Innercity Blues: Die Stuttgarter Innenstadt wird immer trauriger

konigstrase

Weitaus unspektakulärer, aber angespornt durch Thorstens umfangreichen „Back-to-the-Streets“-Nightlifereport, stürzte ich mich, auch weil ich einige Kleinigkeiten erledigen musste, heute Mittag auf dem Fahrrad in Richtung Hauptbahnhof. Mal gucken, ob da vorne alles beim Rechten ist.

Zu „da vorne“ muss ich zunächst einmal ganz klar sagen: für mich persönlich endet die Innenstadt faktisch auf der Linie Schlossplatz, Waranga, Stilwerk. Weiter vor stosse ich seit Jahren selten, außer vielleicht mal zum Gravis. Warum auch? Tagsüber wie nachts gibts für mich in der Gegend, vielleicht mal vom Rocker abgesehen, nicht viel zu holen. Außerdem ist es im unteren Teil doch recht hässlich. Und auch der Palast war sowieso noch nie meine Base.

Also auf ins Feindesgebiet mit Vollkaracho. Mensch, kalt heute. Erst mal besuchte ich den guten alten Lötknecht Skully in seinem Büro im besagten Rocker. Ganz schöner Studentenauflauf dort. Wuah, Gott sei Dank sind die Zeiten vorbei.

skullys_lotstelle

Neben Event-Planung mit Änna und so, bastelt und lötet der Skully in seinem Büro was ihm gerade so zwischen die Finger kommt. Ich hab die Ramilios Switchbox abgeholt, die einen kleinen Hau hatte („kalte Lötstelle?“), damit wir am Samstag bei der Liebreizparty unseren Job ordnungsgemäß durchführen können.

Bei Löten muss ich immer an den Werkunterricht in der 6. Klasse denken. Konnte ich natürlich auch überhaupt gar nicht. Aber muss ich wohl kaum erwähnen.

Gut, aufgrund eines konspirativen Jobs machte ich mich rüber zum den Hauptbahnhof. Eiderdaus, da gibts ja in der Mall ganz schön viele internationale Fressstände. Ist das neu?

hauptbahnhof

Nur Spezialitäten. Aus ganz Europa und natürlich Brot wie früher:

hauptbahnhof_2

Na ja, ich hab mir einen Flammkuchen aus irgendeinem Superholzofen oder so (war aber aus Metall) und irgendwas Türkisches eingebaut. Hatte voll Hunger. Nachher Training.

Es ist komisch am Hauptbahnhof zu sein, wenn man nicht ankommt oder wegfährt. Kam mir bissle vor wie ein trauriger Rumstreuner. Ich war aber gar nicht traurig. Auf jeden Fall fahren sehr viele Menschen Zug, musste ich feststellen. Alle Altersklassen, alle Schichten, alle Dresscodes.

Da ich eigentlich nach ein paar CDs schauen wollte, hab ich meinen konspirativen Job kurzerhand auf nächste Woche verlegt und bin Richtung W.O.M. gedackelt.

Ich war auf der Suche nach zwei CDs; dem zwei Monate alten Album von N.A.S.A. und dem brandneuen Werk des Holländers Martyn. Ich hätte mir die auch keine Ahnung wo bestellen können, aber da ich es gestern auch davon mit dem Krupa hatte, wo man gerade am besten CDs kauft („Saturn hat eine gute Auswahl, die haben auch Laura Lopez.“ „Oi super, gähn.“) und ich auch in der Gegend war, dachte ich, gehste mal wieder in W.O.M.. Kann man alle 10 Jahre mal machen.

Alderle, letzte Woche hab ich noch gefragt, Wirtschaftskrise, wo bist du? Wer aber die Krise der Musikindustrie sehen will, muss definitiv in den W.O.M. gehen.

wom

(Sorry etwas verschwommen.)

Okay, es kann mal wieder nur eine Momentaufnahme gewesen sein. Okay, der W.O.M. ist wahrlich nicht so attraktiv (mehr). Okay, es sind keine Schulferien und es ist eher kühl. Okay, der W.O.M. war und ist schon immer ein Apotheke. (Benutzen eigentlich auch andere Deutsche das Wort Apotheke für überteuerte Läden oder ist das schwäbisch?)

Schon am Eingang merkte ich, hier ist was faul. Dachte erst, es ist zu. Ich komm also rein, gähnen mich zwei Verkäuferinnen an. Ich geh hoch, gähnt mich die nächste an. Und dann? Steh ich ungelogen ALLEINE in diesem riesigen Laden. Man konnte förmlich die Strohballen durch die Gänge fliegen sehen. Aber ey, die CD für 18,99 Euro. Und es gibt Sentinel-CDs.

