahren für jemand Jüngeres räumen wird, Applaus), BM Isabel Fezer, BM Peter Pätzold, BM Werner Wölfe und BM Dr. Martin Schairer. BM Fabian Mayer war krank, genauso wie die als Stargast angekündigte Landtagspräsidentin Muhterem Aras.

Harte Fakten: Erste Einwohnerversammlung Swest seit fünf Jahren. Dachte, dieser Event findet jährlich statt. Wie so ’ne Eigentümerversammlung. (Beschluss neues Dach und Haussockel. Wer ist dafür? Alle. Gut.) Vielleicht deswegen brutal stark besucht. Fast sold out Concert im Mozartsaal (752 Sitze).

Die Westler sind voll dabei. Also zumindest 650 bis 700 von circa 50.000. Immerhin. Letztes Mal seien nicht so viel da gewesen, so Möhrle. Da hat’s halt noch nicht so gebrannt. (Okay, wahrscheinlich schon.)

2019 dagegen Themen en masse. Parkplätze, Bäume, Sanierungsgebiet S28 (die Elisabethenanlage), Olga-Areal, Mobilfunkmastenstrahlung, G5, Glasfaserkabel, Motoräder auf Gesteigen und so weiter und sowieso bester Stadtteil auf der Welt wo gibt, ey.

Ablauf: Auf Möhrle folgt Kuhn und danach dürfen die Bürger an die Mics. Und bitte, bitte dann die Fragen kurz halten, damit so viele wie möglich beantwortet werden können. Spoiler: Das hat nicht so gut funktioniert. Eigentlich gar nicht.

Spoiler 2: Es war eine total liebe, puschelige Veranstaltung. Kein Gift, kein Grollen, wenig Zwischenrufe, kein Geschrei, keiner hatte Schaum vor dem Mund (zugegebenmaßen sind wir vor der letzten Fragerunde gegangen, vielleicht hat es noch geschäumt). S-West, home of the love. Land of the free. Not of Facebook-People. Vielleicht waren die ja auch da. Und trauten sich nicht auf die große Live-Tastatur zu hauen.

Der schwäbische POTUS Kuhn wie gewohnt mit einem sehr stoischen Set in einer Tonlage. Er rattert die West-Geschichte runter. Ein ganz besonderer Stadtteil (logo). Lage, Geschichte, Industrie, Menschen, Gastro, Einzelhandel. Alles super. Und Robert Bosch hat ja damals im Westen den Magnetzünder erfunden.

Das große Ganze folgte flott nach dem Wiki-Einmaleins. Die Mietsituation. Die Durchmischung. Viele Singles. Viele Ein- bis Zweizimmer-Wohnungen werden benötigt. Alle wollen im Westen wohnen. Schwierig, das. Im Westen gäbe es aber weniger Autos pro 1000 Einwohner als in anderen Stadtteilen, was man natürlich anhand der zugeparkten Straßen nicht erkennen kann, gnhihihi (aufstöhnendes Gelächter in der Bürger-Arena).

Carsharing wird im Westen gut genutzt. Ist total wichtig, dieses Carsharing, weil ein Car, das geshared wird, ersetzt sechs bis sieben Autos. (Hoffe, ich habe mir das richtig gemerkt. Bitte diese Stelle der SPIEGEL-Dokumentation vorlegen.)

Und sowieso gilt im Verkehr: Wir müssen alle gegenseitig Rücksicht aufeinander nehmen. Autofahrer, Radfahrer, Fußgänger.

Da war für eine halbe Sekunde lang was los im Saal. Besonders beim zweiten Satz. Wir wollten schon die Bürotechnik zünden und „Dietrich raus“ zu rufen. War aber das falsche Stadion.

Fazit seiner gut halbstündigen Rede: Egal, wie viele Probleme es im Westen geben mag, die es (natürlich) zu lösen gilt, wenn man sie überhaupt (aktuell) lösen kann, denn z.B. das Mietspektakel wird in (naher) Zukunft genauso burnen wie die nächste Sommerhitze (ausgleichende Grünflächen needed): Wir Westler sollen doch einfach mal was gut finden.

Tun wir ja auch. Also ich zumindest und formte für Fritz das Westwide W (dafür brauche ich übrigens immer beide Hände, die Finger einer Hand bekommen das alleine nicht hin). Nein. Natürlich nicht.

So, Fragerunde. Jetzt wurde es richtig gemütlich. Da darf man im Mozartsaal auch mal die Schuhe ausziehen:

Kurz dachte ich, keiner traut sich, aber dann bildeten sich schnell kleine Schlangen vor den vier Mikrofonen.

Es prasselten auf die Bürgermeister ein: Weniger allgemeine, den Westen betreffende Anliegen/Missstände/Probleme, sondern überwiegend persönliche Befindlichkeiten im eigenen Radius – das ist nicht böse gemeint und teilweise waren die Anfragen absolut nachvollziehbar – die oftmals sehr langwierig und komplex formuliert wurden, siehe Stichwort „Aufsatz“. Oder: Wenn ich schon mal am Mic bin und die Möglichkeit habe, mit (echten) Bürgermeistern zu kommunizieren, dann koste ich diesen Moment so richtig aus.

Nach drei Fragen antwortete das Bürgermeister-Podium. Ich war beeindruckt, wie sie nach den langen Frageblöcken den Faden nicht verloren haben (wie ich z.B.), sachlich (gegen)argumentierten und bei jedem Thema (Wiederholung: Mobilfunkmastenstrahlung und 5G (mehrere Fragen dazu), S28, irgendein Hinterhof in Lindenspürstraße, startende Motorräder auf Gehwegen, die Abgase in die Wohnungen blasen etc.) die aktuelle Faktenlage ins Hirn downloaden konnten. Aber genau deswegen ist man wohl eben Bürgermeister.

Btw: Das Schickardt-Gymnasium gehört zu S-Süd. Eine Mutter beschwerte sich, wie konzeptlos das WLAN an der Schule eingerichtet wurde und die Kinder einer zu hohen Strahlung ausgesetzt wären. Die Antwort der Bürgermeister habe ich vergessen. Vielleicht: Das Schickardt-Gymnasium gehört zu S-Süd? Kollege Robby meinte aber nur: „Die sah jetzt gar nicht so Aluhut-mäßig aus.“

Kurz bevor wir das Festival verliessen, wurde die vermeintlich ganz arg schreckliche Müllsituation beim Edeka/Rewe-Schwabstraße (man sah wieder, dass jeder beim Punkt Müll seine eigene Wahrnehmung hat) angesprochen und ob nicht die Verkehrsüberwachung diese VERMÜLLUNG (!!!!11!!) noch mit kontrollieren und direkt Sanktionen („das heißt also Strafen“) aussprechen könnte.

Das war ein guter Zeitpunkt, the wundervolle Gebäude zu leaven. Komme aber gerne wieder zur nächsten Eigentümerversammlung. Weil ich froh bin, im Westen zu leben. Nächstes Mal gerne mit Bier. Oder zwei.


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