Nostalgie in Stuttgart: Früher war alles anders

Auch im Nachtleben sagt man gern mal, früher war alles besser. Bullshit. Früher war nicht alles besser, nur anders. Und nicht weil die Zeiten anders waren oder die Umstände – nein, wir waren anders. Oder jünger. Oder beides.

Ich war mit 15 zum ersten Mal in einer Diskothek. Weil mein Bruder gerade 18 geworden war, den Führerschein und ein Auto hatte – unser Ticket raus aus dem Dorf. Die Disco hieß K-O (sinnigerweise war darüber eine Nobeldisco die Okay hieß), wir waren schon um 8 da und standen vor verschlossener Tür. Wir wussten es nicht besser.

Dann sind wir in eine andere Disco gefahren, die hieß Manhattan und sah auch so aus. Aber da lief Prodigy, noch nicht „Outta Space“, sondern „Everybody is in the place“. Später im K-O lief „Mistadabolina“, das hat mich bis heute nicht losgelassen.

Im selben Jahr war ich bei meiner ersten Technoparty, an Weihnachten ist das 20 Jahre her. Die Disco hieß Top 10 (es gibt sie heute noch), und ich hatte von der Party im Südkurier in der Veranstaltungsrubrik gelesen. Weil es damals noch kein Internet und keine Partymagazine gab. Dort sollten L.A. Style live spielen, die mit „James Brown Is Dead“ einen Radio-Hit hatten, der sogar bis zu SWF 3 durchgedrungen war.

Ich war 15 und bin trotzdem reingekommen. Und ich stellte mir – ernsthaft – diverse Fragen: Warum hat hier jeder Song den gleichen Beat? Wieso sind da keine Pausen zwischen den Liedern? Wieso tanzen alle Leute wie Madonna im „Vogue“-Video? Und von diesem Abend an, am 23. Dezember 1991, war’s um uns geschehen.

Ab jetzt fuhren wir an jedem Wochenende von einer Dorfdisco zur anderen und liefen straight zum DJ, um zu fragen, wann denn die Technorunde kommt. Die Antwort war immer „gleich“, und irgendwie kommt mir die bekannt vor.

Es gab in unserer Techno-Anfangszeit auch peinliche Momente. Viele davon. Der gelbe Friesennerz, die Schweißerbrille, die Trillerpfeife. Der Techno-Tanzwettbewerb (wirklich) im K-O, bei dem auch die Posse von Sead, der heute Türsteher in Stuttgart ist, mitgemacht hat. Mein Kumpel und ich haben den zweiten Platz gemacht und statt einer Reise nach London eine Stange Zigaretten gewonnen (wirklich).

Dann haben wir die wichtigste Disco in meinem Leben entdeckt. Die hat uns Tanja gezeigt, die damals cool war, alles wusste und jeden kannte. Heute postet sie Bilder von süßen Kätzchen auf Facebook. Sie hieß Old Abby (die Disco, nicht die Tanja), war in Meßkirch und genau das für die Bodensee-Region, was das Müsli für Stuttgart war: Treffpunkt, Lebensmittelpunkt, Wochenhighlight, Partnerbörse, Musiksozialisierungsstation, ein Platz um Freunde fürs Leben zu finden und einen ganzen Sommer dort zu verbringen.

Wir waren donnerstags dort (Bingo, wie im Müsli), freitags und samstags. 60 km ein Weg, über Land. Wir waren kurz nach Öffnung da und sind gegangen als das Licht angemacht wurde. Wenn mein Bruder mal länger arbeiten musste sind wir auch um 1 noch hingefahren. Hat sich alles gelohnt.

Irgendwann haben wir dort so viele Leute gekannt, dass das Verabschieden mit Küsschen links-rechts-links (macht man im Süden so) eine halbe Stunde gedauert hat. Ein polnisch-französischer Abgang war undenkbar.

Und wir haben getanzt. Zu HipHop haben wir getanzt wie der Fresh Prince, zu NDW und Wave haben wir zwei Schritte vor und zwei Schritte zurück gemacht, zu Rock’n’Roll haben wir versucht den anderen den Formationstanz nachzumachen, zu Bob Marley haben wir gechillt, zum Time Warp haben wir den step to the left und die hands on our hips gemacht, aber am meisten haben wir uns immer noch über die Technorunde gefreut.

