Endlich mal wieder in die Stadt gehen: Nightlife und so. Erst habe ich: „Abriss!“ gedacht und dass gleich die Löcher aus dem Käse fliegen. Dann habe ich mir die tausend Kräne, Baustellen und das Loch im Bonatzbau angeguckt. Da war jemand schneller. Was ist so ein „Abriss!“ denn wert, wenn schon längst alles kaputt ist?
Auf dem Weg zum Charlottenplatz rutsche ich fast in einer Kotzlache aus. „Aber Hallo!“, sage ich. Auch weil noch nicht mal 20 Uhr ist. Der Goldmark’s Biergarten macht aber früh auf, Schluss nämlich mit dem alten Quatsch: Die Coolen kommen erst ab 1 Uhr in den Club und so. Ich sage: Die Coolen rutschen um 19:47 Uhr fast in einer Kotzlache aus. Aber Hallo!
Begrüßen ist derweil schwierig geworden, keine Ahnung, wo die pandemische Hemmschwelle der anderen Menschen liegt und erst recht keinen Plan, wo meine eigene überhaupt liegt. Schnaps trinke ich nicht, die Impfung hat mich ein bisschen sorgloser gemacht, nicht auszudenken, was drei Jägermeister anrichten würden.
Hier eine Ghettofaust, da ein Ellbogen, mal ein Handschlag … und immer die Befürchtung, es könnte distanzierter wirken, als es gemeint ist. Weil: eigentlich freue ich mich wirklich. Überall wahnsinnig viele Leute, mit denen ich mich früher zur Begrüßung angekuschelt hätte.
Und: Hallo? Der DJ heißt Alfredo Amore, da muss man eigentlich kuscheln. Jürgen, der andere DJ ist auch ein super Kuschler. Naja, wenigstens legen beide bei „Powertrip“ Metal auf. Das ist das internationale Zeichen für menschliche Wärme. Hand in Hand der Apokalypse entgegenshuffeln, in der anderen Hand: „Gerstenkaltschale“.
Früher fand‘ ich Leute doof, die „Gerstenkaltschale“ sagen. Heute weiß ich, dass richtige Idioten andere Merkmale und Erkennungszeichen haben. Ich trinke eh lieber Cider. Und obwohl ich mal wieder unter Menschen bin: kurz im Stuttgarter Internet Instagram und Twister checken, ob‘s den Freunden auch gut geht.
Manche fotografieren da ihre Schallplatten, andere ihren Urlaub, Bier oder die Füße – ist doch super: irgendwas gut finden und a bissle hoffen, dass es wirklich wieder besser wird. In 18 Monaten Pandedingsbums haben wir alle neue Tricks lernen müssen, uns selbst und die Freunde bei Laune zu halten.
Auf Konzerte und In die Clubs gehen sie offensichtlich selten. Das weiß ich spätestens nachdem ich auf dem Klo war. Im Goldmarks hängt auf dem Weg zur Toilette normalerweise Werbung für ungefähr 4000 Konzerte und andere laute Veranstaltungen. Immer schön bunt und eigentlich eh viel zu viel.
Jetzt sind die Wände kahl, also rot. Alarmstufe und so. Ich guck trotzdem die Wand an. „Da hängt nix, ne?“, fragt einer. So wie ich manchmal hoffe, dass die komischen Geräusche nicht nur in meinem Kopf Rambazamba machen. Klingeltöne und so. Ich nicke. „Ja, nix. Ist seltsam.“
Und so sehr mir Konzerte fehlen, so sehr halt auch überhaupt nicht. Nightlife, Konzerte und all das scharfe Zeug ist ja dann doch mehr als ein DJ oder eine Band, die sich Gedanken über den musikalischen Rahmen des Abends machen.
Man geht Getränke holen, Mist quatschen, Leute treffen, man lernt aus Versehen neue Leute oder Meinungen kennen und lässt sich eine Nacht lang wie so eine Flipperkugel durch die Eindrücke ballern. Flatz, Bäm, Wusch … und dann sagt der Türtyp, dass man jetzt bitte Fresse halten, die Promille und den anderen Überschwang zusammenpacken und nach Hause gehen soll.
Das gibt‘s aber leider nicht zur Zeit. Da ist immer a bissle Vorsicht mit dabei und ein doofes Gefühl. Orr, oder durchs schwitzvolle Transit drücken, zur Bar kämpfen, Schnäppschen bei Reimi oder Heiko damals, rüber zu RAM, ihn a bissle beim DJ-Zeug stören. Überall schwitzende, hustende und brüllende Leute …. Ja, der Scheiß von früher fehlt – also, theoretisch.
Aber jetzt wieder unter 300 verschwitzen IdiotInnen von einer Band angebrüllt zu werden und gleichzeitig die Lage der Nation mit Sachverständigen zu bequatschen und Getränke zu bestellen – so weit bin ich noch nicht. Und es fehlt mir nicht, beziehungsweise: es fehlt höchstens, wie das früher mal war. Wie das heute ist oder demnächst sein wird, da bin ich mir noch nicht sicher, ob mir das, äh, fehlt.
Ich bin einfach nur froh da zu sein und dass hinter der Getränkeausgabe im Goldmark’s noch die Leute stehen, die da früher auch schon gestanden haben. Normal ist das leider nicht. Viele Leute, die uns jahrelang am Tresen betüddelt haben, sind weiter gezogen, weil sie keine andere Möglichkeit hatten. Auch das ist halt Nightlife: die tollen SäckInnen hinterm Tresen.
In den USA sagen Bands gerade wieder ihre Tourneen ab, weil sie sich um sich selbst und um ihr Publikum sorgen. Auch das ist ein Teil der Wahrheit. Auch wenn das Rock’n’Roll-Zeug immer einen Hauch von Verantwortungslosigkeit versprüht, stimmt ja nicht.
Da kommen ja immer Leute vorbei, die auch nicht krank werden sollen. Es gehört sich, da aufzupassen. Im Goldmark’s ist das ganze Coronazeug ganz gut geregelt: Am Tisch ohne, wer aufsteht, Getränke, Pipikaka – mit Maske. Das passt schon. Wahrscheinlich. Getanzt wird nicht.
Irgendwas von „Tanzen ohne Maske“ und „Normalität“ stand in der Zeitung. Halte ich für Quatsch, beides. Eventuell müssen wir uns eine neue Normalität basteln, weil die alte nicht mehr stand hält. UND: Ich kenne Leute, da erkennt man nur am Gesichtsausdruck, ob die gerade tanzen oder ob man einen Notarzt rufen muss. Ich möchte nicht, dass die mit Maske tanzen. Da fehlt der Funfunfun.
Irgendwann läuft „Doctor, Doctor“ von UFO. Das geht ungefährt so: „Dä dädäaäm dädädä däää“ und dann „Doctor, Doctor Pleaasseeeeeee…..“. Mein Freund Marco und ich ziehen uns die T-Shirt-Ärmel hoch und tun so, als ob wir uns gerade impfen würden. Und wir sind nicht die einzigen Doofköpfe, die das machen. Toll.
Ein bisschen old-school mach ich dann trotzdem noch: „He, DJ spielsch heut noch a bissle Rap?!“, sag ich zum Rock-DJ. Höhö. Das war 1996 lustig und isses natürlich immer noch. Hat er wegen meines Maskengenuschels aber nicht gehört, hoffe ich. Dann wünsche ich mir „Stand up and Shout“ von Dio, blöd eigentlich. „One Night In The City“ hätte ich mir wünschen sollen.
Kurz vor Mitternacht warte ich auf den 42er am Charlottenplatz. Aus dem Goldmark‘s Biergarten schwappt „Holy Wars“ von Megadeth hoch. Es könnte schlimmer sein.