Review: Depeche Mode in der Schleyerhalle Stuttgart

Gestern Abend gastierten Depeche Mode in der Schleyerhalle. Da ich weiß, dass unser manchmal sehr kommentierfreudiger Leser JoeJoe ein Die-Hard-Fan seit den 80ern ist, habe ich ihn kurzerhand gebeten einen kleinen Konzertbericht zu verfassen, bevor er wieder den Nachmittag auf der faulen Hit liegt ;).

Er fand Dave Gahan und Co. super, im Gegensatz zum Beispiel zu meinem Kumpel Udo, ebenfalls ein großer Depeche Mode Fan, der seiner Meinung nach schon bessere DM-Konzerte erlebt hat. Kollegin Anja war für ihren Gig-Blog ebenfalls vor Ort. Here we go.

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(Alle Fotos Helen Brückner)

Für dieses Konzert gestern Abend in der Schleyerhalle darf man guten Gewissens die Worte einiger Journalisten bemühen: Es war nicht nur ein Konzert, sondern ein Abend mit Freunden, eine Party.

Kurz nach 21:00 Uhr Uhr betrat der Meister und seine Band die Bühne. Zunächst sorgte man sich nach der langen Tournee und der Krankheit im Sommer noch über Gahans Zustand, aber dieser präsentierte sich als ein erstaunlich frischer Frontman samt kraftvoller Stimme. Ich selbst war überrascht. Erst im Juni hat er sich beim Open Air in Frankfurt wohl noch eher geschont.

Nach einem melancholischem Beginn mit einigen Songs der aktuellen Platte begann die Party. „Wrong“ kam energiegeladen rüber und offenbarte Daves charismatischen Gesang. Neben Klassikern wie „Walking In My Shoes“ oder „Question Of Time“ aus den 80ern war die Überraschung der Setlist definitiv „Fly On The Windscreen“ von 1985, ein wahres Schmankerl für die frühen Fans.

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Seit jeher nicht unumstritten folgte die obligatorische „Martin Gore-Runde“, in der sich Dave traditionell eine kleine Auszeit gönnt.

Im Gegensatz zu früheren Tourneen war das Solo des musikalischen Masterminds dieses Mal nicht ganz so langatmig. Außerdem verbarg die kleine Gore-Exkursion mit der Akustik-Version seines Stückes „Home“, begleitet von Peter Gordeno, das Highlight des Abends. Die musikalische Genialität von Gore war unverkennbar. Hoher Gänsehaut-Faktor und für den echten DM-Fan war alleine diese Performance das Eintrittsgeld von 80 Euro wert.

Begleitet von dem langsamen „Miles Away“ kehrte Gahan auf die Bühne zurück. Im Anschluss verzückte ein Medley aus etlichen Hits der letzten Alben die Konzertgäste, bis dann mit dem sehr gelungenen „In Your Room“ und drei weiteren Songs das Ende des Hauptsets eingeleitet wurde.

Dem eher als Rocknummer vorgetragene „I feel you“ (Dave zu Martin: „You play rough“) folgten das zeitlose „Enjoy the silence“, welches wiederum wie auf jeder Tournee etwas anderes interpretiert wurde. Wo der Kenner zunächst das Gitarrensolo von Gore erwartet, kam überraschend ein Drum-Part von Schlagzeuger Christian Aigner. Als dann schließlich Gore doch in die Saiten griff, tobte die Schleyerhalle.

Der Abschluss war das wohl bedeutendste Lied der Tournee, das für die Fans zugleich eine doppelte Botschaft darstellt: „Never let me down again“. Die Halle verwandelte sich bis in die letzten Reihen in ein Meer aus winkenden Händen. Spätestens jetzt war das Konzert „eine Party unter Freunden“. Man war gefühlt mit auf der Bühne zusammen mit 12.000 anderen Devotees. Bei der Stimmung staunten selbst die Ordner neben uns auf der Tribünentreppe nicht schlecht.