Darum sind wir irgendwann 1992 auch mit Tanja nach Stuttgart ins Oz gefahren. Ich war 16 und der Türsteher sah gefährlich aus, wir sind um 9 hin und haben uns einen Stempel geholt, damit wir später wieder reinkommen. Dann haben wir in der Pizzeria auf dem Kleinen Schlossplatz eine Pizza gegessen, lange bevor Switzerland und Pauls Boutique da und wieder weg waren.

Im Oz haben Mike Schmidt und Marco Zaffarano aufgelegt, damals die besten DJs der Welt für mich, ich habe coole Leute gesehen, die auf der Box getanzt haben, um 12 lief eine HipHop-Runde und von der Decke ist der Schweiß getropft.

Ich hab im Oz sogar meine erste richtige Freundin zum ersten Mal mit Zunge geküsst, mit 16, ich hab spät gezündet, es hat nach Kaugummi und Zigaretten geschmeckt. Mein Bruder hatte in Vaihingen geparkt und wir sind mit der S-Bahn in die Stadt gefahren, weil das mein Vater, wenn wir mal in Stuttgart waren, auch immer so gemacht hat. Wo soll man auch parken, in der Stadt.

In der Frontpage, die damals noch schwarz-weiß war, stand, dass es in Stuttgart echte Techno-Bunkerpartys gibt, man solle nur einer Frau folgen, die einen Benzinkanister als Handtasche hat. Bei den Partys stand am Eingang immer jemand mit einer Schüssel, aus der man sich Pillen nehmen konnte, hatte ich gehört. Ich habe die Frau mit dem Benzinkanister aber nie gesehen.

Aber in Schwenningen gab es auch eine Technoszene, und die hat sich im Jugendhaus getroffen, wo der Zivi sehr coole Partys veranstaltet hat. Sead und seine Posse waren auch da, die DJs hießen Jens und Littlefoot. Sie waren unsere Helden, unsere Vorbilder, wie Schmidt und Zaffarano, nur eben in Schwenningen.

An meinem 17. Geburtstag kannte ich Jens und Littlefoot schon so gut, dass sie bei meiner Geburtstagsparty aufgelegt haben, in meinem Kinderzimmer, für 20 Gäste. Eine der besten Partys meines Lebens.

Mit den beiden sind wir auch zum ersten Mal ins Octan nach Emmendingen gefahren. Das war in der Nähe von Freiburg, eine riesige Halle, in der Techno auf einer unglaublich lauten und guten Anlage lief, „Nächste Station Konstabler Wache“. Der DJ hatte eine riesige Trommel hinter dem DJ-Pult, auf die er manchmal im Takt getrommelt hat. Im kleinen Club lief Rock’n’Roll und echte Rockabillys tanzten dazu.

Natürlich sind wir auch zur Love Parade gefahren, mit dem Delirium-Bus ab Stuttgart, als das Delirium noch unten im Oz war und von Nik und Ralph betrieben wurde. In diesem Bus habe ich sehr viele Leute kennengelernt. Mit einem von ihnen habe ich am vergangenen Sonntag auf dem Oktoberfest in München in seinen 40. Geburtstag reingefeiert. Ein paar andere haben später unter dem Namen Motor City Partys gemacht, einer nennt sich heute Ken, ein anderer nannte sich schon damals Tease.

Die Love Parade war noch auf dem Ku’Damm und so klein, dass ich meine Leute verloren und 10 Minuten später im Getümmel wiedergefunden habe. Wir sind neben dem MTV-Wagen hergerannt und haben Simone Angel zugerufen „Simone, we love you“, wir haben unsere Sachen am Bahnhof ins Schließfach gepackt und im Tiergarten auf der Wiese übernachtet, in einer Ecke die Dauerbewohner, in der anderen Ecke die Raver.

Am ersten Abend habe ich einem Berliner 5 Mark gezahlt, damit er mir den Stempel mit Edding nachmalt, am zweiten Abend waren wir im Tresor und im Keller hat hinter Gittern ein Goa-DJ aufgelegt, der mir uralt vorkam und wahrscheinlich so alt war wie ich heute.

