Wer Bücher schreibt, muss auch welche lesen. Und zwar seine eigenen. Laut. Vor Publikum. Das war mir bei der Veröffentlichung meines Debütromans ‚autoreverse‚ im Frühjahr 2013 nicht so ganz gewahr, sollte aber recht bald recht klar werden.
Mein Verlag wollte nämlich, dass ich mit dem Buch Lesungen mache. Die zwei Jahre Schreibungen waren ihnen wohl nicht genug. Mit einem Buch tingeln ist, als ob man mit einer Platte tourt. Nur ohne Soundcheck und Nightliner. Bei Lesungen bist du in der Regel abends wieder im eigenen Bett.
Bevor meine Worldtour 2013 losging, hab ich erstmal bei den Besten gespiggelt: war bei Harry Rowohlt, Heinz Strunk, Max Goldt und Rocko Schamoni. Mystery-Zuschau’ing. Und hab zweierlei gelernt: Leute, die viele Bücher verkaufen, verkaufen auch viele Eintrittskarten. Und: die lesen auch nur mit Brille. Kochen allerdings mit irgendwas, was weiter über Wasser rausgeht.
Mein erster Auftritt war eine Art Secret Gig im Ratzer. Wie wenn The Killers im LKA spielen. Neues Material testen und so. Der Verlag hatte ausschließlich Presse und Außendienst und Buchhändler eingeladen. Die Lesung war eher eine Vorlesung, ein Casting, ein „Herr Geiger, kommen sie mal vor an die Tafel und lesen Sie der Klasse laut vor.“ Das Fachpublikum hat sich amüsiert – und mehrere Buchhändler haben sich gesagt „Och, der kann eigentlich bei uns auch spielen.“
Meine erste Lesung unter Realbedingungen war dann in Bad Urach. In der Buchhandlung am Markt. Die hatten sehr optimistisch dekoriert. Mir kam’s jedenfalls vor, als ob es im ganzen Laden nur autoreverse und Wanderführer Schwäbische Alb gab. Bis kurz vor Anpfiff dachte ich: da kommt doch keiner. Und wenn, dann ist’s ein Kurgast. Morgens Wassertreten, mittags Wadenwickel, abends autoreverse und Darmspülung.
Ich hatte ernsthaft Angst, alleine mit der sehr freundlichen Buchhändlerin und meiner musikalischen Begleitung dazusitzen und uns dann doch lieber was aus dem Wanderführer vorzulesen. Aber dann füllte sich die Buchhandlung am Markt plötzlich mit Menschen und Presse und am Ende hab ich ganz oft meinen Namen und „Danke, dass Ihr mich nicht im Stich gelassen habt“ zwischen zwei Buchdeckel geschrieben.
Zwei Fehler hab ich gemacht. Erstens: Wulle getrunken. Wobei die mitgeschluckte Luft mit dem Wiederaustritt nicht bis zum Kapitelende warten wollte, sondern sozusagen zwischen den Zeilen mitschwang. Zweitens: als Zugabeschmankerl den kessel.tv Text „No sleep ‚til Pfullendorf“ über meine Reiseerlebnisse auf der Schwäbischen Alb vorgelesen. Und unterschätzt, dass man am Fuß der selbigen Alb schon ein anderes Verhältnis zum Großstadthumor hat.
Zweiter autoreverse Auftritt vor Publikum war die große Lesesause im Wilhelmspalais. Meine ganz persönliche Nokia Night of the Proms. Wahrscheinlich der größte Bloggeraufmarsch nach der republika. Mir klingen jetzt noch die Ohren und ich fand’s hammer, wie alle mitgemacht haben – vom Kissschminken bis zum Schnapstrinken. Schnaps war unterm Strich zuviel. Hütte war voll, Hotte auch – nee Quatsch. Der bechert ja gar nicht.
Next up: Stuttgarter Zeitung und Stadtkind präsentierten eine Lesung im Tonstudio. Vorher hatte ich mir noch feste gewünscht, mal vor Leuten zu lesen, die ich nicht kenne. Als dann aber fast nur unbekannte Menschen da saßen – und zwar viele – war mir plötzlich mulmiger als erwartet. Wer seid Ihr? Und was wollt Ihr? Bissle schwierig war außerdem, dass ich vor und eigentlich auch während der Lesung je ein Interview führen musste. Hat aber glaub keiner gemerkt.