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Die Zugaben begannen mit einem überraschend sensiblen Gore-Solo „Dressed in Black“ von 1985. Beim Klassiker „Stripped“ erklang erneut der Fanchor, bei „Behind the Wheel“ klatschten die Hände, die bei dem Schlußlied „Personal Jesus“ in Richtung Bühne gestreckt wurden. Reach out and touch faith!

Fazit: Definitiv durch die Bank weg eine spielfreudige Band, die gestern einfach Lust hatte. Seit 1987 besuche ich DM-Konzerte und gebe dem gestrigen eine 2 bis 2+. Dazu muss man aber auch sagen, dass Depeche Mode eindeutig in die Halle gehören und nicht in ein Stadion.

Einziger kleiner Wermutstropfen war das Stuttgarter Publikum.

Dies lässt sich womöglich auch damit entschuldigen, dass die Open-Air-Termine in FFM und MUC früher feststanden und die Hallentermine erst später angekündigt wurden. Die „echten Fans“ besuchten also eventuell die Open Airs. Gestern gesellten sich deswegen vielleicht auch ein paar mehr Event-Konsumenten unter das Volk, getreu dem dem Motto: „Da gehen wir auch mal hin.“

Aber es gab schon schlimmere Fälle: Bei der „Playing The Angel“-Tour im Jahr 2006 hätte ich gerne so manche Besucher zum Pur-Konzert geschickt, als man mich fragte, was für ein Lied denn das gerade sei. Es handelte sich um die grandiose Akustik-Version von „Shake the disease“.

Klar, hätte man gestern vielleicht noch gerne „Everything Counts“ oder „Somebody“ gehört. Aber mal ehrlich: Hat man die Stücke vermisst? Ich persönlich war glücklich darüber, diesmal nicht „Just can‘ get enough“ als abgekartete Zugabe serviert zu bekommen, die den Gesamteindruck des Konzerts verwässert hätte. Ob man diesen Klassiker immer wieder spielen soll oder nicht, sorgt übrigens selbst in der Band für heftigen Streit.

Ebenso wurde auf die anstehende Single „Fragile Tension“ verzichtet, als auch auf die aktuelle Nummer „Peace“, die ich aber in der schnellen Version vom Sommer schon vermisste habe. Man muss aber auch sagen, dass sich diesen Luxus nicht jede Band leisten will oder gar kann.

Wir sehen uns wieder in zwei bis drei Jahren – zur Party, unter Freunden.

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10 Comments

  1. says: JoeJoe

    Anmerkung: „Walking in my shoes“ ist nicht aus den 80ern und „Shake the disease“ im Original alles andere als eine Akustiknummer und war genau deswegen so überraschend 🙂
    Aber sonst gut redigiert…

    Geändert vom Martin. Aber wir sind ja auch nicht beim Fc Bayern hier 🙂

  2. says: Björn B.

    Ich muss mich hier ja mal als Ausnahme outen. Im Gegensatz zu den meisten meiner Bekannten konnte ich DM weder in den 80er noch heute irgendwas abgewinnen. Ich finde die Mukke irgendwie nicht so der Bringer…ich glaub, ich bin allergisch gegen Superduperstars 🙂

  3. says: martin

    danke joe.

    ja kann man durchaus geteilte meinung sein. gibt halt schon wirklich ein paar wunderbare perlen, für mich persönlich wenn dann eher aus den 80ern, die sich auch ab und zu mal in ein set einbauen lassen, wie z.b. der shep pettibone mix von behind the wheel. oder der wumms von personal jesus auf der maxi ist ebenfalls grandios.

    nebenbei finde ich, dass die 101 wohl eines der besten live alben ever ist.

  4. says: The Rocket

    …ich war auf dem Open Air in FFM und kann nur zustimmen, dass sich Gahan dort noch ein wenig schonte – nichtsdestotrotz war die Stimmung grandios! Umso besser, dass er wieder richtig fit scheint. Freut mich, dass es gestern so schön war 🙂

  5. says: Vit

    Danke. Passender Review – va. auch dank der Einschränkung was das Publikum angeht, bei ein paar Leuten um mich herum hatte ich das Gefühl die haben die Karten gewonnen, oder so. Im Gegensatz zu JJ fand ich allerdings die 2006 Konzerte etwas besser – die Setlist hat mir etwas mehr gefallen und die Stimmung gerade in Stuttgart fand ich noch etwas ekstatisscher. Bei DM ist das aber Jammern auf hohem Niveau – es gibt Live glaube ich kaum eine vegleichbare Band.

    Visuals technisch hätten der Kollege aber aus den Möglichkeiten (halbtransparenter LED Screen über die ganze Bühnenbreite) noch mehr rausholen könne – viellicht dürfen wir irgendwann mal dran, haha).

    Und Martin, 101 ist das beste Live Album aller Zeiten! Mein Traum wäre ein 101 Revival-Konzert mit genau der Setlist.

  6. Hach, es bewahrheitet sich halt immer wieder: Die besten Konzerte sind diese „Wir sind alle Brüder im Geiste“-sektenähnlichen-Gemeinschaftsgefühlveranstaltungen. Sieht man auch schön, an dem Text hier: „Der Meister“, die „frühen Fans“, das fundierte Wissen über die Band, die lästigen anderen Besucher, die nur kommen, weil sie im Radio gehört haben, dass da was los ist. Um welche Band es dann im Endeffekt wirklich geht, erkennt man nur noch an den Songtiteln und den Abkürzungen (DM, DÄ, RW, Fanta4, BO,…). Schön! Danke JoeJoe.

  7. says: JoeJoe

    Dazu ein paar Dinge: Den Spaß und die Freiheit lasse ich Martin gerne, mich als Die-Hard-Fan zu bezeichnen 🙂
    Logisch sind das die besten Konzerte, auch wenn man eine kritische Betrachtung machen muß. Das „Meister“ schrieb ich eher ironisch gemeint 🙂 Mir selbst ist dieses Dave-Getue ziemlich suspekt. Ich erklärte es auch meiner Begleitung vorab, daß es schon grenzwertig werden kann…
    Anja’s Beitrag auf Ihrem Blog beschäftigt sich auch gut mit diesem Thema. Er ist lustig zu lesen und hat auch mir sehr gefallen. Ich möchte Sie nicht kritisieren, aber es trotzdem erwähnen:
    Das einer der Musiker, die live mitspielen, auch einer der Produzenten ist und beide sowieso eher ein richtige Mitglieder der Gruppe, fällt ja noch unter Fanwissen.
    „Personal Jesus“ ist jedoch vollkommen gegenteilig gemeint. Das sollte man wissen, bevor man diesen Vergleich wählt 🙂
    Die Einstellung zu dieser Thematik ist schon seit „Blasphemous Rumours“ bestens bekannt…

    http://www.depechemode.de/texte/deutsch/depeche-mode/blasphemous-rumours-9.php

    Also alles andere als sich selbst für das oberste Gebot halten 🙂

    @Martin: Personal Jesus wird live eher mit dem Wumms der Maxi dargeboten, zumindest in der zweiten Hälfte 🙂

  8. says: Michi

    Sehr schön geschrieben, Joe, allerdings muß ich Dir zum drittletzten Absatz etwas widersprechen: Wenn man sich die Setlists der anderen Deutschlandkonzerte auf depechemode.com anschaut, dann hatten wir Pech mit den Martin Gore-Songs, da hatten die anderen Städte statt „Sister of Night“ und „Dressed in black“ nämlich „Shake the disease“, „Somebody“, „A question of lust“ oder „Clean“. Und diese Songs hab ich in Stuggi definitiv vermißt.

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