Eine Zugfahrt von Stuttgart nach Düsseldorf

Am Freitag bin ich mit dem Zug nach Düsseldorf gefahren. Ich fahr relativ selten Zug, nicht weil ich es nicht mag, sondern weil es sich nicht so oft ergibt. Gerade wenn man mehr als einer ist rentiert sich Auto eben mehr.

Aber egal. Frühmorgens los und erst mal Props an die Bahn für die Buchung. Ging online ziemlich easy, ich hab ICE, Großraumabteil, Nichtraucher, Handyzone (man weiß ja nie) und Fensterplatz mit Tisch gebucht, und tatsächlich hat auch alles geklappt.

Was ich bei der Hinfahrt gleich feststellen musste: Das ist Laptop-Zone. Kaum eingestiegen haben alle um mich rum ihre Kisten aufgeklappt und ganz geschäftig drauf rumgehackt. Was auch immer man morgens um 6 schon im Zug arbeiten muss.

Das Interessante daran: Die Privatsphäre lässt man bei einer Zugreise offenbar zu Hause, denn man sitzt doch recht dicht nebeneinander in so einem Zug, und ich kann natürlich alles sehen, was mein Nebenmann auf seinem Laptop macht. In diesem Fall war das ein Marathonläufer, das sagte mir zumindest sein Desktop-Hintergrund.

Als Interlude eine kurze Impression meiner Rückfahrt im Außenreporter-Style. Sehr entspannend:

Auf der Rückfahrt konnte ich dann noch ein weiteres Phänomen beobachten: Wenn mehrere Kollegen aus der gleichen Firma gemeinsam Zug fahren, dann bleibt nicht nur die Privatsphäre zu Hause, sondern auch die Geheimhaltung im Büro.

Ich musste nicht mal auf das Laptop meiner Nebensitzerin gucken. Sie hat sich lauthals und über mehrere Reihen hinweg mit ihren Kollegen besprochen, und ich kenne jetzt die Personalstrategie eines baden-württembergischen Papiermaschinenherstellers für die nächsten 6 Monate.

Mir kam das ein wenig vor wie wenn eine Gruppe Leute über die Straße geht: Da geht man dann auch einfach los, auch wenn ein Auto kommt, weil man ist ja eine Gruppe. Alleine würde man das nie tun.

Und hier wurden wohl auch ganz gruppendynamisch alle Hemmungen fallengelassen, gleichzeitig sorgte der Gruppenzwang mit 15 aufgeklappten, schmucklosen Laptops des gleichen Herstellers dafür, dass meine Nebensitzerin überaus geschäftig auf ihrem herumtippte.

Sie war so der Typ ambitionierte Jung-Businessfrau, hätte sie kein Kostüm angehabt, der Schaffner hätte sie nach dem Schülerausweis gefragt. Und weil alle so geschäftig waren, war sie das auch, auch wenn sie nur ihre handschriftlichen Notizen aus einem Human Ressources-Meeting abgetippt hat.

Dabei ist mir auch aufgefallen, dass wahllose Anglizismen längst von der hippen Werber- in die bodenständige schwäbische Maschinenbauer-Welt übergegangen sind. 2 Dos, Meeting, Forecast, Jour Fix, Human Ressources – und das war nur der erste Teil ihrer Notizen!

Um jetzt nicht in einem falschen Licht dazustehen: Ich musste mich nicht sonderlich anstrengen, um in ihr Laptop zu gucken. Sie hatte ihr Zeug rücksichtslos über den ganzen Tisch ausgebreitet und ihr Bildschirm befand sich quasi direkt vor meiner Nase.

Weshalb ich nicht nur sehen konnte, dass sie als Desktop-Hintergrund ernsthaft einen Delphin hatte, sondern stieß absurderweise tiefer in ihre Privatsphäre als ihre Kollegen außenrum wohl ahnten: In einem originell mit „Privat“ beschrifteten Ordner gab es ein Dokument namens „Bewerbung BMW“.

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28 Comments

  1. says: Martin Sp.

    Die Anglizismen gehen ja noch, auch wenn ich persönlich Human Ressources als menschenverachtend empfinde. Hat was von Ressourcenverbrauch. Ich war mal in einem „Unternehmen“ (=kleine Klitsche), das so gehandelt hat. Und jetzt mal wieder von Fachkräftemangel schwadroniert.

    Egal. Mein persönlicher Liebling war jedenfalls vor Kurzem der Consultant (=externer Bearter), der eine Landscape brauchte für das Big Picture. Das war auf meinem Workstream als Stakeholder anscheinend. Ich weiß bis heute nicht was der eigentlich wollte.

  2. says: Toni D.

    Ha ha… toller Artikel. Erinnert mich an mein Wochenende. Mitfahrgelegenheit nach Berlin und zurück. Leider nicht in nem BMW voll Gangsterfrisösen.
    In solchen Lebenslagen gibts nur eins: Kopfhörer auf, Augen zu und Schnauze halten!

  3. says: Kathi

    Ich tippe mal so ins Blaue deine Sitznachbarn waren von Voith…

    Jour Fixe stamm von der Wortherkunft übrigens nicht aus dem englischen sondern aus dem französischen Wortschatz. Wird in der Form aber auch nur in Deutschland so verwendet.

  4. says: Leo

    Einige große Firmen verzichten mittlerweile auf anglizismen und untersagen sie soagr explizit. Was ich gut finde. Es gibt auch deutsche Wörter dafür. Dieses rumgeseier geht mir nämlich auch aufn Sack.

  5. says: Frau Doktor

    Ich arbeite ja schon etwas länger an einem Business Plan für Mission Critical Information Sourcing by train trip. Was mir fehlt, ist ein Mensch, der mir Zugang zu den Business Tripp Plänen interessanter Firmen verschafft. Und dann kann’s losgehen. Biete jedem Bahnfahrer freie Mitarbeit und Gewinnbeteiligung im Erfolgsfall an.

  6. says: No 2da Ra

    Hahahahaha tolle Geschichte! Würd mich ja schon interessieren ob sie den Job bei BMW bekommt – da kann se dann über die dämliche Strategie ihrer Ex-Kollegen lästern – voll nich tight Altaaa!

  7. says: neongrau

    @Leo: Untersagte Abglizismen klingt für mich bissl wie die geleakten (was ein Wort) eMails der NPD. Dort wird auch vom Weltnetz und der Netzadresse gesprochen…

  8. says: Leo

    @neongrau
    Naja… man kann ja mal anfangen anstatt „Meeting“ „Besprechung“ oder „Sitzung“ zu sagen, anstatt „jour fixe“ „Regeltermin“ oder „Hausmeister“ zum „facility manger“ 😉

  9. says: TG

    man muss eben wissen, wo man bei Anglizismen die Grenze ziehen muss: einen Laptop als Klapprechner zu bezeichnen klingt ebenso bescheuert wie „ordinateur“ im Französischen der Computer.

  10. says: seeopfer

    business frauen sind eh die geilsten. die haben so nen innenren zwang zu zeigen dass sie eigentlich viel besser sind wie die ganzen bösen männer um sie herum

  11. says: LuisL

    Meeting kann man nicht so leicht durch Sitzung ersetzen. Bei uns im Büro ist eine „Sitzung“ ganz klar als längerer Besuch des WCs definiert.

  12. says: Peter

    Aber wer deutsche Wörter benutzt, muss auch wissen wo seine Grenzen sind. Mal ein paar Beispiele: „Ich schick dir den Verweis im G’sichtsbuch“, „Am Wochenende Schneebrett-fahren gehen“ oder noch besser „Im McDonalds ein Käs-Weckle mit Pommes essen“ 🙂

  13. says: Tsu

    njaa, „jour fixe“ und „to do“ hab ich schon 2003 bei meinem praktikum bei daimler benutzt, das is ja nix neues mehr und vor allem auch nicht wirklich aus der hippen werberbranche. ebenso „meeting“, das wird ja auch schon ewig in jedem saftladen gebraucht…

    fahre auch öfters zug, geschäftlich bedingt, aber dort zu arbeiten bin ich meist zu faul^^. ich schlaf lieber 😉
    meine kollegen arbeiten aber sehr gern, weil sonst die zeit für sie so ungenutzt ist. ja mei, jeder wie er will.

  14. says: Cabura

    @ Frau Doktor – ich möchte mich bewerben
    Bringe natürlich auch die notwendigen „abilities“ und „skills“ mit

    Gute Ohren und ne Bahn“Card“. „Competitive Analysis“ und „Benchmarken“ – alles „easy“

    „straighter“ „Business talk“ hier im

    „Schallplattenunterhalter- und Turnschuh“ – BLOG

  15. says: Annette

    Deswegen gibt es viele Firmen, bei denen die MAs im Zug so eine spezialfolie auf den Bildschirm machen müssen. Damit du die Inhalte nur lesen kannst, wenn Du ganz Strack von vorn drauf schaust.

    bei der DB ist das zum Beispiel so. Die wissen, warum. 🙂

  16. says: LKTRSNDY

    Hehe, ja ist mir auch schon aufgefallen, diese ganzen Typen mit ihren Klapprechnern. Manchmal komme ich mir da dann echt ganz schön komisch vor so ohne. Dabei kann man doch so schön ein Bier trinken und die Natur geniessen.

  17. says: franzi

    @Carsten: oder lassen einen firmenwagen springen…war heute die einzige von 14 seminarteilnehmern die ihren trolly zum bahnhof schleifen musste, alle andren sind ins auto in der tiefgarage gestiegen und losgeflitzt…

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