Applaus, Applaus, Applaus, Verneigung, Verneigung, Begeisterung im ganzen Saal und die Twitti-Bubble fasste die deutsche Erstaufführung von „Am Ende Licht“ von dem Briten Simon Stephens im Schauspiel Stuttgart gut zusammen:
Und damit endet dieser Text. Alle Bilder und mehr Infos unten.
Ja, Quatsch nein, natürlich nicht, weil KTV war auf großer Theater-Tour. Gab’s auch nie, dass wir zu dritt gemeinsam so richtig deep das Feuilleton live erleben, deep inside Eckensee und warum haben wir uns eigentlich nicht am Riesenrad getroffen?
Ankommen, reinkommen, alles wird ordnungsgemäß gecheckt, was es gerade eben alles so ordnungsgemäß zu checken gibt, die Stimmung inside fühlt sich trotzdem schnell an wie das riesige Banner an der Fassade:
Ja, endlich wieder Theater, die Leute wollen es spürbar, die Bar ist hochfrequentiert, das Publikum heterogen, alle Altersklassen, alle Styles und vor allem viele sehr junge Menschen in Docs und in den immer noch angesagten Teddyjacken. Entweder triggert das Schauspiel selbst oder das Stück oder beides, ich weiß es nicht, toll zu sehen jedenfalls. Dann werden noch KTV-Geschichten ausgepackt:
„Ich glaub, ich war noch nie hier.“
„Ich war seit 30 Jahren nicht mehr im Theater, also zuletzt mit der Schule.“
„Ich war hier zuletzt bei Cosmic Baby.“
Ohne Ahnung und Erwartungen also ins Theater rein, das kann eigentlich nur gut werden. Gong. Gong. Gong. Platz einnehmen, Licht aus, Bühne an, oh fuck wow, da steht ein Supermarkt in monochrom (Bühnenbild von Silvio Merlo und Ulf Stengl). Und in England, wo das Stück spielt, genauer gesagt, im RAUEN Nordengland, gibt es scheinbar noch die Kette Co-op.
Folgende Szenerie: Christine (Sylvana Krappatsch), sagen wir, eine Säuferin, liegt am Boden und stirbt in jenem Supermarkt, den sie zwecks Alkoholbeschaffung (eine Flasche Vodka) aufsuchte, an einer Gehirnblutung. Sie (bzw. ihr Geist) erhebt sich, tritt an den Bühnenrand und hält einen beeindruckend langen, komplexen, detaillierten Monolog über ihr gerade eben geschehenes Ableben (Crashkurs wie-funktioniert-eine-Gehirnblutung) im Supermarkt sowie ihr (verkacktes) Life. Starker Text, das musste ersma abliefern.
Christine, früh angefangen zu saufen, früh das erste Kind geboren, hinterlässt selbstverschuldet eine kaputte Familie, einen Mann und insgesamt drei Kinder (von zwei Beziehungen). In dem Moment ihres Ablebens besucht sie alle noch einmal und schwirrt als Geist durch das Stück.
Ihr Mann Bernhard (Klaus Rodewald) lässt sich während ihres Todes auf das Abenteuer „Dreier“ in einem Hotel ein (Spoiler, floppt so richtig stark). Die Suizidversuch-erprobte Ashe (Nina Siewert), erster Auftritt mit „I love Mom“-Tasse, zwischenzeitlich selbst Mutter von einem zweijährigen Sohn, streitet sich sehr intensiv und auf schaupspielerischer Höchstleistung mit ihrem Junkie-Ex Joe (Peer Oscar Musinowski), der inständig beteuert, jetzt clean zu sein und es wäre doch jetzt das Beste, dass seine Eltern auf das Kind aufpassen würden.
Christines zweite Tochter Jess (Katharina Hauter), eine Grundschullehrerin, hatte Sex-not-Sex (erst doch nicht, dann aber auf einem Friedhof) mit dem liebenswerten, freakigen Schuldeneintreiber Michael (Sebastian Röhrle), jener stilecht in Alpha-Jogginghose, Kapuzenpulli und Weste. Gemeinsam verbringen die frischen Lovebirds einen Tag am Meer, die Stimmung durchaus schwankend und innerlich zerrissen, vor allem Jess. Am Ende wird man ein Paar.
Finally gibt es da noch Sohn Steven (Jannick Mühlenweg), der sich irgendwie durchs Jura-Studium schlägt und permanente Angst davor hat, nicht attraktiv genug zu sein für seinen Freund Andy (Marco Massafra) und der ihn folglich bald verlassen wird.
„Am Ende Licht“ handelt also um (innere) Konflikte, Scheitern, gescheiterte Existenzen, Beziehungen, vorankommen, nicht vorankommen, wo will ich hin im Leben oder wo will das Leben mit mir hin, beziehungsweise mit dem berühmten 2Pac-Bauchtattoo: Thug Life. Oder auch der normale daily Struggle in so vielen Leben.
In dem Fall hat der Autor Simon Stephens sein prekäres Familiendrama in die Post-Brexit-Referendum-Zeit rund um die Gegend Blackpool eingebettet – und das deutschsprachige Schauspiel-Ensemble setzt das durch die Bank grandios um (unsere Rollen-Faves sind Christine, Ashe, Schläger-Michael und Junkie-Joe).
Geschickt arrangiert (Inszenierung Elmar Goerden) werden ähnlich eines Episodenfilms die verschiedenen Szenerien ein und wieder ausgeblendet, die Schauspieler treten auf die Bühne, während die anderen sich an den Rand zurücknehmen. Die Orte (Hotel, Strand, eine Kathedrale etc.) werden spielerisch angedeutet.
Das Bühnenbild bleibt dabei weitgehend relativ minimalistisch, der Raum gehört den Schauspieler*innen. Irgendwann fährt der Supermarkt hoch in Richtung Bühnendecke, wohl eine Metapher für Christines Himmelfahrt. Später wird ein alter Golf auf die Bühne geschoben, dazu ballert tatsächlich „Sandstorm“ von Darude, Jura-Studi-Steven raved oben ohne vor dem Kühlergrill, bei den Vorbereitungen zum Leichenschmaus läuft „It’s Oh So Quiet“ von Björk, weil die Mutter Björk ja so gemocht hat und sechs CDs daheim hatte. Und ja, am Ende steht vielleicht Botschaft, dass der Tod der kaputten Mutter eine Art Erlösung für die Familie ist, die nun eventuell wieder zusammenrückt.
Nach einem längeren Applaus rücken wir beeindruckt aus dem Saal ab und kommen gerne wieder. After Party gab’s keine, das Riesenrad hatte leider schon geschlossen.
Deutschsprachige Erstaufführung: Am Ende Licht
von Simon Stephens, Inszenierung Elmar Goerden
Schauspielhaus Stuttgart
Weitere Vorstellungen:
So. 23.01., 18:00 Uhr
So. 27.02., 15:00 Uhr
Do. 03.03.,
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