Anfang Juli bin ich für das Lift Magazin mit der Esse durch das Gäu getuckert und hab mir die Endhaltestellen Marbach, Bietigheim und Weil der Stadt angeschaut. Welcome to Marbach!
Marbach hat nicht viel, aber das Städtchen im Nordwesten Stuttgarts macht das Beste drauß. Nicht viel bedeutet: Friedrich Schiller ist hier geboren, bekanntlich, in ZDF-Sprache gesagt, einer unserer Besten, hat aber in Marbach samt Eltern und Geschwistern in einem Räumchen, das heutzutage in S-West kaum mehr als WG-Zimmer durchgehen würde, gerade mal fünf Jahre gelebt und ist dann in Richtung Esslingen, Karlsruhe, Weimar und weiß der Teufel wohin abgedampft. Trotzdem ist das Geburtshaus des Astronomen Tobias Mayer aufgrund seines sprichwörtlich schillernden Zeitgenossen lediglich ein nettes Bonbon für den Audioguide. Ja, Audioguide: Die Hochkultur ist hoch über dem Neckar so gut organisiert wie ein Rundgang im Guggenheim auf der 5th Avenue.
Man kann sich in Marbach nicht verlaufen und kommt automatisch an den wichtigsten Sehenswürdigkeiten vorbei. Schillers Geburtshaus zieht dank penibler schwäbischer Beschilderung schon vom Bahnhof aus magnetisch hin. Für einen Abstecher zur Alexanderkirche muss Mensch fast schon physikalische Gesetze außer Kraft setzen. Übrigens: Der erste Eindruck von Marbach ist sauber, gepflegt, aufgeräumt, die öffentlichen sanitären Anlagen beim Gotteshaus blitzblank geputzt.
Also rein in die Altstadt, besser gesagt hoch in die Altstadt über die Niklastorstraße. Man ist von den schnuckeligen Fachwerkhäusern derartig überwältigt, dass man am Epizentrum der deutschen Literatur glatt vorbei rennt. Dabei ist quer über die Straße ein Drahtseil gespannt, an dem riesige Buchstaben hängen: „Geliebtester Bruder“ steht da von der einen Seite, auf der anderen „Theuerste Schwester“. Friedrich pflegte eine innige Beziehung zu Christophine, deren Gemälde ebenfalls in seinem Geburtshaus ausgestellt sind. Zwischen den Zeilen wird sie allerdings als eher untalentierte Malerin hingestellt. Übrigens: Ihr berühmter Bruder desertierte aus der Armee, um sich ganz dem Schreiben widmen zu können und war schon zu Lebzeiten die Joanne K. Rowling unter den damaligen Schriftstellern. Ein goldenes Kalb sozusagen.
Vernachlässigt man den Schiller-Faktor, reduziert sich Marbach auf Gaststätten (der Marke „Zum Ochsen“, glanzlose Italiener und Premiere Sportsbar Imbissbuden) und eine extrem hohe Dichte an Friseursalons und Nagelstudios. Die Marbacherinnen müssen die schönsten Nägel auf der Welt haben. Und wäre nicht am Ende der Markstraße die altertümliche Stadtmauer samt imposantem Torturm, würde die Fußgängerzone an der typisch deutschen Provinztristesse aus Schlecker, NKD, Rabatti, Elektrohändlern mit vergilbten Schaufenstern, Reisebüros, Konditoreien und Straßencafés im 70er Jahre Stil und Bestattungsunternehmen ersticken.
Bleibt noch der Gang zur Schillerhöhe, ein Fußmarsch von fünf Minuten von der Altstadt. Ein Schillerdenkmal wacht hier über das schmucklose Deutsche Literaturarchiv, dem prachtvollen Schiller Nationalmuseum, das bis 2009 modernisiert und restauriert wird, und dem im Jahre 2006 von Horst Köhler eingeweihten Literaturmuseum der Moderne, das von Stararchitekt David Chipperfield entworfen wurde und dank seiner rechtwinkligen Geometrie und einem Materialmix aus Beton und Holz ein Eyecatcher und auch Fremdkörper zu gleich ist. Hätte auch gut auf den Kleinen Schlossplatz gepasst. Montags leider geschlossen. Nach drei Stunden Stadtranderholung in Marbach (ohne Einkehr beim Ochsen und Renovierung der Nägel) kann man aber auch beruhigt wieder den Bahnhof ansteuern.
P.S: Der Reisende wurde danach auf zwei wichtige Dinge hingewiesen. Erstens ist Marbach noch bekannt für sein riesiges Pferdegestüt und zweitens schätzen Graffiti-Kumpels a.D. die Endhaltestelle, weil man hier früher besonders leicht S-Bahnen „bomben“ konnte. Aber Mensch, Schiller ist doch hier geboren! Wie? Echt? Ja!
PS. Marbach ist eben nicht bekannt für sein Gestüt – zumindest nicht dieses Marbach (gemeint ist das Gestüt Marbach bei Bad Urach). Dies führte wohl schon mal zu einer Peinlichkeit beim Staatsbesuch von Elizabeth II. vor ein paar Jahren als sie gelangweilt von der ganzen Literatur fragte „And where are the horses?“
ah! dann dachte die pferdeverrückte frau bayerl, dass ich dort gewesen war, als ich ihr von meinem ausflug erzählte… schon wieder was gelernt. das lift hats übrigens eh gestrichen 🙂