Happy Birthday re.flect! Im Oktober 1999 erschien die erste Ausgabe des Stadtmagazins, damals zunächst noch im A6-Format, bis man 2006 auf A5 hochschraubte (zunächst glaub sogar auf Ami B5). Kluge Entscheidung und ich hätte diese Transformation auch immer gerne bei Subculture (A6) durchgefüht, aber gut, dafür jetzt A7-Heft fürs Smartphone.
Das reflect war für rund anderthalb Jahre lang mein erster Job nach dem abgebrochenen Studium, Herausgeber Matthias Hauber nahm mich auf (Herzleaugen), erst als Flyerverteiler, dann als „Schreiberling“ (schlimmste Wort ever und dann als Redaktionsleiter. War bei den Launchdays im Herbst 1999 am Start, deswegen feelings 100 und viel Respekt an die Gang Matze, Thilow, Nina und Sarah und Team, für die Leistung in den letzten zwei Jahrzehnten. Gemeinsam saßen wir deswegen auch am runden-früher™-Tisch für die Ausgabe, gibt’s hier.
Special Thanks gehen raus an Willy Löbl von Frischvergiftung. Gemeinsam haben wir das Ding damals in Nachtschichten zusammengeheftet und auch darüber handelt die folgende Plattform, die ich für die Jubiläumsausgabe bei stiften durfte.
Plattform-Text für 20 Jahre re.flect
Der zeitlich relative Zustand „früher war alles besser“ – früher kann 2018, 2012, 2008, 1999, 1994, 1982 oder das AfD-Traumjahr 1954 sein – ist vielleicht die schlimmste Floskel in der Menschheitsgeschichte (nach #mandarfgespanntsein und „ich bin zu alt für diesen Scheiß“): Weil früher nie etwas besser war (außer myspace).
Was früher, damals, 1999, garantiert niemals nie never ever besser war: Das erste re.flect-Büro in der Bebelstraße 77. Das war so richtig schlimm. Jeder fängt aber mal klein an, sorry, unten im Keller, okay, im SOUTERRAIN, so wie ich meinen ersten Job im reflect-Dungeon, wie es der spätere Redaktionsleiter und bis heutige reflect-Aktivist Michael Thilow getauft hat (Gratulation an dieser Stelle fürs Durchhalten, also nicht im SOUTERRAIN). Nach meinem abgebrochenen Physikstudium.
Wenn man wiederum das Uni-Gelände S-Vaihingen mit dem Bebelbüro vergleicht (Tiefparterre, kaum Licht, vollgemüllt mit frisch duftenden Flyerpaketen, das Kettengerauche von Herausgeber Matthias Hauber) – so schlecht war’s dann doch nicht.
Wie wir wiederum damals gearbeitet haben, schon: Ein Blauhelm-Einsatz zu unserer Rettung wäre mindestens angebracht gewesen. Wir hatten ja nix, außer einen von diesen damals neuen neongrünen, kugelfischigen iMacs G3 (hat glaub 5000 D-Mark gekostet), ein ISDN-Modem und ein Faxgerät, god bless.
Mit diesen technischen Hilfsmitteln haben Graphiker Willy Löbl (heute Visualartist bei Frischvergiftung) und ich ab Herbst 1999 Monat für Monat ein Heft zusammengeschrubbt. Der letzte Tag vor Druckabgabe war besonders schön: Ich war mit den Texten fertig und Willy musste bis früh morgens weiter den 5000 D-Mark Mac anbrüllen (MACS STÜRZEN NIE AB, haben sie gesagt, was haben wir gelacht!).
Derweil hab ich mich auf einer Gartenliege von meinen Eltern pennen gelegt und bin dann, wenn Willy fertig war, mit einer CD-ROM (!!1!1!) direkt zur Drucke gefahren – und Willy hat auf der Gartenliege weitergeratzt. Früher war alles besser!
Früher waren definitiv andere Leute am Drücker im Stuttgarter Nightlife und hatten was zu sagen. Besonders Menschen mit einer gewissen Reputation wollten gerne dem jungen, idealistischen, wohl etwas vernerdetem Redaktionsleiter etwas sagen (aka zurechtstutzen, like wer‘s kennt).
