„Demo für alle“: Die wollen uns alle schwul machen

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Aha. „Demo für alle“ – das sind die genderbesorgten Bürger, die gegen die Schwulisierung des Bildungswesens auf die Straße gehen. Ich habe mir das angeschaut. Ja: „angeschaut“. Mehr wollte ich auch nicht. Sonntags schaut man ja prinzipiell mal – notfalls halt auch mal die „Demo für Alle“.  In dem Fall reicht anschauen auch vollkommen. Ich befürchte auch, dass mir sowohl die  Überzeugungskraft, als auch die Energie abgeht, diese Leute ausgerechnet am Sonntagmittag umstimmen zu können.

Wer 2016, trotz aller Informationsmöglichkeiten tatsächlich in der Angst lebt, verschwult zu werden, dem hilft kaum einer mehr. Außer den einschlägigen Parteien. Da grenzt es vielmehr an Comedy, dass sich ausgerechnet diese Menschen gegen vielfältigere Bildung wehren.

Einer ihrer Kritikpunkte: Der Bildungsplan würde Kinder „sexualisieren“ und sie daran hindern, ihre Geschlechterrollen selbst zu finden. Als ob das nicht schon schwer genug wäre, wenn jemand neben ihnen rumbrüllt, der Homosexualität für einen Defekt, Sünde, Schrulle oder das Gegenteil von familientauglich hält.

Des Pudels Kern: es geht eigentlich um die Gleichstellung von Hetero- und Homosexuellen. Mir fällt ernsthaft kein Argument ein, das dagegen sprechen könnte. Ob Kinder das verstehen, wenn ihre Freunde zu Hause zwei Mamas oder zwei Papas sitzen haben? Keine Ahnung. Es wäre aber hilfreich, wenn zumindest Eltern die eventuell aufkommenden Fragen in aller Ruhe beantworten könnten.

Ich wollte mir am Sonntagmittag die Leute anschauen, die das alles nicht möchten. Sie trafen sich auf dem Schillerplatz, um später gemeinsam durch die Straßen zu laufen. Ich setzte mich an der Hauptstätter Straße auf einen Fahrradständer und schaute mir die Leute an, die behäbig über die Hauptstätter Straße wanderten und lustige Schilder in  die Luft hielten auf denen irgendwas mit „Familie“ und auch sehr viel dummes Zeug stand. Es wirkte wie ein Trauermarsch.

Flankiert von Schaulustigen, Gegendemonstranten und Polizisten liefen in dieser Menschenmenge Rentner, Trekking-Jacken, vereinzelte Hooltypen, Mittelstand vom Dorf und viele verängstigte Kinder, die sich fest an die Hände ihrer Eltern klammerten. Ab und an lösten sich kleine Gruppen der gepanzerten Polizisten von ihrem Positionen und liefen bedrohlich irgendwo hin – als würde es da brennen. Man hält automatisch kurz die Luft an, wenn sowas passiert. Ist ein Reflex.

Die Stimmung war aufgeladen, „gereizter und aggressiver“ als bei den bisherigen Veranstaltungen dieser Art sagte Polizeisprecher Olef Petersen später gegenüber der StZ.

Vermutlich auch weil in der erzkonservativen Denke der Demonstranten gerne auch anderweitig menschenverachtender Dreck mitschwimmt, der sich in Wortwahl und Ansinnen oftmals kaum von den Spaziergängern in Dresden unterscheidet. Alleine sieben Gegendemonstrationen waren gemeldet und seit Wochen riefen Organisationen jeglicher Couleur dazu auf, den „Anderen“ nicht die Straße zu überlassen.

