Leiden und Laternchen aus: VfB gucken in der Kneipe

In der Stuttgarter Kneipe, die frĂŒher „Zehn Biere“ hieß, traf ich kĂŒrzlich beim Fußballgucken eine Frau. Die Kneipe heißt mittlerweile „Laternchen“. Keine Ahnung, wie die Frau hieß. Sie saß neben ihrem Freund, der dem Fernseh-GerĂ€t in regelmĂ€ĂŸigen AbstĂ€nden „Oh Mann!“ entgegen brĂŒllte. Ich auch. Beim VfB Stuttgart bin ich in der Hinsicht solidarisch.

Sie: „Bist du VfB Fan?“
Ich: „Ja“
Sie: „Wieso das denn?! Die verlieren doch andauernd. Ich finde die Bayern super. Die gewinnen wenigstens.“

Er: „Oh Maaaaann“
Ich: „Oh Mann“

Ich wollte ihr erklĂ€ren, dass Fußballteams wie Hunde sind: Du findest sie nicht, sie finden dich. Und dann ist das eben so. Wahrscheinlich ist das nur beim FC Bayern anders. Viele Fans haben sich den absichtlich als Lieblingsverein ausgeguckt, weil Bayern Glamour hat und Erfolg verspricht – natĂŒrlich durch harte Arbeit. Aber wer denkt da noch daran, wenn der Pokal in den Nachthimmel gehalten wird?

Es ist verlockend, wöchentlich ein bis zwei Erfolgserlebnisse serviert zu bekommen. Sind Bayern Fans mal unzufrieden, dann verstehen wir anderen das nicht. Auch weil uns die Unzufriedenheit auf derart hohem Niveau versagt blieb. Die Bayern scheiterten zum Beispiel drei Mal in Folge im Halbfinale der Champions League. „Ist doch super“, sagte der Wadenbeinbruch zum Muskelfaserriss. Die Bayern gehören offensichtlich konstant zu den vier besten Teams in Europa.

Als VfB Fan bekommt man vergleichsweise wenig Erbauliches gereicht. Wir spielen jetzt schon die dritte Saison in Folge um den Abstieg – und die Chancen stehen leider gut, dass wir es dieses Mal endlich schaffen.

Wie jedes Jahr versucht der VfB den Eindruck zu erwecken, „eigentlich besser zu sein“. Und wie jedes Jahr – und jeder Frustrierte – misst sich der Verein wieder an Tradition, als ob die irgendeinen Bestand hĂ€tte, wenn sie sich bald darauf belĂ€uft, jedes Jahr zum Strandgut der Liga zu gehören. Wie so ein zermĂŒrbender Montag, der nicht enden will.

Neulich sogar auch wirklich montags. Der DJ bei „SWR1 im Stadion“ spielt „Tragedy“ von den Bee Gees, „It Ain’t Over Till It’s Over“ von Lenny Kravitz, „Don’t Give Up“ von Peter Gabriel und Kate Bush – nichts daran war gut oder witzig.

Ich trage schwarz und einen letzten Rest Fassung, fahre mit 120 km/h auf der A67 und schnippe mit Zigaretten nach Fahrzeugen, die in BundesligastĂ€dten angemeldet wurden. Eine kommt zurĂŒck und brennt mir ein Loch in den Pullover.

Wir haben gerade 6:2 gegen Werder Bremen verloren. Ich habe nichts davon gesehen, sondern nur den erregten Kommentator im Radio gehört: „Wahnsinnsspiel“, „GĂ€nsehaut“, „unglaublich“ hat er gerufen – und dann lief wieder Classic Rock Musik. „Besser als Indie Folk“, habe ich gedacht.

Das war’s dann aber auch. Der Rest ist Fußball  – und Fußball ist eben Fußball. Das sagen die Empiriker immer, wenn sie nicht mehr weiter wissen.

Ein Hoch auf alle, die das dĂ€mliche Lied von der nötigen ZĂ€sur fĂŒr den VfB anstimmen, sich in der zweiten Liga wieder zu sortieren und dann bockstark zurĂŒckzukommen. Wie so ein 1.FC Köln.Aber das ist Quatsch. Niemand will das und niemand wollte das je haben.

