Als mir kürzlich mein Abi-Zeugnis in die Hände gefallen ist, wurde ich ein bisschen wehmütig. Nicht wegen der Schulzeit, aber wegen den verpassten Möglichkeiten: Bio, Physik, Chemie – eigentlich super spannende Themen. Nur damals superlangweilig an einen supergelangweilten Halbstarken vermittelt und deshalb dort nie angekommen.
Notiz an mich selber: Beim nächsten Mal Schule passt du auf, machst mit und fragst nach, wenn du was nicht verstehst. Wie gut, dass es die Good School in Hamburg gibt. Dort konnte ich das dieses Jahr gleich umsetzen. Und das schon zum zweiten Mal.
2017 war ich schon mal für 4 Tage auf einer Art Transformations-Internat namens ‚Camp Digital‘. Und fand das damals schon durch die Schulbank gut. 2019 hatte ich dann das Gefühl: entweder nochmal Abi machen (zu lange, Scout-Ranzen zu schwer) – oder eben nochmal back to school. 3 Tage Nachhilfe, Füllstände überprüfen und volltanken unter dem Motto „Update digital“. Und wieder war’s genial.
Schon alleine deshalb, weil Hamburg für mich das bessere Berlin ist und die Good School die bessere Republica, Online Marketing Rockstarsause oder SXSW. Ich bin halt weniger der Lerntyp Konferenz. Und mehr der Typ Frontalunterricht und Hands-on. Anpacken. Ausprobieren. Experimentieren.
Alles das ausdrücklich erwünscht, hier im Schanzenviertel, im ehemaligen Hörsaal des Veterinäramts. Das fing schon damit an, dass wir in zwei Teams noch vor der ersten kleinen Pause, tun mussten, was gerade die ganzen Elon Musks tun: eine Rakete bauen. Und zwar eine, die fliegt.
Ich hatte das XXL-Glück, in einem Team mit dem Ingenieur eines großen Mineralölkonzerns zu sein, der Benzin und Raketentreibstoff im Blut hatte. Und der sicher nicht ganz unverantwortlich dafür war, dass unsere Rakete über das 4 Stockwerke hohe Schulgebäude rüber zu Tim Mälzer geflogen ist. Mineralwassergetrieben. Der Such- und Bergungstrupp ist vermutlich immer noch unterwegs.
Nach diesem stark komprimierten Praxissemester in Rocket Science ging die Theorie mit den aufmunternden Worten los: „In punkto Innovation und Zukunft sind wir alle inkompetent.“ Die Methode dagegen: im 60 oder 90 Minuten-Takt werden Innovationen und Ideen hinter den großen Buzzwords beleuchtet. Mit dem Ziel, dass man am Ende sagen kann, ob das Thema für einen selber relevant ist oder nicht.
„Wahrscheinlich geht Ihr mit mehr Fragen als Antworten hier raus“, so das am Ende eingehaltene Versprechen. Dass diese Fragen etwas mit der Realität und Aktualität zu tun haben, dafür sorgten in 3 Tagen viele spannende und hochkarätige Dozenten. Vom Grimme-Preisträger über den Menschen, der unsere Kanzlerin in allen Digitalfragen berät, die über das vergessene WLAN-Passwort hinausgehen. Vom Harvard-Absolventen bis zur Fernseh-Journalistin, die 2 Wochen mit Carola Rackete an Bord der Sea-Watch war.
Die Lektionen: was ist Science und was Fiction? Was hip und was Hype? Was funktioniert schon? Und was vermutlich niemals?
Zum Beispiel beim Thema KI. Super anschaulich gezeigt vom Leiter des Innovationszentrums der TU Darmstadt. Über machine learning, den heiligen Algorithmus und die Frage, wer mehr diskriminiert: Der Mensch oder die Maschine?
Am Ende gibt er uns keine Hausi auf. Sondern etwas zum nachdenken mit: „Die Welt wird niemals mehr so langsam sein wie heute.“
Wir hören in diesen 3 Tagen, wie man mit Big Data Big Money verdienen kann und warum eine Maschine vermutlich die bessere Mediaagentur ist. Wir erfahren von einem, der beides gemacht hat, wie man das amazon Afrikas und das Zalando Asiens aus dem fremden Boden stampft. Und wir lernen, warum ein einarmiger Bandit und ein Instragram-Like die gleichen neuronalen Prozesse lostreten.
Wir erfahren aus erster Hand viel Neues über den Rezo-Effekt auf die Europawahl, über die magische Grenze von 1.000 Followern und warum die digitale Formel im Marketing nicht mehr lautet: Wieviel mehr verkaufe ich? Sondern: wieviel weniger verliere ich?
Wir lauschen und lernen, fragen ohne zu strecken nach und diskutieren leidenschaftlich. Darüber, ob Content nun king ist – oder distribution kong? Warum es sich lohnt, immer beta zu bleiben, statt alles zu perfektionieren und zu Tode marktzuforschen. Was es bedeutet, dass hochgelobte Apps längst auf den hinteren Screens des iPhones vergammeln. Und was es bedeutet, dass spotify in Zukunft über 20% non-music-content anbieten will.
Über Wischgesten im Kopfhörerbereich als nächste, heiße UX-Anwendung. Über das schöne Scheitern des amazon Firephones – und was so ein auf-die-Fresse-fliegen mit gesunder Fehlerkultur zu tun hat. Wir reden auch über die asymetrische Ignoranz: warum der Westen Angst vor China hat – und die Chinesen neugierig auf alles sind, was wir tun.
Wir reden über Purpose und Ethik, über die don’t be evil Kultur und darüber, dass die Zukunft vermutlich nicht „so wie heute, nur krasser“ sein wird. Und dass es auch nicht nur die eine Zukunft geben wird.
Das alles ist alles: hoch philosophisch und hoch technisch. Beunruhigend und wachrüttelnd. Hochgradig inspirierend und reflektierend.
Das Ganze wird bestens begleitet, moderiert, organisiert und bekocht. Von Hagen, dem biodynamischen Koch der Good School, der auch mal vor die Tore Hamburgs fährt, um krumme essbare Wurzeln für das hervorragende Catering zu sammeln. Es beginnt mit einem gesunden guten Frühstück und endet mal mit einem gemeinsamen Dinner, mal mit einem Kaminabend mit weiteren super spannenden Gästen, die am Ende eines langen digitalen Tages aus dem analogen Nähkästchen plaudern.
3 Tage später schließt der von mir sehr verehrte Christian Blümelhuber von der Universität der Künste Berlin die Druckbetankung mit zwei schönen, provokanten Thesen ab: 1. Fuck the customer. 2. Wenn Unternehmen immer zu spät sind, brauchen sie nicht mehr Strategie. Sondern mehr Glück.
Wie versprochen verlässt man die Good School gut gelehrt, beseelt und inspiriert – aber auch weiter fragend, zweifelnd, nicht-alles-glaubend. Und das ist wahrscheinlich die wichtigste aller Lektionen.