Mit Sead sind wir damals so oft donnerstags in den Perkins Park gefahren, dass mir der Türsteher, ich glaube er hieß André und sah aus wie der Rapper von „Informer“, irgendwann die schwarze Karte gegeben hat. Damit hatte ich freien Eintritt und freie Getränke.

Uwe Hacker hat mit seinen Thorens-Plattenspielern aufgelegt, der Lichtjockey hatte die passende Lightshow für sein Intro parat, die Frauen haben auf den Boxen getanzt, mit der Seilbahn wurde Konfetti geregnet und Mädchen transportiert, und den Spießrutengang am Fenster ist man mindestens drei Mal am Abend entlanggegangen, auch wenn es andere Wege gab.

Und nicht nur einmal stand ich mit meinem besten Freund am Fenster des Perkins Park, wir haben auf die Lichter der Stadt geschaut, uns feierlich angesehen und gesagt: „Irgendwann werden wir hier wohnen!“

Join the Conversation

31 Comments

  1. says: Sergio E

    kommt mir irgendwie bekannt vor…. 🙂 aber in einer Sache war ich cooler…als es ins OZ ging, habe ich immer in der Stadt geparkt hehehe…

  2. says: alx

    Herzergreifend. Musikalisch erschreckend gleich, auch wenn es bei mir andere Stationen waren. Konstabler Wache kenn ich noch gut: „Geb ich dir korrrrrekte einhundertachzisch oder Speedy J etc…
    Ich bin einmal im Oz nicht reingekommen weil ich zu brav aussah! (Hat der leider sehr freundliche Türsteher mir zugeflüstert..) Und mein Pulli war vom Abseits höhö, da hat der Danny noch auf Rollschuhen verkauft.
    Ich denke auch es hat sich sehr wenig verändert. Sicher herrscht ein anderer Zeitgeist, mit den gleichen Opfern und Tätern aber die Struktur ist die Selbe.
    Was mich mal interessieren würde: Platzwahl in Clubs! Geht’s nur mir so oder stellt man sich, wenn man einen Club öfters besucht, immer an die selben Stellen. Warum ist das so? Wenn ich das Muster mal brechen wollte hab ich mich immer über die Affen gewundert „die hier sonst noch so reinkommen“ …

  3. says: krize

    ja denke man stellt sich beim wiederholten besuch immer an die selbe stelle. is eben wie im wohnzimmer, selbes muster. ich stand im alten, guten oz auch immer an meinen drei stellen. vorher noch bissl geflippert und dann abgezappelt. wobei sound war in den anfangszeiten schon teilweise sehr schräg, im nachhinein gesehen. aber goile zeit.
    das kleene oz märkchen weckt schon wieder viele alte erinnerungen. hab mein erstes auch noch zu hause …. inkl gefälschtem pass orange um reinzukommen.
    übrigends hab ich den alten langhaarigen, locken, harley türsteher derletzt auf nem flohmarkt getroffen und im nen topp siku autole für meinen sohn abgekauft und ihn auf alte zeiten angesprochen…. er fands witzig, ich auch 😉

  4. says: lucida

    „…und im Keller hat hinter Gittern ein Goa (tsts)-DJ aufgelegt, der mir uralt vorkam und wahrscheinlich so alt war wie ich heute.“…

    wenn ich mir heute in den alten partysanen und subculture heftchen so die bilder anschaue, wie „alt“ ich damals gewisse leute fand, erschreckt’s mich total – die waren da höchstens mitte/ende 20 und dann weiß ich, wie alt ich heute bin.

    danke für den schönen bericht. streu nur salz in meine wunden.
    ich denke schon, dass es für die kinder heute dasselbe feeling ist wie für uns damals. es ist eben, ja, anders.

    die musik früher war schon klasse, allerdings muss ich schon manchmal grinsen, wenn ich mir die alten bär-kassetten anhöre, was wir für ne ABFAHRT zu vocalhouse hatten…
    heute ist auch nicht alles schlecht. man muss nur mehr danach suchen. aber was ich wirklich hasse, ist dieser neo-acid trash. für irgendwann wünsche ich mir eine party mit kenny cee und daniel bell 🙂

