Die Oper im alten Paketpostamt: Blaubart & Requiem pour L.

(Alle Fotos: Matthias Baus)

OperOper! Da stellt man sich dazu einen blondierten Typen mit viel Kajal vor, der einen mit einem Megaphon anschreit. An dieser Stelle bin ich zum Glück aufgewacht aus meinem kleinen Scooter-Albtraum und hab mir gedacht: Ja 2018 hat sich angefühlt als wäre Stuttgart Kulturhauptstadt des Jahres – und ich Feuilletonist bei der FAZ.

Denn verrückt, aber ich war 2018 schon in allen vier großen Kultur-Institutionen dieser Stadt: Staatsoper. Ballett. Schauspielhaus. Und SI-Centrum.

Weil einer muss bei kessel.tv ja für die Kultur zuständig sein. Thorsten ist ja eher so der Typ Burlesque und mag das, wenn Halbnackte auf Schaukeln von der Decke schweben. Und die größte künstlerische Leistung von RAM dieses Jahr war es, ein Zimmer weiß zu streichen. Weltkulturelbe wird der heuer nicht mehr.

Als es hieß, die Oper lädt ktv zur Preview ein, hätte ich konsequenterweise trotzdem DJ Elbe fragen müssen, ob er wenigstens mitkommt. Mein Kulturbuddy for life. Wir waren jetzt nämlich demnächst schon zusammen bei insgesamt drei großen Veranstaltungen, die im weitesten Sinne als Hochkultur durchgehen:

End of Green im Wizemann, Helene Fischer im Neckarstadion und bald Mark Knopfler in der Schleyerhalle. Im Trailer zur Mark Knopfler Tour habe ich übrigens jemanden gesehen, der Flöte spielt (hoch oder quer, hab ich vergessen). Und wenn das passiert, gehe ich heim.

Normalerweise begleiten mich die Leute ja immer auf alte Konzerte. Und stellen dann Fragen wie „Wann spielen sie denn ‚I was made for loving you?‘. In diesem Fall bin ich aber eher der Kultur-Zivi von DJ Elbe und werde ihn begleiten. Nicht, weil ich Dire Straits so gut finde, aber ich möchte auf keinen Fall verpassen, einer von zwei Menschen zu sein, die mit einem ‚Sultans of Swingerclub‘ T-Shirt in der U11 sitzen. Oder im X1. Mal sehen.

(Das ehemalige Paketpostamt vor dem Aufbau der Bühne – hier noch ungeflutet. Da hinten müsste noch irgendwo mein amazon Paket mit der ersten Foo Fighters liegen. Kam nämlich nie bei mir an)

Von den Kultur-Ereignissen, die ich dieses Jahr schon vor der Preview von Blaubart gesehen hatte, lässt sich auf jeden Fall ein kleines Ranking erstellen. Ihr mögt doch Listen, oder?

Auf dem letzten Platz Bodyguard – das Musical (zu wenig Tiefe und zu wenig Whitney und ich habe mich sehr gewundert, wer alles ins Musical geht. Ich zum Beispiel).

Auf Platz 3: Ballett. Ich hab’s aufrichtig versucht. Mir war vielleicht auch einfach nur das Stück zu heiter, aber es hatte was von getanztem Bauerntheater. Es hiess La Fille de la Gare. Oder la Gare de la Fille. Und war nur so mittel.

Zweiter Platz: Schauspiel. Ich fands ehrlich gesagt etwas sehr anstrengend. Eines dieser hochgehypten René Pollesch Stücke, auf denen glaub ein Numerus Clausus von 1,2 ist – oder man muss halt aus Berlin sein. Es wurde viel geschrien und ganz oft das Gleiche gesagt und ich hatte recht früh das Bedürfnis, ganz woanders zu sein. Bei Mark Knopfler zum Beispiel.

Erster Platz: Eindeutig Oper. Oper ist gut für mich. Hätte ich nie gedacht. Aber Orpheus in der Unterwelt und Don Pasquale waren beide sehr kurzweilig und unterhaltsam und fast wäre ich danach noch zum Saturn, um mir den Soundtrack zu kaufen.

(Bühne im Aufbau. Bissle wie bei Metallica und ja, auch bissle wie bei Helene Fischer, nur ohne den VW Amorak)

Entsprechend hab ich gleich HIER gerufen, als die jetzt neue Oper eingeladen hatte, mal zu schauen, was es denn mit der neuen Intendanz und dem „behutsamen, programmatischen Wechsel“ auf sich hat. Und das an der megageilen Spielstätte Paketpostamt.

