Dinge, die man im Land der Weltmarktführer und der Genussfabriken öfters machen sollte: Öffentliche Firmenbesichtigungen und Werksführungen. Lernt man noch etwas. Zum Beispiel Bierbrauen.
Quatsch, Bierbrauen lernt man natürlich nicht während einer anderthalbstündigen Führung durch die Familienbrauerei Dinkelacker. Denn Bierbrauen, das hat uns schon vor einigen Wochen ein Dinkelacker-Braumeister verraten, ist a) ein Ausbildungsberuf und b) sowieso eine Wissenschaft für sich. Zumindest in Deutschland. Remember Reinheitsgebot. Die Basis aller Bier-Wissenschaften.
Auch wenn man nach der Führung nicht direkt selbst mit dem Brauen loslegen kann, bringt sie einem die komplexe Kunst des Bierbrauens etwas näher und man erfährt wissenswertes zu Rohstoffen, Produktionsabläufen und besagten Reinheitsgebot.
Auf jene deutsche Besonderheit von 1515 (damals noch ohne Hefe, weil es noch keine gab), beziehungsweise 1918 (wollten die Bayern nach dem 1. Weltkrieg bei der Gründung der Weimarer Republik), wies auch Dinkelacker-Mitarbeiter a.D. und Brauerei-Tourführer Walter Kurz direkt in seiner launig-humorvollen Ansprache hin. (Spoiler: Die ganze Führung ist sehr humorvoll, lohnt sich allein wegen ihm.)
Es folgten einige Worte zur intensiven, langen Geschichte der Familienbrauerei (gegründet 1888 von Carl Dinkelacker), die z.B. in den Nullerjahren kurzzeitig keine Familienbrauerei mehr war, sondern bei der InBev angedockt. Diesen Step reparierte man wieder Anfang 2007. Family first. Traditionsunternehmen forever.
Ein paar Zahlen: 320 Millionen Liter Wasser werden jährlich durch die Tanks und Rohre gepumpt (man benötigt 400 Liter Wasser für 100 Liter Bier), 40.000 Kisten und Fässer verlassen jeden Tag die Tübinger Straße Richtung Märkte, Gastronomie oder das eigene Lager in Weilimdorf und die Abfüllanlage packt 72.000 Flaschen in der Stunde. Krass? Krass.
Nächster Stop: Das Sudhaus. In den monströsen Edelstahlbehältern (kein Kupfer mehr) beginnt der Brauprozess mit dem Maischen. Von einem riesigen Silo neben dem Gebäude läuft das Malz durch eine Schrotmühle in die Maischpfanne. Nach Zugabe von Wasser wird anschließend die Würze erzeugt und vom Malztreber getrennt. Siehe auch Graphik in der obigen Galerie. Hier entsteht der „brotige“ Duft, der öfters durch die Tübinger Straße weht.
Walter Kurz führte anschließend über ein typisches Industrie-Treppenkonstrukt zu den Wassertanks. Das Wasser bezieht man, wie wohl die meisten Menschen hierzulande, über die EnBW, weil eben Top-Qualität. Apropos Wasser, weiß Kurz zu berichten: Vor einigen Jahrhunderten war Bier in unseren Breitengraden noch das Hauptgetränk, über 500 Liter pro Kopf flossen jährlich in den Korpus. Warum? Weil man einst (stark verunreinigtes) Wasser nicht so locker aus einem Wasserhahn trinken konnte wie heute und man mit Bier die nötige Flüssigkeitszufuhr gesichert hat. Heutzutage liegt der Bierverbrauch in Deutschland bei 102 Litern/Jahr.
Der deutsche Bierkonsum ist seit vielen Jahren leicht rückläufig, bei Dinkelacker wird aber trotzdem nonstop g’schafft. Denn das Portfolio um die vier Hauptmarken (Dinkelacker CD, Schwabenbräu, Sanwald und Wulle) ist riesig und die Silos im Lager- und Gärkeller sind stets mit diversen Bier-Köstlichkeiten befüllt. Aktuell wird zum Beispiel das Frühlingsfestbier produziert.
Bis wir im Lager- und Gärkeller, der Endstation der Tour inkl. erster Verköstigung landeten, ging es über den Bereich Würzekühler und die Entalkoholisierungsanlage (die Zielgruppe ist vorhanden) in einen der ehemaligen Eiskeller. In den ersten Jahrzehnten der Brauerei-Geschichte war das ganze Kühlthema bei der Produktion von untergärigen Bieren (z.B. das berühmte CD Pils) ziemlich knifflig – weil es eben noch keine modernen Kühlanlagen gab.
Schon immer am Fuße der Karlshöhe residierend, kam man einst auf die Idee, die Eiskeller direkt in den Berg reinzuschlagen, um dort das Eis für die nötige Kühlung zu deponieren. Das Eis selbst besorgte man sich in den Wintermonaten mit einem Vierspanner-Pferdewagen (!) von allen zugefrorenen Seen im regionalen Umkreis. Unter anderem ging es 28 Kilometer hin und zurück nach Vaihingen-Enz (Eis raus hacken, einladen, ausladen). Der dortige See wurde deswegen sehr lange als „Wulle-See“ bezeichnet. Und das alles ohne Funktionskleidung, „die müssen gefroren haben wie ein Schlosshunde!“, meinte Kurz. Ganz sicher.
Die Brauereiführungs-Gesellschaft hatte zwar gute Kleidung am Leib, aber war spätestens nach dem Aufenthalt im Eiskeller und danach im Gär- und Lagerkeller etwas durchgefroren. Aufgewärmt wurde im Gewölbekeller der Brauereigaststätte bei einem kleinen Biertasting und schwäbischen Speisen.
Nach zwei, drei flotten Sprüchen und Tipps von Walter Kurz – u.a, woher die Legende vom „blau sein“ stammt, sowie das Bier als Aperitif – gab es noch als Andenken ein Bierkenner-Diplom. Jetzt möchte man sich am liebsten direkt das Home-Brew-Set für den Eigenbedarf holen.
Dinkelacker Brauereiführung
jeden Donnerstag ab 18 Uhr
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