Eigene Liga für sich: Curry-Spezial beim Brunnenwirt

Gastautor Johannes Finke lebt seit anderthalb Jahrzehnten in Berlin und das sehr sehr gerne. Vor ein paar Tagen flixtrainte er in die alte Heimat, hatte nach ein paar Stunden Zugfahrt Hunger und stand vor einem verschlossenen Udo Snack und es schlug die große Stunde des großen wie einzigartigen Brunnenwirts.

Neulich reise ich mit der Bahn aus Berlin in Stuttgart an. Es ist halb zehn Samstagabend, mein bester Freund erwartet mich am Bahnhof. Da „in der Halle vor dem Wittwer“ als Treffpunkt nicht mehr funktioniert und Daniel mir wohl gefällig entgegenlaufen wollte, verpassen wir uns erst einmal. Die Aktion kostet zehn Minuten. Vielleicht genau die entscheidenden zehn Minuten.

Beharrlich warte ich dennoch in der Bahnhofshalle vor dem mit Bauzäunen und Sichtplanen verdeckten leerstehenden Wittwer, bis Daniel vom anderen Ende her auf mich zukommt. So wie es scheint, ist er einmal im Kreis gelaufen. Warum auch nicht. Eigentlich dreht sich ja sowieso alles im Kreis. Die Erde. Die Planeten. Die Gedanken. Die Felgen eines 1974-er Neunelfer Targa aus Zuffenhausen. Im Übrigen der Teil von Stuttgart, in dem ich aufgewachsen bin. 

Nach einer herzlichen Umarmung und dem üblichen Schnellgedisse von Mitreisenden, Umherstehenden und Stuttgart 21, treibt uns der Hunger am Unbekannte Tier, äh, dem Palast der Republik vorbei, über den kleinen Schloßplatz in Richtung Udo Snack. 

Es ist zehn vor zehn, als wir dort angekommen auf eine verschlossene Tür stoßen. Warum ist hier nicht auf? Was ist hier los? Waren sieben Stunden Flixtrain inmitten pubertärer Problemjugendlicher auf der Rückfahrt von einer betreuten Ausfahrt in die Partyhochburg Berlin nicht genug? 

Daniel zeigt auf ein kleines Pappschild, dass von innen in der Tür hängt: „Wir sind ausverkauft“. Alright. Das erklärt alles und nichts. Von Innen winkt lächelnd das mir unbekannte Personal.

Mit einem weinenden, ob des verpassten, besten Cheeseburgers in Stuttgart oder vielleicht sogar in Süddeutschland, und einem lachenden Auge, ob des auch nach Jahrzehnten nicht abnehmenden Zuspruchs, den dieser Laden erfährt, überlege ich mir eine Alternative. Währenddessen frage ich mich, ob Jan, der dort früher immer gearbeitet hat, noch lebt? Es wäre schön wenn, denn er war noch vor Carlos mein liebster Burgerbrater in der kleinen Schuhschachtel in der Calwer Straße. 

So ende ich schließlich bei Jürgen, der nicht anwesend ist, und höre mich wie automatisiert eine Curry-Spezial mit ’nem Ganzen, ’ne Rote im Brötchen mit Senf und ’ne Pepsi im Becher bestellen. So einfach kann das Leben sein.

Ich lebe seit fünfzehn Jahren in Berlin. Das Dicke B. an der Spree ist mein Zuhause geworden. Specter sagte vor drei Jahren bereits, ich sei der einzige Stuttgarter, den er kennt, der nicht mit Stuttgartern abhängt und sei zudem mehr Berliner als die Meisten. Ich weiß das zu schätzen. Berlin ist ein Teil von mir geworden, so wie ich ein Teil der Hauptstadt wurde.

Nur wenn wirklich jemand glaubt, Curry36 würde in einer Liga mit dem Brunnenwirt spielen, dann hat derjenige die Kontrolle über sein Leben verloren. Aber das ist nur meine Meinung. Guten Appetit.

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