Da weiss ja jeder, wo es ist und keiner wie man hinkommt. Pro-Tipp: Nicht über den Nordbahnhof und die Mittnachtstraße, obwohl es da sehr sehr geil und fast ein bisschen Dortmund ist. Aber da läuft man sich den Wolf. Die Website empfiehlt, sich ab Haltestelle Mineralbäder durch den dunklen Park zu kämpfen, aber da kann es sein, dass einem nachher der Dubs bissle brennt.

Ab normalem Spielbetrieb – wir waren zu einer Art Preview mit Testpublikum geladen – gibt es wohl Velotaxen und Busshuttles vom Landtag. Siehste mal: kaum ist ein neuer Sheriff in der Stadt, fahren hier plötzlich Postkutschen. Und ich meine nicht den Weinzierl.

Für die Inszenierung von Herzog Blaubarts Burg hat der Installationskünstler Hans Op de Beeck im Paketpostamt das Hahnenwasser aufgedreht und die Halle unter Wasser gesetzt. Am Anfang wurde man dazu von einem Guide in einer kleinen Gruppe abgeholt, mit wasserdichten Schuhüberziehern ausgestattet und spielerisch auf das Stück vorbereitet und musste dann durch das Wasser auf seinen Platz waten.

Klingt crazy und war es auch. Und mehr Pop-Up Kultur und Interaktion und Dschungelcamp und Interim und Zwischennutzung und Operoper geht nicht. Das Stück selber war mir persönlich ein wenig zu einseitig. Ein Skip-Intro-Button hätte dem ganzen gut getan, aber so ist halt Kunst.

Als ich danach dann eingeschlafen bin, hab ich gedacht, man muss vielleicht nochmal an der Storyline feilen und an der Sprache (ungarisch). Aber als ich am nächsten Morgen aufgewacht bin, da dachte ich: geil, dass ich mir das mit Scooter nur ausgedacht und nicht geträumt hab. Und ich dachte: Jetzt hab ich Blaubart verstanden. Und dann fand ich’s plötzlich gut. Und so muss ja Kunst.

Richtig geflasht hat mich dann einen Tag später (Stichwort Operoper) die Aufführung „Requiem pour L.“ im altehrwürdigen Opernhaus. Mir hat das Publikum gefallen – und ich würde gerne mit einem Großteil Weihnachten verbringen, weil sich alles so nach großbürgerlicher Familie und kultivierten Manieren und super Geschenken anfühlt. Die Spielstätte ist so oder so bombe.

Und wer noch nie da war, geht halt bitte mal hin. Und wer die Musik nicht mag, dreht sie halt leise. Zum Beispiel bei einer öffentlichen Führung hinter die Kulissen. Die ich ebenfalls wärmstens empfehlen kann.

Und das Stück selber war unfassbar gut: während im Hintergrund die Projektion einer sterbenden Frau läuft, interpretieren davor auf der Bühne 14 Leute mit Einflüssen aus Jazz und afrikanischer Musik Mozart auf eine mitreissende Art. Manche im Publikum fingen an zu weinen, ich hätte an manchen Stellen gern getanzt. Und ich hätte gerne, dass die neue Oper Stuttgart bitte so abwechslungsreich und genre-brechend und einladend bleibt. Mega Merci für 2 tolle Abende.

Hier noch bissel Video-Preview zu Blaubart.

Und hier ein bisschen richtige STZ-Kultur – Stichwort: Wir haben die Hintergründe, und bei Oper auch die Ahnung, im Gegensatz zu kessel.tv.

Und zum tättowieren noch was aus dem Pressetext:

„In seiner Inszenierung von Herzog Blaubarts Burg konzentriert sich der Künstler und Regisseur Hans Op de Beeck – der außerdem als Filmemacher, Maler, Autor und Komponist arbeitet – auf die Geschehnisse und Wandlungen zwischen beiden Akteuren, die bewegliche Dynamik ihrer Beziehung wie sie auch in Bartóks Partitur angelegt ist. Er verwirklicht in dem alten Industriegebäude des Paketpostamtes ein allumfassendes Gesamtkonzept und ermöglicht den Zuschauern auf diese Weise den Zutritt in Blaubarts düsteres Reich. Op de Beeck interessiert das menschliche Drama, die Unmöglichkeit einer Liebe, das Spiel um Macht und Wissen und letztlich die Ohnmacht gegenüber einer unterbewusst präsenten Vergangenheit.“

Tickets Herzog Blaubarts Burg
Tickets Requim pour L.  

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