Joggen in Stuttgart, ja oder nein? Die runtastische Ferse

Ich gehe nicht joggen, weil ich weiß, dass ich der Typ Seggl bin, der sich kurz vor dem Start noch mal vergewissert, ob er auch Zigaretten, Feuerzeug und Geldbeutel eingepackt hat. Schließlich könnte mich unterwegs irgendwo eine Kneipe, ein Café, Langeweile oder einfach nur ein gemütlicher Ort anspringen. Man muss auf derartige Eventualitäten vorbereitet sein – gerade in Zeiten wie diesen oder halt besonders beim Joggen.

Meine Freunde „joggen“ aber nicht einmal. Sie „laufen“. Oft sogar „runtastisch“. Einige legen dabei Strecken zurück, für die ich mich ins Auto setzen würde, weil es sogar mit der VVS lidrig lange dauern würde.

Manche kaufen sich eigens dafür sogar teurere Schuhe als Frauen, die allerdings nicht mal halb so gut aussehen, wie die von den meisten Frauen, die vor irgendetwas davonlaufen und sich extra dafür denkbar unpraktische Schuhe kaufen. Huch, kurz bremsen. Mir wird schwindelig.

Der RAM ist neulich bei mir am Haus vorbeigesprintet. So sehr,  dass ich sofort schauen musste, wer zum Teufel ihm da auf den Fersen ist.  Wollte ihm helfen, die Angreifer in die Flucht schlagen und so. Superheldenzeug. Da war aber keine Sau zu sehen, weit und breit. Abgesehen vielleicht von der Oma, deren Haare noch ganz zerzaust waren, weil er in einem deratigen Affenzahn an ihr vorbeigeprescht ist, dass sie fast umgefallen wäre. Beinahe ein Knockout ohne Anfassen.

„Stillstand ist der Tod“, hab ich gedacht. „Ich laufe jetzt auch mal“. Meine Freunde sind schließlich allesamt keine Idioten wesentlich heller als ich, da wird schon was dran sein. Vielleicht entwickle ich ganz neue Leidenschaften. Das schadet schließlich nie. Noch einmal „Stillstand ist der Tod“ genuschelt und im Gedenken an Grönemeyer, die Fitness und weil ich wirklich nicht mehr schlafen konnte, tatsächlich um 8 Uhr aufgestanden.

Kurze Hosen, rote VfB Socken (gehen fast bis übers Knie), Social Distortion Kapuzenpulli und Turnschuhe hatte ich mir schon am Vorabend peinlich genau und vorsorglich zurecht gelegt. Wenn ich schon konditionsmäßig eine Pfeife bin, will ich dabei wenigstens so stramm aussehen wie Arthur Spooner im Sommer.

Erste Hürde: Mist, wenn MitbewohnOmatic mich so sieht, muss ich mir hässliche Fragen gefallen lassen. „Hä?“ zum Beispiel oder „Hast du wieder getrunken?“. Ganz zu schweigen von Gast Jonas, der nach Hamburg zieht und Stuttgart bitteschön in guter Erinnerung behalten soll. Hilft nur eins: leise sein, keine schlafenden Hunde wecken und bloß nicht die Mitbewohner.

Nächstes Hindernis: Sporthosen haben zu kleine Taschen. Das liegt vermutlich daran, dass Sportler prinzipiell wenig mit sich tragen. Ich schon. Keine Sau bekommt da Handy, Geldbeutel, Hausschlüssel, Kippenschachtel und Feuerzeug in die Hosentaschen ohne danach auszusehen, wie einer der sich sehr, sehr freut.

Drittes Problem: Wohin eigentlich rennen, ‚zeihung, laufen? Eher landliebemäßig irgendwo hin, wo’s Bäume hat oder dann doch die urbane Nummer? Letzteres ist gefährlich. In Stuttgart werden an allen Ecken und Enden Löcher gegraben, damit wir irgendwann spitze shoppen können. Wenn ich da aus Versehen in eines reinfalle, wird’s richtig hässlich. Da können sich nur andere was davon kaufen, ich nicht.

Bewegung ohne echtes Ziel empfinde ich manchmal auch als etwas unnötig. Ich könnte also bei REWE vorbeijoggen, mit den Ladies vom Bäcker Treiber oder Frau Bonucci an der Kasse abhängen. Ich möchte aber nicht, dass die mich in kurzen Hosen sehen. Obwohl ich die bislang selbst alle nur vom Gürtel aufwärts gesehen habe.

Auch eine Option: weiter zum Marienplatz laufen und der Kleinen Tierschau ihren alten Witz um die Ohren hauen: Ich würde dann behaupten, ich sei Türke und mein Name wäre „Ibin Sportler“, irgendjemand müsste dann sagen „Ibin Gsaut“. Dann würden wir laut lachen. Aber selbst die Tierschau ist um die Uhrzeit noch nicht da.

Neulich habe ich eine Joggerin gesehen, die einen Kinderwagen vor sich herschob und an der roten Ampel Dehnübungen machte. Hätte mich nicht gewundert, wenn das Kind eine Stoppuhr oder keine Lust mehr gehabt hätte. Schon wieder ein Problem: keine der Mütter, die ich kenne, würde mir ihr Kind zum Laufen ausleihen. Und irgendwie würde ich wahrscheinlich nach 500 Metern lieber selbst geschoben werden. Aber Kinder haben da aber selten Lust drauf. Sie sind oft zu klein, zu müde und zu faul, um Kinderwagen zu schieben. Die sind ja auch nicht blöd.

Also, was jetzt? 8:53 Uhr, ich lege erstmal die Platte von Thees Uhlmann auf. Wenn ich orientierungslos bin, dann hilft mir die zur Zeit sehr. Leider geht’s in keinem Lied auch nur ansatzweise um Sport  – auch nicht darüber, wohin Grasdaggl wie ich laufen könnten. Nur das da: „Es gibt eine Zeit zu rennen, es gibt eine Zeit zu ruhen. Es gibt Tage an denen man sich anstrengen muss, die simpelsten Dinge zu tun“. Sportrock ist das nicht. Der Sack meint was anderes.

[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=yH2t8tCuMoM[/youtube]

Mein Freund Stink McFriday, der eigentlich Steffen heißt,  und die Girls fahren oft an den Bärensee und rennen dann aussenrum – haben sie erzählt. In aller Herrgottsfrühe ab 7:30 Uhr oder so. Eine gottlose Uhrzeit. Eine Bekannte von Steffen tippte ihm eine Nachricht: „Um die Uhrzeit geht gar nix, außer Zahnbelag“. Weil Britanja Waterbeach, eine der Damen vom Bärensee, ohne Brille läuft, hat sie da neulich anscheinend gesagt „Oh, ein Schwan“, dabei war das ein Hund am Wegrand. Ich wiederum möchte nicht unbewaffnet an Orten sein, an denen Schwane Schwäne wie Hunde aussehen. Umgekehrt auch nicht. Das gibt meine derzeitige Verfassung nicht her.

Schockschwerenot, schon wieder eine Malheur: so richtig Lust hab‘ ich eigentlich gar nicht, ziellos auf der Straße rumzurennen. Das Wetter ist auch eher mittelgeil. Ganz zu schweigen davon, dass ich mich frage, wie lange es wohl dauert, bis ich verhaftet werde, wenn ich in kurzen Hosen auf die Straße gehe. Von Polizisten. Nicht von Scarlett Johansson. Die joggt nicht in Stuttgart, glaube ich. Stink meint, er befürchte Scarlett sei vermutlich auch etwas doof.

Noch ein Kaffee gekocht, eine Zigarette angesteckt, noch mal Thees Uhlmann belauscht. 9:43 Uhr, sitze immer noch doof da und schaue mir meine Turnschuhe an. Schon wieder Uhlmann: „Wie häufig schlägt dein Herz, wie häufig schlägst du auf?“.  Leck mich am Zipfel, bin schon fast kaputt, völlig aus der Puste, totgelaufen, ausgebrannt – joggen ist mir zu stressig. „Lauf, Forrest. Lauf. Ich bleibe da, wo man sich vermisst“, gerufen. „Zu Hause“. Hab‘ ich von Thees Uhlmann und Caspar geklaut. Ich laufe nicht mehr weg.

Ich hänge später lieber mit Jay Vee im Büro ab. Der ist schlauer als Jay Z  – und: der joggt auch nicht.

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15 Comments

  1. says: Thorsten W.

    Setzer, du willst hier doch nicht ernsthaft deine FB-Statusmeldung von neulich unterschlagen, oder?

    „hat einen runtastischen Lauf zurückgelegt. Zurückgelegte Strecke: 4,27 m | Dauer: 0h 2m 55s | Höhenmeter aufwärts: 2 cm“

    🙂

  2. says: Toni D.

    Der Setzi diskutiert mit sich selbst und kommt zum Schluss, dass er es doch lieber bleiben lässt. Zugegeben, Montag Morgen wöllte ich auch nicht vom RAM durch die Stadt gejagt werden.

  3. says: martin

    meine laufschuhe waren jahrelang ziemlich günstig, auslaufmodell und so… aber wolltest du eigentlich wirklich in den dingern los gehen? ich kann dir auch meine spezial stützstrümpfe leihen! brauch ich nicht mehr, kriegt man nur krämpfe!

  4. says: Tobi Tobsen

    und ich fahr erst vor kurzem in aller herrgottsfrüh – glaub sogar sonntags – durchn schwabtunnel und mir ist fast das herz stehen geblieben – da ist n typ gejoggt, der aussah wie der setzer! das warst du nicht wirklich?!

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