Eisenwahn: Wie geht es weiter mit Stuttgart 21?

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Neulich habe ich den Peter Ramsauer im Fernsehen gesehen. Er erzählte von erheblichen Mehrkosten, schlechter Planung und Zeitverzug. Als ich gerade laut „Exakt, Herr Verkehrsminister! Darum ging’s doch die ganze Zeit!“ rief und vor Erregung fast von der Couch schlitterte, fiel mir erst auf: er redete gar nicht von Stuttgart 21, sondern vom Berliner Flughafen.

Kann passieren, wir Stuttgarter halten uns manchmal ein bisschen für den Mittelpunkt der Nation. Ist aber auch kein Wunder, wenn selbst Menschen in Leipzig schon an Wände sprühen: „Schwaben zurück nach Berlin!“ oder wenn alte Herren ausgerechnet in Stuttgarter Hotels den vierten Frühling in der Hose feiern – da nimmt man sich selbst gerne mal einen Tacken zu wichtig.

Als pflichtbewusster Bürger schickte ich dem Peter Ramsauer trotzdem eine Textnachricht bei Whatsapp: „Hallo Herr Ramsauer, bitte werfen Sie die Rede von neulich nicht in den Papierkorb. Die können Sie die bald noch mal nutzen.“  Und er so: „rofl #yolo“

Ein paar Tage später stehe ich in Köln, werde ausgelacht und mit der Frage überfordert, wie doof man grob sein müsse, um ausgerechnet gegen die Fortuna aus Düsseldorf 3:1 zu verlieren. „Junge, Vorsicht“, hab ich dem Kerl gesagt und auch, dass er sich die Chancen auf meine Tanzkarte, gerade ziemlich verbaut hätte. Weil das Fass schon mal offen war, machte sich sein Freund auch gleich beliebt: „Hörma, wat is nu eijentlisch mit de Bahnhof bei eusch?“

Er sagte das, in einem fast vorwurfsvollen Ton – als wäre ich persönlich der Trottel, der zu doof sei, einen Bahnhof zu bauen. Womit er theoretisch sogar Recht hätte. Mein Vater sagt ja gerne: „Zwei linke Hände voller Daumen“. Und damit meint er meistens mich.

Über Stuttgart 21 rede ich trotzdem nicht mehr gerne. Weil ich tatsächlich glaube, dass zu dem Thema alles gesagt wurde. Es wurde sogar drölftausendmal wiederholt. Ich will keine Zahlen mehr hören und auch keine Befindlichkeiten mehr. Ich will nicht mehr analysieren, was „Fortschritt“ sein soll und ich möchte nicht wieder die Integrität der Bahn und des Projekts in Frage stellen.

Ich wollte mir nicht mal mehr Gedanken darüber machen, ob sich der Widerstand in schöner Regelmäßigkeit an der Dummheit der Entscheider „da oben“ oder an deren Kaltblütigkeit die Zähne ausbiss. Ich geb’s zu: ich habe resigniert. Und auch das: der Juchtenkäfer geht mir am Arsch vorbei. Viergleisig und überirdisch.

Als ob es bei der Debatte jemals um so groteskes Zeug wie „richtig“, „falsch“, sinnvoll“, „Chance“ gegangen wäre – unterm Strich ging es immer nur darum: welchen Preis sind wir bereit, dafür zu bezahlen? In jeder Hinsicht.

Aber gerade deshalb bin ich der Meinung, dass Flughäfen und besonders Bahnhöfe von Leuten gebaut werden sollten, die das auch tatsächlich können. So was gibt man doch nicht in die Obhut von Idioten. Es scheint sich allerdings ein Trend zu bestätigen, ausgerechnet bei milliardenschweren Großprojekten auf Fachmänner zu setzen, die eben diesen Tatbestand zwingend erfüllen – will man ihnen nicht unbedingt bösartiges Kalkül dabei vorwerfen. Denn dazwischen gibt es nichts: Entweder sind das Stümper oder skrupellose Lügner. Die Schuhe stehen an der Garderobe, mögen sie sich bitteschön die passenden anziehen.

Und jetzt das. Der Peter Ramsauer will jetzt scheinbar doch wieder seine BER-Rede aus der Schublade holen. Und ähnlich lobende Worte für Stuttgart 21 von sich geben. Das vermelden zumindest die Stuttgarter Zeitung  und Spiegel Online. Die Bezeichnung SPON gefällt mir übrigens nicht. Sie ist nur fünf Buchstaben von „Spongebob“ entfernt.

Kurz zusammengefasst: die Bundesregierung, beziehungsweise das Verkehrsministerium, findet Stuttgart 21 gar nicht mehr so spitze, unser OB Fritz Kuhn steht der Finanzierung ebenfalls recht kritisch gegenüber und der Kretschmer Kretschmann ist auch nicht als Fan bekannt. Die Bahn wiederum braucht unbedingt deren Geld, weil sich Stuttgart 21 sonst auch in zehntausend kalten Wintern nicht rechnen würde.