Uwe Reiser (Perfect Lovers, Die Disco, Ladies Night etc) wollte mir einst das kleine Stuttgarter Event-Einmaleins erklären, nachdem ich mir in einem Text einen (kleinen!) Seitenhieb auf seine – in meinen Augen – stets etwas langweiligen Partys nicht verkneifen konnte, was natürlich dem damaligen „Partyzampano“ (auch so ein unendlich schlimmes Wort) gar nicht passte: „Weißt du Martin, das Nachtleben ist vielfältig. Es gibt solche und solche Partys.“ Danke für die Info, Uwe!
Solche, wie sie Uwe veranstaltete, gibt es schon lange nicht mehr (Motto, viel Deko, viel Kladderadatsch, schweigendes Vor-sich-hin-Tanzen, trotz vieler Skifahrer*innen, wunderte eigentlich), und die solchen haben überlebt und sind über die letzten zwei Jahrzehnte konstant besser geworden. So zumindest meine Beobachtungen (fast) jedes Wochenende ((noch) kein Kind, kein Hund daheim).
Meine (verklärten, verschwommenen) Beobachtungen von der Jahrtausendwende: Wir sahen alle scheiße aus, also so wie heute wieder (diese Geschichte vom alle-20-Jahre-Loop). Die Damen trugen die ersten, damals noch nicht verpönten Arschgeweihe und, tatsächlich, ein paar Monate lang einen Cowboyhut (EINEN COWBOYHUT).
Es gab kaum Clubs (z.B. ein Prag, ein Climax, ein Inner Rhythm, irgendwann wieder ein M1), ein, zwei, drei Bars (Pauls Boutique, Radio Bar und klar, das Oblomow!), und wie gesagt, ziemlich oft ziemlich seltsame Mottopartys, auf denen meistens ziemlich fürchterlicher Vocal-Disco-House lief. Und ALLE tranken, sorry, soffen, Vodka Red Bull.
Das Jahr 2000 war nightlifetechnisch so karg in Stuttgart, erzähl ich immer wieder gerne in meiner Opi-erzählt-vom-Krieg-Stimme, wir mussten tatsächlich eine Saison lang ins Red Room nach Göppingen (NACH GÖPPINGEN) fahren, um eine ausufernde Samstagnacht zu erleben.
Letztendlich: Wenn man im Jahr 2019 auf das Stuttgart der Jahrtausendwende zurückschaut, und ja, natürlich, vielleicht ist nie alles geil und da spielt ja auch immer ein subjektive Wahrnehmung mit rein: Heute ist, gerade im Stuttgarter Nightlife-Betrieb, vieles besser als 1999/2000. Wesentlich besser.
Okay, vielleicht manchmal etwas Gucci hier, zu viel Schlauchboot dort und das Arschgeweih wurde vom inflationären Halstattoo abgelöst, aber scheiß drauf, alles besser heute.
Sogar das reflect-Büro ist besser. Weil nicht mehr im SOUTERRAIN. Auferstanden aus den Bebelruinen – möge es noch lange drucken. Hold my Gartenliege und alles Gute.
Alter. Red Room. Wie damals da JEDER hingetingelt ist. Gefühlt Stunden. Und noch mehr gefühlte Stunden wieder heim.
Hahaha, ich muss aber sagen, mein Gefühl war, hin hat es sich mehr gezogen als heim – außer man war total knülle danach 😉
Ja das war echt verdammt weit weg
! wars auch !
Martin, dein Gefühl täuscht dich nicht. Der Psychologe spricht da vom „return trip effect“. Wegen den Erwartungen an das Ziel fühlt sich der Hinweg länger an als der Rückweg.
Wenn man z.B. ans französische Mittelmeer in Urlaub fährt…
Hinfahrt: Wir sind ja erst in Lyon.
Rückfahrt: Wir sind ja schon in Belfort.
Gefühle wo man schwer beschreiben kann, aber wohl doch
Wie hieß denn der Laden bevor er Red Room hieß?
Kann mich erinnern, da mal auf ner Party von Mick Wills gewesen zu sein
Gabs nicht auch noch das Zapata,Npir, Zollamt und Le Fonque um diese Zeit herum ?
ja klar, gab natürlich noch ein paar läden mehr, gerade natürlich le fonque sehr wichtig (für mich), aber das ging ja leider auch nur sehr kurz
Als ehemaliger GP‘ler, (God save the Kleinstadtdialekt) waren die DM 50,- Gutschein-Besäufnisse im Proton auch immer eine große Weltreise, den Weg zurück weiß ich leider nicht mehr.