Wie gesagt, ich war rund 10 Jahre (oder lass es 7 oder 8 sein) nicht mehr dort. Ich fühlte mich, als hätte man mich 1999 auf Eis gelegt, heute aufgetaut und gleich in den Laden zum CDs kaufen geschickt. Und im Hirn fehlt eine Dekade musikindustrieller Umbruch.

Ich erinnere mich noch bestens daran: W.O.M., das war egal wann, wie und wo: Massenabfertigung, stehende Luft und Beinahe-Schlägereien um die wenigen Hörstationen.

N.A.S.A. und Martyn gabs nicht, und ich habe  die Amy Winehouse „Back To Black“ Ltd.-Deluxe Doppel-CD-Edition für 6,99 Euro gegriffen und mit Karte gezahlt (hab mich dabei geschämt). Hier war ganz klar der Preis zu verlockend, deswegen bitte keine weiteren Fragen, warum ich mir eine CD von der Trulla kaufe ;).

Beim Gehen kam mir der DHL-Mann entgegen, der uns manchmal auch Päckchen ins Büro bringt (hatte Feierabend oder Pause) und eine ältere Dame. Und die Belegschaft hat immer noch gegähnt. Scheiße Mann, das war echt ein Schock. Auch wenn man ja eigentlich weiß, dass keine Sau mehr CDs kauft.

Na ja, auf Krupas Tipp hin bin ich dann in Saturn. Saturn hin oder her, aber das dunkle W.O.M.-Loch kann dagegen halt echt nicht anstinken. Da waren tatsächlich auch einige wenige Menschen zwischen den CD-Regalen. Die wiederum waren ganz gut und ordentlich sortiert, es gab tatsächlich nicht nur profanes Zeug (spontan fällt mir das neue Josh Wink Album ein.) Aber meine CDs waren nicht da.

Ich mag den Saturn übrigens. Ich hab mal im SC geschrieben, das ist eine Art Drogeriemarkt für Männer. Steckdosen, CD-Cases, Rohlinge, Kabel, Tastaturen, Mäuse, Computer-Boxen etc., egal, wir finden da immer was. (Alternatives Paradies: Conrad Electronic.)

Danach wollte ich fast schon ins Büro zurückpacen, machte aber einen Schlenker über den Marktplatz und bin in Second Hand Records gegangen und hab mit meinen Wünschen den Verkäufer verunsichert. Yes, I beat the nerd! Dann noch seit ewig und drei Tag beim Tobi im Pauls Musique vorbei. N.A.S.A. kannte er auch nicht, aber Martyn bestellt er mir.

Aight. Bis in den nächsten 10 Jahren wieder, dear HBF-Area. Ah nee, 15, wenn du dann mal fertig gebaut bist.

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22 Comments

  1. says: Le Mischi

    ich persönlich find ja das „frank“-album geiler als „back to black“ – allein wegen „Take the Box“ und „what is it about men“. ach ja, und meine tochter steht auch total drauf („papa, amy-cd!“) 🙂

  2. says: Thorsten W.

    Boah, ich fand WOM schon immer übel. Allein die Lage in dem Loch schreckt echt ab. Wenn großer CD-Laden, dann noch bis zur Schließung Lerche, danach dann Pro-Markt beim Bravo, und seit der zu hat halt Saturn – den ich übrigens auch irgendwie mag, auch wenn ich selten drin bin.

    Mir gefällt „Back To Black“ besser als „Frank“ – und ich finde man kann ruhig sagen, dass das richtig gute Musik ist. Egal wie die Alte abgeht.

  3. says: julia

    conrad electronic… uaargghh!!
    das nerd-paradies schlechthin. wie es da nach pc-muff und ungewaschen riecht, abnormal!! wenn ich einmal in 2 jahren da rein geh, weil ich irgendwas brauch, was nur die haben, hab ich immer angst, dass die nerds mich gleich anspringen, weil sie eh noch nie ne frau live gesehen haben (außer vielleicht live in der beate-web-cam) 😉

  4. says: se

    hab letztes jahr mal n wom-gutschein geschenkt bekommen und bin dann auch mal hin. und ich war wirklich schwer schockiert ob der 100% deprimierenden atmosphäre des ladens (dagegen wirkt selbst die assigste schlecker-klitsche wie der breuninger). sehr zu empfehlen ist ein wombesuch vorallem aber mit einem kinderwagen (wahlweise rollstuhl): eine tour durch die nicht sehr zeitlose architektur der gebäude nahe des hbf wartet auf einen, genauer eine tort(o)ur die einen erstmal wieder aus dem wom raus, einmal halb ums haus rum, in den nachbareingang rein, den fahrstuhl hoch, bis zum zweieinhalbten stock führt und dann den ganzen weg aufm balkon draußen wieder zurück, nur um eine tür zu suchen die vielleicht ja netterweise den schriftzug des unternehmens tragen könnte, tut sie aber nicht, aber da das wohl auch der raucherpausenausgang der mitarbeiter ist, einfach kurz warten bis einer rauskommt und einen gelangweilt hineinbittet. zum abgewöhnen. da lob ich mir n ratzer, klein aber fein und nur einen, aber dafür leicht auffindbaren eingang!