  5. says: Thorstens Bruder

    Uoah – ich hätte da noch ein paar Beweisfotos – wer bietet mehr? Thorsten, daß ich sie weiter unter Verschluß halt, oder die anderen, damit ich sie poste!? 🙂

  6. says: raaafa

    Das K-O ist heute das Delta/Animalhouse, oder? Netter und unerwarteter Rückblick auf die „Dorfdisko“-Zeit im fernen Schwenningen. Wobei die Technozeit und gelbe Friesennerze an mir vorbei gegangen sind. Vermutlich zu jung damals 😉

  7. says: Christian

    Schöner Bericht. Auch ich habe große Teile meiner Jugend im Delta, Douala, Top Ten, Club Prag und nicht zu vergessen, dem Tempel in Radolfzell, verschwendet. Schön war die Zeit.

  8. says: Gregor

    …Douala gibts immer noch, wohl einer der ältesten Clubs in Deutschland. War zwar nur 2,3 mal da aber mit den schmalen Gängen und der Kellerathmospäre erinnert das immer noch an einen Technoclub wie vor 20 Jahren.

  9. says: armino

    Das Old Abby…mannomann. Das waren Zeiten, anschliesend Afterhour im Überlinger Magic oder ab nach Sigmaringen ins Juvinum.

    Das Waren ebenso meine Locations, das Okay nicht. Donnerstags ne zeitlang das Animalhouse auch Delta genannt.

    Manhatten war immer fies da die Schwenninger Chicos nicht allzugut auf uns zu sprechen waren, ich sag nur Quartabrüder. 😉

    In Singen hatte ich zum ersten Mal n Mecca Shirt an….

    Danke für den Backflash!

  10. says: afro-dieter

    Dafür lieb ich diesen Blog – Tatsachenberichte wie es wirklich damals war!(von einem der sich noch erinnern kann) Ohne Angst, ohne Scham und ohne Respekt vor der eigenen Reputation (ich war auch schon in beiden Top 10’s) 😀

    Ich denke das entscheidende bei den Stories aus den „alten Tagen“ ist das Gefühl, dass sie in uns erzeugen.
    Die Mischung aus Wehmut und das „sich-bewusst-machen, wie man selber mal drauf war“ sind einfach überwältigend.
    Wartet nur ab, in 10 Jahren ist das Jetzt „ne geile Zeit“ gewesen 😉

    Irgendwann mal hatten wir auch den Plan, einmal im Monat mit mind. 2 Autos Trash-Clubs irgendwo im Nirgendwo zu besuchen. Würde dann noch mal zwecks Clubliste auf dich zukommen, Thorsten 🙂

  11. says: Christian

    @armino: „Afterhour im Überlinger Magic“…
    Wow, da wird ja eine komplett verdrängte Erinnerung wach! War da zwar nur zwei oder drei mal, aber diese Male hatten’s in sich. 😉

  12. says: Thorsten W.

    Magic war später, oder? „Zu meiner Zeit“ gab’s in Überlingen nur den Galgen… und im Alfons X in Sigmaringen lief ne Zeit lang ziemlich gute Musik. Und manchmal ist man auch in den Dom nach Linda, aber das war selbst für uns zu weit weg…

  13. Sehr geehrte Herren,

    was macht man, wenn „jemand“ weder essen noch TRINKEN kann? – „In 5 Minuten bist DU hier raus!“- das im letzten September- bis heute noch nicht bereinigt.- Schleim, Grind, Impetigo, Syphilis- ICH muss schreiben. Historisch-

    Da kommt der Heeni-Henni- ein verspäteter Bruder Thorsten- der ja auch zum Vollmond gehört und mit seinen vielleicht 19 Jahren „reif“ ist und „Hdruckmiddel “ hat neben seinem JSbrachfehler- det Hirn wie ne Wassersoppe un det Aussehen im Brustkorb wie en Möchtegernschiri- mal mit „Schläfermütze“, mal mit Altenheimhötche vom Schachtmeister Schuss über ne Omi der Platzhirsch erlegt, und dutzt was er kann- die Jagd findet von mir aus nicht statt- anderes Jahrhundert.
    Tally-ho!Nun mal

    Prof. Kretzer, nix für ungut. Benehmen ist Glückssache.
    Di, 29.Sept., 2015

Leave a comment
Leave a comment

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert