Leb wohl, Satchmo: Beim Reitturnier German Masters

Es muss ja nicht immer weh tun, wenn man irgendwo hingeht wo man sonst noch nie war. Ich zum Beispiel war noch nie bei einer Pferdeveranstaltung. Im Gegensatz zum Kollegen Geiger, der echter Pferdefreund, -versteher und -experte ist. Deshalb hab ich ihn am Samstag mit in die Schleyerhalle zu den Stuttgart German Masters genommen. Ich hatte Freikarten, klar, warum geht man sonst da hin.

Ich hatte mich so ganz grob vorher informiert, die Stuttgart German Masters sind ein wohl ganz wichtiges internationales Turnier mit allem drum und dran, Dressurreiten, Springen, Kutscheziehen und so. Samstagabend Springen, das versprach Spannung und Nervenkitzel.

Als wir pünktlich um halb 7 die Halle betreten die erste Überraschung: Die (große) Schleyerhalle, in der ich zum letzten Mal beim P. Diddy-Konzert 2000 war, ist hell erleuchtet und es ist leise. So leise, dass uns die Einlasskontrolleurin an der Tribüne ein dezentes „Psssssssscht“ zuraunt.

Ist ja gut. Als wir an den Reihen vorbeilaufen winkt Geiger in alle Richtungen, „man kennt sich im Pferdesport“. Kurz glaub ich ihm das sogar. Ansonsten alle Erwartungen erfüllt: Viele Pferdemädchen im Publikum, Burberry-Schals, Timberland-Schuhe und echte Louis Vuitton-Taschen.

Und dann geht’s schon los, und ich muss tatsächlich zugeben: Das ist spannend! In der „Springprüfung mit Stechen“ treten diverse Reiter und Reiterinnen auf ihren Gäulen (oder Göppel, wie wir Fachleute sagen) gegeneinander an, die Platzierung errechnet sich aus Zeit und Strafpunkten. Wer beim Springen eine Stange reißt, bekommt Strafpunkte. Tut den Viechern aber natürlich nicht weh.

Schnell zeigt sich, dass man nur fehlerfrei vorne mitspielen kann. Das heißt wer eine Stange runterschmeißt hat schon verloren. Eine Favoritin sorgt fast schon für Standing Ovations, als sie ihr eigentlich scheuendes Pferd dazu bringt, fast aus dem Stand doch noch über die Stangen zu hüpfen.

Wie schon erwähnt ist es fast beängstigend leise in der fast ausverkauften Halle. Doch nach jedem absolvierten Parcours klatscht das vornehme Publikum nicht nur kurz und dezent, für einige Sekunden wird tatsächlich auch Musik eingespielt – und zwar eine exzellente Auswahl. ABBA, „Love Is In The Air“, Lady Gaga, Aura Dionne, Flo Rida – beim Stechen steigt nicht nur die Spannung, sondern auch Lautstärke, Chartplatzierung und BPM der Musik.

Während Geiger sich umschaut, wo denn der DJ sitzt, schlage ich das Reiterjounal Extraheft auf, und guck:

Markus Hiznke, „Profi auf dem Gebiet der Kürmusik“ und an diesem Abend zuständig für die Hintergrundbeschallung.

Wir sind geflasht, beeindruckt und sprachlos, deshalb wechseln wir in der Umbaupause auf den Rat von Geiger hin in die Porsche Arena, wo die so genannte „Einreithalle“ eingerichtet ist. Dort ist es kalt und leer und es stinkt nach Pferd. Am Rand des Einreitbereichs stehen ein paar Mädchen, die sich von den Reitern Autogramme geben lassen, und in der Mitte eine Frau auf einem Pferd, die sprichwörtlich kreuz und quer reitet. Die wahre historische Bedeutung dieses Moments sollte uns erst später klar werden:

Denn zurück in der großen Halle geht gerade die Siegerehrung der Springprüfung zu Ende, und nach einer beeindruckend schnellen Umbauphase vom Springparcours zum Dressurparcour folgt der schon vorab angekündigte Höhepunkt des Abends: Die Verabschiedung von Satchmo.

Satchmo ist, schwer zu erraten, ein Pferd, hat wohl über die Jahre ziemlich viele Preise, Pokale und Meisterschaften gewonnen und ist auch ansonsten eine ganz große Nummer. Und Satchmo geht jetzt in die wohlverdiente Rente, wie der sehr seriöse Moderator in getragenem Ton erklärt.

Zuerst zeigt Isabell Werth, die jahrelang die Erfolge mit Satchmo erritten hat, noch mal was die beiden alles drauf haben – und zwar genau die gleichen Kreuz- und Quer-Übungen, die wir kurz vorher schon beim Einreiten exklusiv nebenan gesehen haben. Ich möchte an der Stelle mal darauf hinweisen, dass mein Video bereits nach einem Tag über 150 250 Views bei YouTube hat!

Nach der Vorführung drehen Isabell und Satchmo eine Ehrenrunde, und das Publikum steigert die Gefühle bis zu Standing Ovations. Wäre der Göppel gerannt und nicht geschlappt, dann hätte man es sogar Loaola nennen können. auch uns hält es nicht mehr auf den Stühlen, wir jubeln und liegen uns in den Armen.

Doch dann geht’s erst richtig los: Isabell und Satchmo müssen sich in die Mitte stellen, alle Spots auf sie gerichtet, und in einem längeren Film werden noch einmal die Höhepunkte von Isabell und Satchmo gezeigt. Immer wieder ist eine jubelnde Isabell zu sehen und ein älteres, gerührt guckendes Ehepaar, das wir schlau als Besitzerpaar identifizieren.

Dann hält zunächst der Moderator eine Rede mit salbungsvollen Worten, es fallen Begriffe wie „Legende“ und „junger Gott“, dann darf noch der Turnierdirektor eine Rede halten, er empfiehlt, man solle Satchmo „nur mal ins Gesicht schauen“.

Satchmo allerdings scheint auf den ganzen Scheiß zunehmend keinen Bock mehr zu haben, er trippelt nervös rum, Isabell reitet mit ihm immer wieder kleine Kreise, bis er schließlich einen ansehnlichen Haufen Pferdeäpfel abwirft. Aaah, das war’s! Danach ist es besser, und das ältere Ehepaar aus dem Film kommt dazu und guckt noch mal gerührt.

Zeit für uns zu gehen, und beim Rausgehen schauen wir noch kurz bei den Merch-Ständen vorbei, vergleichen fachmännisch verschiedene Arten von Stalleinstreu, verkneifen uns, am Essensstand nach Pferdesalami zu fragen und verlassen die Halle. Satchmo, wir werden dich vermissen.

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17 Comments

  1. says: kollege geiger

    Mir hat ja die Publikums-Definition am besten gefallen: „Ah hier ist die Mon Cheri Zielgruppe“.

    In der „Reiterszene“ hab ich aber gestern gehört, Samstagabend ist Kommerzkacke, nur für Ahnungslose wie ein Freundschaftskick. Freitagabend oder Sonntagmittag, wenns um nen Mercedes geht, das wäre der heiße Scheiss. Bei den German Masters 2012 dann!

  2. says: Kollege Geiger

    “ Isabell reitet mit ihm immer wieder kleine Kreise“ – kleine Kreise nennt man Volten. Und DJ hoppehoppereiter hat nicht ABBA gespielt, sondern A-Teens performing ABBA ;- )

  3. says: afro-dieter

    ich war nur einmal im Dilayla, hab aber so einiges davon gehört…
    Apropos, Alles Gute Bernd! Er feiert übrigens heute im Bergamo / Treff 😉

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