Auf der Kundgebung am Schillerplatz erzählt die Publizistin Birgit Kelle „Wir brauchen keine Belehrung über Toleranz, die da draußen brauchen aber eine.“

Obwohl Fasching längst vorbei ist, haut sie auch einen für die Bütt‘ raus: Kretschmann werde ihnen noch dankbar sein, wenn der „freundliche Grüß-Gott-Onkel“  sich nicht gendersensibel „Kretschfrau“ nennen müsste. Tusch. *hohololrofl* Sie will dem „rot-grünen Spuk ein Ende bereiten“ – und warnt vor Leuten, die an ihnen „vorbeiregieren“ wollen. Es ist ihr demokratisches Recht und wenigstens erinnert sie an die Landtagswahl. Hartmut Steeb von der Evangelischen Allianz Deutschland redet derweil  von einer „gottlosen Revolution von oben“.

Einer der Demonstranten auf der Hauptstätter Straße trug einen Motörhead-Kapuzenpulli unter der schwarzen Lederjacke: Ich glaube, Bildung wird besonders schwierig, wenn man nicht mal den Unterrichtsstoff von Motörhead verinnerlichen konnte.

Nur einmal habe ich mich am Sonntag aktiv beteiligt: Ein Mann löste sich aus der Menge und brüllte in meine Richtung: „Ihr seid linke Nazis. Das seid ihr!“ Ich zeigte ihm kurz den Mittelfinger meiner linken Hand, musste dann aber doch grinsen. Auch weil der Mann wirkte wie einer, der eine sehr weite Anreise auf sich genommen hatte. Von mindestens 1950, also ungefähr.

Einmal habe ich auch laut gelacht: einer der furchteinflößenden Polizisten rannte los und stolperte gleich beim zweiten Schritt über einen Straßenbegrenzungs-Poller. Dank seiner Schutzpanzerung machte das einen Höllenlärm als er auf dem Asphalt aufschlug. Lauter war nur das Gelächter der Zuschauer, die – nachdem er wieder aufgestanden war – anerkennend applaudierten. Ich hoffe, er hat sich nicht verletzt. Wirklich.

Ich habe auch einen peinlichen Kerl gesehen, der sich ein schwarzes Tuch über das Gesicht zog und auf eine Gruppe dieser Polizisten losrannte. Zwanzig Meter vor den Beamten stoppte er und bog rechts in eine Gasse ein. Einer der Polizisten brüllte: „Besser für dich, Arschloch“.  Ich nehme mir die Freiheit, beides blöd zu finden.

Ein paar Minuten zuvor hatte ich mich am Schillerplatz mit einem dieser Beamten in Panzerburka unterhalten. Ich sah nur seine Augen – hatte aufgrund seiner Bewaffnung, Panzerung und der Barriere zwischen uns trotzdem nicht das Gefühl, wir würden uns auf Augenhöhe unterhalten. Hab’s trotzdem gewagt:

Ich: Darf ich da rein, mir anhören was die da erzählen?
Er: Wollen Sie das wirklich?
Ich: Irgendwie schon.
Er: Sie sind nicht deren Meinung, oder?
Ich: Überhaupt nicht. Möchte den Quatsch aber hören.
Er: Also, Sie können da rein. Aber wenn Sie da jetzt laut „Scheiße“ schreien, können wir nichts für Sie tun. Wenn sie wirklich wollen, gehen sie bitte da hintenrum zur Einlassschleuse.

Würde er eine Kennzeichnung an der Uniform tragen, hätte ich ihn später bei der örtlichen Polizeibehörde gelobt. Später am Wilhelmsplatz sehe ich dann Sanitäter, am Bordstein sitzen in Thermodecken verpackte zitternde Menschen, die von Helfern verarztet werden und viele leere Wasserflaschen. Das Wasser braucht man um das Pfefferspray aus den Augen zu waschen.

Ich habe nicht gesehen, was dort passiert ist, wer angefangen, wer reagiert hat – und ich erlaube mir deshalb kein Urteil über Verhältnismäßigkeit von allen Beteiligten. Man erzählt mir, Gegendemonstranten hätten eine Barriere durchbrochen und die Polizeikräfte hätten dies mit Schlagstock, Pfefferspray und Pferden quittiert. Andere erzählten von einer Sitzblockade, die mit Polizeigewalt aufgelöst wurde.

