Feini, Feini, Feinstaubalarm: Stuttgart führt Umweltschutz-Maßnahme ein

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Ich sag mal: ziemlich guter Deal. Ich fahre VVS mit einem Kinderticket, das mich nicht nur gefühlt jünger macht als ich je wieder sein werde, sondern auch noch ein echtes Schnäppchen ist: halber Preis.

Den vollen Preis hätte ich beinahe an der Ampel bezahlt als mich fast ein Auto umbulldozerte. Ich war gerade in die VVS-App vertieft. Hab’ trotzdem reflexartig hinterhergehatespeeched: “Möge Dich der Kolbenfresser holen, Du dumme Sau!” Schnäppchenchecken ist halt kein Ponyschlecken.

Ansonsten: Feinstaubalarm, find ich gut. Die Argumentation, da nicht mitzumachen, weil sich die anderen ja auch nicht daran halten, schien mir bereits im Kindergarten etwas löchrig.

Ebenso hielt ich es nie für sinnvoll, in den Neckar zu springen, nur weil alle anderen …. bla … bla. Das Auto stehen zu lassen, wenn’s nicht unbedingt gebraucht klingt auch im April, Mai, September und so weiter ganz plausibel. Und die Vögel in meinem Neighbourhood: “Geil! Er lässt das Klo stehen”.

Ich verstehe auch die Annahme nicht, irgendwas daran könne schlecht sein für den Automobilstandort Stuttgart. Ich glaube, es ist den Influencern in diesem Business ziemlich piep. Die werden erst nervös, wenn ich kein Auto mehr kaufen möchte. Natürlich erfordert die Bahn- und Öffi-Nutzung manchmal auch Opfer. Äh, also ich rede von mir, nicht von Leuten die versehentlich überfahren werden.

Die Hinfahrt meiner heutigen Mission wäre beispielsweise mit dem Auto in 15 Minuten abgehakt gewesen und ich hätte dabei laut Entombed oder sogar Bolt Thrower hören können. Mit der Bahn waren’s satte 43 Minuten plus Fußmarsch und keinem Death Metal, da ich nicht gerne mit Kopfhörern zwischen fremden Menschen sitze. Wenn ich schon “unter Leuten” bin, will ich schließlich auch was mitbekommen.

Dafür fuhr ich aber mit dem gelben Blitz durch Stuttgart-Vaihingen. Fällt mir nur geil ein. Unter Experten wird dieser Teil der Stadt längst als das kleine Paris unter den Bielefelds verbucht – Stadt der Liebe, wenn man nix mehr vom Leben erwartet. Da fahren nur Leute hin, die das wirklich wollen oder eben müssen.

Doch es kühlt meine meine Dorfseele ungemein, wenn der örtliche Frisör noch „Salon Erika“, statt „Haarakiri“, „Schnittstelle“ oder „Hairforce One“ heißt. Falls irgendwo mal ein Friseur eröffnet, der „Haartz 4“ heißt – geh ich allerdings sofort rein und lass mir den Bart oder Nasenhaare trimmen. Versprochen.

Gerechnet hat sich mein Kinderticket spätestens auf der Rückfahrt. Mit dem Auto hätte das mindestens 50 Minuten in Anspruch genommen, ohne Auto: wieder 43 Minuten plus Fußmarsch. Aber ich hätte beispielsweise niemals den bezaubernden Mann kennengelernt, der mir „Girl You Know It’s True“ von Milli Vanilli von hinten durch die Zöpfe säuselte. Gerade leise genug, als dass ich das auch als sexuelle Avancen hätte deuten können.

Fun Fact: Wir Zottelhaarträger stehen wahnsinnig darauf, auf der Straße „Bob Marley“ oder „Milli Vanilli“ hinterhergegrunzt zu bekommen. Ein rothaariger Mann erzählte mir mal im Vertrauen: „Wenn ich für jedes `Boris Becker´ einen Euro bekommen hätte, könnte ich mir einen Auftragskiller leisten, der die Trottel alle erschießt“. Und ich so: “Och, Bobbele!”

Ah, Bonuspunkte gab’s auch wieder: singende Kinder in der Bahn. An Orten, wo Kinder lauthals Kinderlieder brüllen, ist die Welt noch einigermaßen in Ordnung. Und ich weiß jetzt, dass Stuttgart-Vaihingen und ein offener Schien- und Wadenbeinbruch zumindest eine Gemeinsamkeit haben: im Halbdunkeln sieht beides gar nicht so schlimm aus.

Außerdem war mir bislang nie bewusst, dass auch in Vaihingen oder Möhringen tagsüber einfach so Leute auf der Straße rumlaufen. Ich dachte, die wären alle immer woanders.

Am Gare De Vaihingen wirbt derweil die Hamburger Elbphilharmonie auf Plakaten damit, dass am 4.11. zumindest die Aussichtplattform eröffnen soll – “Aussichtslos war gestern”, ganz große Akrobatik, liebe 55 Euro/Stunde-Jobber.

Aber lieber nicht lachen: Wahrscheinlich zieht die Bahn bald nach und wirft hier die Touristen in Baustellenlöcher: “Da! Guckmal, finsteres Drecksloch! Besuchen Sie uns bald wieder.” Werbeslogan (8,34 Euro/Stunde): “Für Sie! Unter aller Sau!”

Und jetzt frage ich mich nur: Gibt’s in der Stadtbahn eigentlich keine Mülleimer oder habe ich die einfach nicht gesehen? Gibt’s tatsächlich Leute, die in der S-Bahn absichtlich ein 1. Klasse-Ticket lösen? Und warum setzen sich eigentlich nur Leute neben mich, wenn wirklich alle anderen Plätze belegt sind oder sie derartig besoffen sind, dass sie mit sich selbst und/oder Gott reden?

Jetzt noch eine Beichte: spätestens Freitagabend werde ich mit dem Auto fahren. Die Bahn gewährt mir kein Kinderticket nach Köln. Ich würde auch singen. Ehrlich.

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11 Comments

  1. says: Franzi

    da hat man ja als harmlos aussehende frau das umgekehrte problem: bahn sogut wie leer -> zack sitzt ein miefiger mensch neben einem…

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