„Der Osten kommt“ ist eine Phrase mit langer Tradition und hat verschiedene Ebenen. Manche meinen das komplett ernst, wie z.B. Ann-Sophie und Justus, die zu Vino nie no sagen. Das DINK-Pärchen (Double income, no Kids) wittert im Osten die große Chance, NOCH für unter einer halben Million Euro eine ganz arg toll geschnittene Wohnung kaufen zu können, weil es ja im Osten doch ganz nett ist. Vielleicht in der Haussmannstraße oben. Ja, genau, da bekommt ihr zwei noch was.
Die nächste Fraktion hingegen verwendet „der Osten kommt“ hochnäsig zwischen dem dritten und vierten Kessler-Sekt und meint damit eigentlich, dass S-Ost als angesagter Stadtteil, also wie Süd oder West mit seinem Hype-Ruf und den damit verbundenen Hype-Mieten, wirklich noch nie kam und auch nie kommen wird.
Diese beiden Levels sind der Ausgangspunkt für die dritte, ironische Verwendung dieses Claims, weil Ironie-Fans wie ich wissen, dass der Osten überhaupt nicht kommen muss, denn der Osten war natürlich schon immer massiv da, so wie der Dönerladen „Babas Döner“ von dem Berliner Rapper Massiv in der Wagenburgstraße. Vielleicht ist Ost sogar der beste Stadtteil Stuttgarts. Und das sage ich als Westler, wohlgemerkt. Denn die Ostler haben Dinge, von denen andere Stadtteile nur träumen können.
Zum Beispiel eine Villa Berg inklusive weitläufigem, sehr gechillten Park. Außerdem soll dem Spot jetzt endlich neues kulturelles Leben eingehaucht werden, nachdem mit dem Eventschiff Frida in der Nähe vom Gaskessel bereits ein multifunktionelles Gastro-Clubprojekt angelegt hat. Über die zukünftige Nutzung des stillgelegten Gaskessels wird aktuell ebenfalls debattiert.
Bis dahin cruisen wir die Talstraße hoch in Richtung Gaisburg und Gablenberg, schauen dabei zu wie die Stadtbahn durch die engbebaute Landhausstraße entlang am Leo-Vetter-Bad und diversen Gastros in Richtung Ostendplatz schleicht. Dort schreit garantiert wieder jemand herum, weil am Ostendplatz immer jemand herum schreit, so will es das Gesetz.
Im Klingenbachpark hingegen ist alles friedlich. In Sommer könnte man dort das „Summertime“-Video von Will Smith und Jazzy Jeff erneut drehen. Alle viben, alle spielen, alle grillen in dem herrlich langgezogenem, welligen Flora-Streifen, den außerhalb von S-Ost kaum jemand kennt und vielleicht ist das für alle Anwohner gut so.
Fun Fact: Der Klingenbackpark ist auf Google Maps nicht grün hinterlegt, wie jede andere Grünanlage auf dieser Erde, sondern Google-Gebäude-grau. Wahrscheinlich wurde das von jemanden absichtlich so eingezeichnet, damit der Park nicht überläuft. Mit Menschen aus West, Süd oder Mitte.
Die kennen im Osten am ehesten noch den Udo Snack in der Schwarenbergstraße und müssen immer direkt dazu sagen, dass der ja vieeeeeel besser sei als der in Mitte. Ob da so ist, keine Ahnung. Mit dem Königsbäck (Claim: „Bäck to the Roots“) besitzt man jedenfalls einen der besten Teigzauberer in der ganzen Stadt.
Meine Frau und ich speisten an Hochzeitstagen höchstvorzüglich im inoffiziellen offiziellen VfB-Spielertreff Vivaldi, ein sogenannter Edelitaliener, direkt gegenüber der ehemaligen Traditionstrinkerhalle Alten Schule (jetzt ein Irish Pub), oder ein paar Straßen weiter im Nanina. Nach dem Besuch dieses Familienbetriebs muss man aber allerdings fast einen neuen Kredit bei der Targo Bank aufnehmen.
Den braucht man definitiv wiederum auch, um in eine Wohnung in der besagten Haussmannstraße zu ziehen oder gar eine zu kaufen. Das ist vielleicht die beste Straße überhaupt in der ganzen Stadt. Sie windet sich tief vom aufgeheizten Ostendendplatz vorbei am Urachplatz hinauf in Richtung Ameisenberg, schlängelt sich unterhalb der Uhlandshöhe mit der Sternwarte entlang an einschüchternden Villen, die fantastischen Ausblicke auf den vielen Plattformen sind umsonst, und mündet schließlich in den Eugensplatz. Ob da die Mieten noch wirklich günstiger sind als anderswo– ich weiß es nicht.
Ich weiß nur, ich bin Ost-Fan. Alles laufend erkundet. Danke Joggerbeine, die braucht man dafür. Denn das Problem an Ost ist letztendlich ja nur, besser gesagt die Hürde, nicht Ost selbst, sondern dieser elendige Berg dazwischen, der mal kurz in die Stadt gehen nahezu unmöglich gestaltet, wie man es meinetwegen vom Marienplatz aus gewohnt ist. Wäre der Hügel nicht da, dann würden wir alle in Ost leben wollen. Dem vielleicht besten Innenstadtteil Stuttgarts, der sich völlig zu Recht selbst genügt und nie kommen wird. Weil er mächtig da ist.
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Dieser Text ist im Jahr 2021 für die Kolumne Kurzstrecke im SSB-Magazin „Das Ticket“ entstanden
When the east is in the house, oh my good…danger!