Ich sehe nur das: Leute mit zusammengekniffenen Augen zitternd am Bordstein in diese funkelnden Decken gehüllt und Sanitäter über Menschen gebeugt, die auf der Straße liegen und ebenfalls zittern. Und wenn auch gar nix sicher ist – das schon: Deeskalation fand hier offensichtlich nicht statt.

* Unerfreuliches Update: Mitteilung der Demosanitäter

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15 Comments

  1. says: Alexander Maier

    Top Artikel … liest sich wahnsinnig gut. Leider stimmt es einfacht traurig, dass es noch so viele Menschen aus dem Mittelalter gibt …

    Schande!1111!! … „Bim Bim“ … 🙂

  2. says: martin

    Das Problem ist leider, dass sich die Positionen immer mehr spalten und verhärten, sieht man auch im aktuellen amerikanischen Wahlkampf, also menschen die eben saugerne noch im jahr 1950 leben würden („da war die welt noch in ordnung und keiner schwul“) und menschen, die mit gesellschaftlichen veränderungen klar kommen und schwer befürworten.

    guter artikel heute dazu in der süddeutschen auf seite 3, online nur für sz plus abonennten.

    http://www.sueddeutsche.de/politik/amarillo-in-texas-hoellenangst-1.2885853?reduced=true

    von diesen „kulturkämpfen“ wird in ein paar jahren auch noch mehr auf uns hier in deutschland zu kommen, da bin ich mir leider ziemlich sicher.

  3. says: der Felix

    Irgendwie spaltet und verhärtet sich grade alles, hab’ ich den Eindruck. ich weiss nicht, wann ich das letzte Mal eine Diskussion erlebt habe, bei dem sich irgendeiner von seiner Position auch nur einen Millimeter wegbewegt hat. Und alle sind immer gleich von 0 auf 180 in 2 Sätzen und sofort fliegen die Steine, verbal wie auch in echt.
    🙁

  4. says: Setzer

    Ich glaube mit dem Grad der Unzufriedenheit steigt auch die Zahl derer, die einen „Schuldigen“ dafür suchen. Ich befürchte, dass deshalb wieder vermehrt konservatives Denken beschworen wird. „Konservativ“ heißt ja ganz grob „erhalten“ – beziehungswesie sich an die Zeit zu klammern als es einem besser ging.

    Ich glaube allerdings, dass die „Schuldfrage“ nicht so einfach zu klären ist, wie jeder sich das wünscht.

  5. says: der Felix

    Definitiv. Einen Schuldigen zu haben ist immer eine feine Sache; dann ist man selber fein raus und man muss sich nicht mit sich selbst beschäftigen; lieber projizieren als reflektieren.

  6. says: seibi

    Bester Satz: „Ich glaube, Bildung wird besonders schwierig, wenn man nicht mal den Unterrichtsstoff von Motörhead verinnerlichen konnte.“ Danke, Herr Setzer. Und überhaupt: Finger hoch für den Artikel. Nicht den mittleren. Sondern den ganz linken an der rechten Hand. Oder den ganz rechten an der linken Hand. Noch eine Frage an die homophonen besorgten Bürger: Als was geht Gott eigentlich an Karneval?

  7. says: ChrisK

    Aus meiner Sicht lernen die Menschen, wer am lautesten schreit hat grundsätzlich recht. Und wenn schon nicht das, dann hat man wenigstens die Deutungshoheit oder es wird über einen Berichtet. Was dann wieder dazu dient, die eigene Meinung zu multiplizieren. So gesehen hilft jeder Bericht, also auch dieser, diese Situation fortzusetzen. Wir müssen wohl lernen damit umzugehen oder die bisher jeweils stille Mehrheit muss sich daran gewöhnen dauerhaft auch ihre Meinung zu vertreten. Aber dann sind wir genau in der Spirale, die u.a. Martin angesprochen hat.

  8. says: ChrisK

    Apropos, neutral im Zusammenhang von „Notfallmedizin und Aktionsunterstützung“ zu reden fällt mir auch schwer. Wenn man den überzogenen Teil abzieht gibt es aber trotz allem wohl Handlungsbedarf.

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