  5. says: se

    und back to black ist schon n super album für dessen kauf man sich in keinem fall schämen muss, auch wenn man die künstlerin privat vielleicht eher nicht mögen würde…

  6. says: Kutmaster

    Erstaunlich, dass es den WOM noch gibt. Ich dachte ja irgendwie der hat schon seit 2001 zu und ist pleite. (kann aber ja wohl nicht mehr lange dauern) – Die letzte CD die ich dort übrigens gekauft hab war halt „The Score“ von den FUGEES als die damals rauskam…. jetzt hab ich 16Mbit DSL und nen IPod…

  7. says: Don

    Das letzte Mal als ich im WOM war, als ich Tickets für das James Brown Konzert gekauft habe (2006?). Aber abgesehen davon, dass ich 1. mir eh nur noch sehr ausgewählt CDs kaufe (eine im Jahr maximal) und 2. mein Weg zum WOM 622km beträgt und ich nicht die geringste Lust habe ihn für überteuerte CDs anzutreten, erinnere ich mich doch gerne an mein Highlight-Erlebnis: Autogrammstunde mit the Artist formerly known as Blümchen. Wollte die Schnecke einfach mal sehen (fand mit 14 ihren Lolitastyle in ihrem ersten Video extrem sexy)

    Ach ja: Apotheke verwendet man auch hier oben für teure Läden

  8. says: Yasmin

    Im WOM war ich das letzte Mal irgendwann 2007, als ich mal wieder in Stuttgart war. Der Laden is aber bäääh. Überteuert und irgendwie wenig Auswahl. Hab mir Brown Sugar von D’Angelo für 5 Tacken geholt. Glaub ich. Oder war das What’s Going On von Marvin Gaye im Media Markt letztes Jahr…? Ich weiß nich, ich bring da immer gern was durcheinander ^^

  9. says: mipfi

    In den Wom gehe ich eigentlich nur, wenn ich eine Karte brauch für ein Konzert. Einmal wollte ich das neue „The Horrorist – Attack Decay“ Album kaufen… das gab es nirgends in ganz Stuttgart.

    Diese Fressstände dort am Hauptbahnhof, bieten ja alle möglichen Sachen an die man sich vorstellen kann. Ich bin letzte Woche mit einer Freundin über den Hauptbahnhof gelaufen und sie hatte dort einen Fressstand entdeckt mit Salami. Sie gleich hin und in den ersten Korb gegriffen und sich die Salami reingeschaufelt *kost ja nix* mampf mampf *gesicht verzieh*. Ich steh im selben moment nebendran und lese laut das Handgeschriebenschild von dem Körbchen „Eselsalami“. Im selben moment nebendran *kotz* *entschuldigung*.

    Ich hab die Salami selber dann auch nicht mehr probiert… aber wer möchte der Stand steht in etwa der höhe vom Mc Donalds und bietet unter anderem auch Wilschweinsalami 😉

  10. says: JMO2

    Bin irgendwie alle 4 Wochen eher aus Gewohnheit im WOM bzw. weil ich mal wieder zu früh am Bahnhof bin um Stuttgart zeitweise zu verlassen. Der WOM ist vor allem gut wegen seiner Konzertkasse. Ansonsten besteht das Angebot zum einen aus hochpreisigen CDs und zum anderen aus Ramschwühltischen die aus 3er CD-Boxen der Flippers oder ähnlichen Interpreten bestehen. Zum Ambiente ist ja schon genug geschrieben worden.
    Aber manchmal findet man da doch eine Perle, so gabs das aktuelle Album von Benjamin Biolay, französischer Chansonist, für mehr als gute 3 Euro.

  11. says: Patrice

    Ich geh ins WOM nur zu Flyer auslegen, wobei die so oder so da keiner einpackt… Ist ja nie jemand da… egal an welchen Tag und zur welcher Zeit man rein geht. Ach ja, jetzt gibt’s im WOM auch Fick Shui Stuff zu kaufen…

  12. says: martin

    ich wollte schon gestern abend nach dem eintrag von Alx schreiben: gerade bei einem album brauch ich einfach was in der hand. hab mir mal vor zwei jahren ein paar alben bei itunes gekauft, aber das hat für mich einfach keinen wert 😉 aber ich denke, da ist jeder a bissle anders gestrickt

  13. says: Gregor

    …ich würd auch lieber 5 Euro mehr für die Cd ausgeben als für den Download. Dass CDs immer noch viel mehr Wert besitzen als Digitale Files hab ich erst neulich gemerkt als ich alte Notwist und Tocotronic CDs verkauft habe bei Ebay. Digitale Files kann man als Privatmensch eigentlich nicht weiterverkaufen.

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