Motorrad-Festival Glemseck 101: Laute, qualmende, stinkende Subkultur

Deutschlands grĂ¶ĂŸter Motorblog ist zurĂŒck: Unser Jaytext war vergangenes Wochenende beim zehnten Individual-Kraftrad-Treff Glemseck 101 und hat die Szene mit seiner großen Kamera eingefangen. 

Ungelogen, ich schwöre! Als ich am Samstagvormittag auf dem Parkplatz im lieblichen Glemstal ankomme und den Motor meiner Vespa ausschalte, höre ich „Born to be Wild“ dröhnen. Nicht virtuell in meinem klischeeverseuchten Kopf, sondern ĂŒber die Lautsprecheranlage, die an der ehemaligen Rennstrecke Solitude aufgebaut ist.

Der Anlass: eines der grĂ¶ĂŸten Motorradtreffen Europas. „Ohje, Biker!“, stöhnt jetzt der normale Kessel.TV-Leser und blĂ€ttert hektisch auf seinem 5,5 Zoll-Bildschirm auf der Suche nach Sozialselfies oder tĂ€towierten KalendersprĂŒchen. Die zwei, drei BenzinbrĂŒder – zu denen glĂŒcklicherweise mindestens einer der Blogbetreiber hier gehört – richten sich dagegen erwartungsvoll auf. Denn dieses „Bikertreffen“ lĂ€sst Kenner mit der Zunge schnalzen.

Zum zehnten Mal fand am Wochenende das Glemseck 101 zwischen Stuttgart und Leonberg statt. Was 2006 als subkulturelles Treffen einiger Freunde individuell gestalteter KraftrĂ€der – vor allem sogenannte CafĂ© Racer – begann, hat sich rasend schnell zum europaweit angesagten, Ă€hem, Event entwickelt.

Aus dem nahen Frankreich und der Schweiz, aus Spanien, Großbritannien, Italien und mittlerweile sogar aus Japan reisen die Teilnehmer an. Knorrige Knaben und lĂ€ssige Lauser zeigen, was sie in ihren Garagen und WerkstĂ€tten ausgedacht und gebaut haben.

Zu sehen gibt’s unterschiedlichste Werke sowohl von Freizeitschraubern wie von Profis, die vom Tunen leben. Zur ersten Gruppe zĂ€hlt beispielsweise die bunte Truppe „Young Guns“ aus der Schweiz. Wie so viele andere demonstriert die Moto Guzzi der 20- bis 25-jĂ€hrigen Jungs enorme KreativitĂ€t gepaart mit hoher Handwerkskunst.

Nun sind die MotorrĂ€der ja nicht zum Stehen gebaut worden, deshalb wird das Ganze gewĂŒrzt mit Beschleunigungsrennen Mann gegen Mann beziehungsweise immer öfter Frau gegen Mann oder Frau. Zur Beantwortung einer der Ă€ltesten Fragen des motorisierten Teils der Menschheit: Wer ist schneller?

Wenn das Flag-Girl den Wimpel runterreißt, reißt das rechte Handgelenk abrupt „den Hahn voll auf“ und die Finger der linken Hand lassen den Kupplungshebel schnalzen. Je nach Leistung des meist getunten und gern lautstark ausatmenden Motors sind die 200 Meter bis zum Zielstrich in wenigen Sekunden absolviert.

Gestartet wird mit 50er Mopeds ebenso wie mit Kawasakis neuer Rakete, der Ninja H2 mit 200 PS. Denn fĂŒr jeden findet sich bei den zahlreichen Sprints eine passende Klasse und ein adĂ€quater Gegner.

Star der Szene: der „Sprintbeemer“ mit Vorjahressieger SĂ©bastien Lorentz. Diese BMW von Lucky Cat Garage ist laut, niedrig, spektakulĂ€r und wird von den Zuschauern genauso bejubelt wie Superbike-Exweltmeister Troy Corser aus Australien, der mit einer superseltenen Lotus eine Showrunde dreht.

Apropos Publikum: ĂŒberraschend viele Teenies und Mittzwanziger darunter, jede Menge Flanellhemden und gegelte Haare genauso wie Kutten und lĂ€ngst ergraute Haarschöpfe. Schwarzes Leder, bunte Kombis, abgerockte Stiefel, verwitterte Gesichter. Und viele Frauen, die keineswegs als AnhĂ€ngsel dabei sind, sondern beherzt selbst am Gas drehen. Nein, Biker sind wahrlich keine homogene Gruppe (mehr).

Es herrscht eine angenehm freundliche AtmosphĂ€re trotz drangvoller Enge auf der „Meile“ zwischen den StĂ€nden und erst rechts abends bei den Partys mit Punk-, Rock- und Rockabilly-Musik (Hallo, Musikredakteur bzw. Setzer! Schreibt man das so?).

Sonntagabend. Die Musik aus den Lautsprechern ist verstummt, statt „Born to be Wild“ hallen in meinem Kopf MotorgerĂ€usche nach. Und ein Gedanke beschĂ€ftigt mich: Kann man bei angeblich rund 75.000 Besuchern und der PrĂ€senz großer Marken wie BMW und Ducati noch von Subkultur sprechen oder sollte ich lieber die Überschrift Ă€ndern?

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