Kurz nachgerechnet: ein Zugticket nach Karlsruhe würde sonst künftig ungefähr 390 Euro kosten, das Viertele miserabler Rotwein im Bordrestaurant (Wagen 14 und 26) läge dann bei 150 Euro und wer einen Sitzplatz reservieren will, sollte mit circa 120 Euro rechnen. Sänkjuh for travelling wis Deutsche Bahn.

Dafür eine Mehrheit zu bekommen: schwierig. Und da reden wir nur von Geld, nicht davon, dass der Bau an sich schon derart katastrophal geplant ist. Ramsauer wiederum erzählte in Bagdad (echt jetzt! Wirtschaftskonferenz), dass dies Quatsch sei. Nicht meine Rechnung, die sei super. Er meinte die Meldung, der Bund würde sich von S21 distanzieren.

Trotzdem: Wenn das so weiter geht, ist Stuttgart 21 in absehbarer Zeit ungefähr so beliebt, wie alte Stelzböcke bei den jungen Dingern. Das scheint wieder Bewegung drin in den Hüften. Der Ramsauer hat jetzt wiederum gar keine Zeit, Tanzkarten zu verteilen.

Den Verkehrsminister juckt’s wo ganz anders: Er muss nun allen außer sich selbst die Schuld geben. Das ist schließlich ein Profi, einer der unter der Decke furzt und sie Dir dann über den Kopf zieht. In langjährigen Beziehungen soll das ja kein Ausnahmefall sein – und der Verkehrsminister und Rüdiger Grube von der Bahn teilen sich die Decke nun nicht erst seit zwei Wochen. Stunk im tiefer gelegten Himmelbett. Ich stelle mir gerade vor wie der Rüdiger zum Peter sagt: „Aha! Du also auch: ein elender Fortschrittsverweigerer!?“. Einer wird die Nacht auf der Couch verbringen.

Einen Bärendienst erweisen die beiden damit dem Widerstand gegen das Großprojekt. Denn scheinbar sind die Gegner von Stuttgart 21 nicht ansatzweise so dumm, unreflektiert, ungebildet, fehlinformiert, rückschrittlich und ungewaschen, wie allerlei Befürworter immer angenommen  – und manche auch laut behauptet haben.

Ganz zu schweigen davon, dass nun auch die Mitstreiter der Pro-Fraktion der Lächerlichkeit preisgegeben werden. Wie die Stuttgarter Nachrichten schreiben, gibt’s da allerdings auch ein paar Leute, die das selbst ganz gut hinbekommen. Mich beschleicht dennoch das irre und auch etwas naive Gefühl, dass wir bald live, stereo und in Farbe (M. Holtmann, SDR3) zusehen können, wie etwas Großes passieren wird – abgesehen von drei Punkten am Samstag gegen den SV Werder Bremen. Dann erzählen wir unseren Enkeln eben das.

Und weil ich bis zum zweiten Kaffee gerne an Verschwörungen und auch an Romantik glaube: nie waren sich Stuttgart und Berlin näher – in diesem Fall sogar ohne Bahnhof und Flughafen. Wäre ich jetzt Kanzlerin würde ich mir erstmal eine gescheite Hose anziehen, die neue Platte von Voivod auflegen, versuchen aufrecht zu stehen und dann zu meinen Leuten sagen:

„Kinder, zwei derartige Flops bekommen wir nicht durch. Und Berlin ist nunmal die Hauptstadt. Blasen wir das mit dem Bahnhof ab. Wie oft soll ich mich denn noch zum Depp machen und faseln, dass irgendeine Wahl auch die Wahl über S21 sein soll? Glaubt ihr, ich will den Pokal bei der Arschbomben-WM gewinnen?“

Dann würde ich eine strategische Pause machen – ungefähr so, genau – und dann leiser und diabolisch weiterreden: „Denkt mal an das Wählerpotential in Baden-Württemberg, wenn wir jetzt all diesen ungewaschenen Fortschrittsverweigerern Recht geben. Nur indirekt natürlich.“  Zum Abschluss würde ich dann wieder brüllen „Ach, und der Grube bekommt dieses Jahr keine Weihnachtskarte!“

Momentan gibt’s wohl nur einen, der sich über Stuttgart 21 freut: Klaus Wowereit. Und das auch nur, weil er nicht Bürgermeister von Stuttgart ist.

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19 Comments

  1. says: Frau Doktor

    Aber das war ja wieder spektakulär großartiges Timing bei der S21 or Die-Fraktion: Da schmiedet man gerade eine neue Ergebenheitsadresse an die Overlords in Berlin und gleichzeitig haut das Bundesministerium sein Dossier an die STuttgarter Zeitung weiter.

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