Als der 1. FC Köln 2012 das letzte Mal abstieg, saß ich gerade in einer Kölner Straßenbahn. Da war Wut, da waren TrĂ€nen und trotzdem gespenstische Ruhe. Den Tag des Abstiegs hĂ€tte jeder Fan sofort gegen einen anderen Tag eingetauscht. Egal, was fĂŒr einen. Hauptsache Klassenerhalt und bitte sofort, noch bevor die Bahn am Babarossaplatz einfĂ€hrt. Nix da „Juhu, Neuanfang!“

Und dann sitzt du da mit deinem VfB Stuttgart und ĂŒberlegst, ob du je empfinden wirst wie ein St. Pauli-Fan und ob das daran liegt, dass der VfB dich zu oft wie einen lĂ€stigen Kunden mit nervigen SonderwĂŒnschen behandelt hat – Fußball, Perspektive, Spaß und so. Aber vielleicht liegt es auch daran, dass uns in der jĂŒngeren Vereinsgeschichte doch etwas gereicht wurde: unsere kleine Dramen kamen immer mit Happy End – Paderborn zum Beispiel.

Auf St. Pauli reimt man „Dramen“ mit „umarmen“, bei uns droht eine andere hanseatische Kultur: DĂ€mme brechen. Wut, Resignation, HĂ€me. Irgendwer muss schließlich Schuld sein: Dutt, Zorniger, Niedermaier, die Eigentore, Didavi, Kackvorstand, ScheißmillionĂ€re, Aufsichtsrat, der Platz – irgendwerherrgottzacknochmal. Als ob es jetzt noch was Ă€ndern wĂŒrde.

Im schlimmsten Falle passiert das: „Wir“ haben lange nicht mehr gewonnen und jetzt steigen „die“ ab. Der Tod der Liebe ist, sie in eine WĂ€hrung umzurechnen: Erfolg, Pokale und so.

Hier, komm. Tradition und GlĂŒcksmomente, mögen sie bittebitte helfen: Timo Hildebrands sensationelle Abwehr in der 87. Minute gegen Bochum oder der andere wundervolle Tag damals im Mai 
 Ecke Pardo, Hitzlsperger Direktabnahme 
 Tor 
 63. Minute: Kopfball Khedira 
 Tor 
 Pfiff 
 Meister, Ohmeingott 
 Ich flipp aus … Pokalfinale vergeigt 
 was soll’s, wir sind immerhin Deutscher Meister.

Im Camp Nou sang- und klanglos gegen Barcelona untergegangen, aber wenigstens stand in der ersten Halbzeit auf der Anzeigetafel: „VfB 1“ und FC Barcelona „Nuuuuuulllll“. Geil. Oder der famose Mario Gomez, der sein Tor direkt vor dem zĂŒndelnden Block des KSC feiert, inklusive Torrero-Schwung.

Doch zu dieser Romantik gehören eben auch erbĂ€rmliche Pokalspiele wie damals gegen Jena oder miserable Kicks gegen 1860 MĂŒnchen, arschkalt im Stadion, wieder nix geholt außer einer ErkĂ€ltung. Alles in eine TĂŒte, zusammen mit dem Abstieg von 1975, der Meisterschaft 1992, dem Mittelmaß und den drei katastrophalen Jahren jetzt – VfB, Brustring fĂŒr immer und so weiter.

Ich soll jetzt wieder aufstehen, wenn ich ein Schwaaaabe biiiin. Mach ich. Wenn’s bislang nicht aufgefallen ist und/oder hilft. Gerne. Schnell noch eine Promi-Umfrage, eine Petition oder ein Stoßgebet raushauen. Oder warme Worte von OB Fritz Kuhn, der die Gefahr eines stĂ€dtischen Imageverlustes sieht, sollte der VfB das eigene Ansehen noch weiter ramponieren.

Und – hahahihignihihi – â€žoben bleiben“, das können wir hier in Stuttgart nicht sonderlich gut. Ich möchte das trotzdem. Drei Punkte gegen Mainz, drei gegen Wolfsburg, zusammenhalten, kĂ€mpfen, Tore machen, keine kassieren, auf geht’s, Klassenerhalt – alles gut und „nĂ€chste Saison wird alles anders“.

Ein Jammer nur, wenn das eigene Stoßgebet langsam aber sicher trotzdem langweilt, weil man es fast schon aus alter Gewohnheit runterbetet. Eine miese Tradition. Wir werden trotzdem aufstehen, obwohl wir uns nie gesetzt haben.

Denn wenigstens die verfickten TrĂ€nen mĂŒssen verdient sein. Welche auch immer.

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5 Comments

  1. says: Kollege Geiger

    Mit der 9 Setzi Setzer, einer der ein Spiel lesen und vor allem schreiben kann. Hammer. Love. (und super eingebettete Filme)

  2. says: Mark E. Ting

    VorschlĂ€ge fĂŒr neue Hashtags:

    – # Im Frustring vereint
    – # In der Zweiten siegt man besser
    – # Dutt dream it’s over

    Als Sponsor Metzger KĂŒbler, der Brustring als stilisierte Rote Wurst

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