Dann durfte ich nochmal ganz offiziell beim Ratzer lesen. Sommerabends bei 40 Grad. Mir hat’s gefallen. Den Leuten glaub auch. Besonders einem – wie sagt man politisch korrekt: wohnsitzlosem Druffi? – vor der Tür, der in seiner Hood zwischen Gustav-Siegle-Haus und Four Roses froh war, dass Kultur nicht immer nur Bix-Jazz ist und vor lauter Dankbarkeit permanent an die Scheibe klopfte. Im Ratzer gab’s ganz neue Stücke zu hören – vor allem solche, die im Ur-Ratzer, dem GOVI auf dem Schlossplatz, spielten und der tolle Johannes Wördemann kam für ein Kapitel auf die Bühne und hat uns alle begeistert.
Dann gab’s eine Lesung in der Peripherie, die keine war: der Veranstalter meinte kurz vorher, er will nicht zahlen. Worauf ich meinte, dann will ich nicht lesen. Bin dann trotzdem hin, hab mehr oder weniger mein eigenes Buch boykottiert und stattdessen mit einer Stammtischrunde über die 80er diskutiert.
Die nächste Einladung kam vom Bunten Bücherladen in Bernhausen. Von einem sehr netten und umtriebigen Buchhändler. So umtriebig, dass er uns allen einen sehr guten, regionalen, schweren Rotwein eingeschenkt hat. Noch vor der gut besuchten und beklatschten Lesung waren Buchhändler, Verleger, Buchautor und musikalischer Gast beschwipst bis betrunken. Ich wusste vorher nicht, dass ich so viele Fremdwörter und logopädische Herausforderungen in mein Buch eingearbeitet hatte. Die Lesung war aus einer Sicht mehr eine Lallung, aber unterm Strich die Veranstaltung mit den meisten verkauften Büchern.
Die vorerst letzte Lesung war dann neulich in der Kneipe Friedrichsruh, Waldebene Ost. Es gab Flammkuchen, einen Guns’n’Roses Flipper und auf Nachfrage sogar Diesel, also Bier mit Cola. Viele Gäste schienen dort seit den 80er Jahren mit Flügelschrauben festjustiert zu sein und haben sich entsprechend gefreut, dass mal jemand was aus ihrer Zeit erzählt. Ich selber hatte maximalen Spaß, einen tollen Abend, drei Freispiele und mehrmals Multiball am Flipper.
Besser geht’s eigentlich nicht. Doch – besser geht’s glaub noch! Jetzt am Freitag ist nämlich letzte Lesung. Und weil ich mir selber schon den Mund fusselig gelesen habe, liest mal jemand, der das richtig gut kann: Johannes Wördemann. Den kennt man vom Freitagnachmittag, wenn man zähfließend auf der A81 rumsteht und er sagt, warum. Johannes ist nämlich Verkehrsmoderator, aber was noch viel besser ist: ein sauguter, voll ausgebildeter Sprecher und Rezitator für Bücher und Kunstprojekte.
Durfte ihn wie gesagt selbst schon mal hören und kann das nur wärmstens empfehlen. Auch für Menschen, die schon mal da waren. Ich werd mit meinem Nähkästchen und mit meinem Musikkästchen danebensitzen und zuspielen und reinquasseln. Live-Musik macht der supertalentierte Alex Bruge – und wer will, kommt und hat mit uns Spaß. Ist bissle im Off, dafür können wir aber glaub auch Krach machen. Ich pack jedenfalls mal welchen ein.
Wördemann liest Geiger. Freitag, 15. November, 20 Uhr. Bürgerzentrum Lauchau/Lauchenäcker, Meluner Strasse 12. So kommt man hin.
yeah geiger on award tour with mohammed my man. jaja okay
Dann gab’s eine Lesung in der Peripherie, die keine war: der Veranstalter meinte kurz vorher, er will nicht zahlen. Worauf ich meinte, dann will ich nicht lesen. Bin dann trotzdem hin, hab mehr oder weniger mein eigenes Buch boykottiert und stattdessen mit einer Stammtischrunde über die 80er diskutiert.
no money no gig. und palais war einfach eines der tollsten erlebnisse dieses jahr. ameise ftw.
Als early adopter das Buch ziemlich schnell und in einer Nacht fertiggelesen und als erste Lesung die in der stehengebliebenen Friedrichsruh besucht. War ein Hammer! Dann das Buch meinem Steuerberater geschenkt. Jetzt neidisch, dass ich nicht bei der letzten Gast-Lesung dabei sein kann. Mist.
Wir könnten tickern. Oder streamen. Oder die Lesung bei TED hochladen.
vielen dank für den schönen abend – zurückversetzt in die jugend mit ner weltklasse lesestimme und nem musiker in den ich mich früher womöglich ‚verknallt‘ hätte… her mit dem hörbuch!