60 Jahre GT4: Schwäbische Wertarbeit mit später Würdigung

Happy Birthday GT4, die offizielle Typenbezeichnung der Profis für die alte Stuttgarter Straßenbahn. Die Stuttgarter sagen wohl eher „die Stuttgarter alte Straßenbahn“. Die alte Stuttgarter Straßenbahn also feierte vergangenes Wochenende ihr 60jähriges Jubiläum (und tut dies in Koop mit dem Stadtpalais quasi noch die ganze Woche, bedeutet dass die Linie 23 ihre Runden dreht, take your chance) und da muss natürlich Deutschlands größter Stadtstraßenbahnöffiblog am Start sein.

War er aber leider nicht, dafür unser Gastautor Benjamin Neudek, der wiederum den Blog Stadtneurotiker betreibt und sich mit dem GT4 ganz hervorragend auskennt, wie ihr gleich lesen könnten. Traktion is the limit und alles Gute, du süßer GT4 (like wer ihn noch kennt).

Alle Bilder Benjamin Neudeck.

Als die Maschinenfabrik Esslingen 1959 den ersten GT4 auf die Gleise der Stuttgarter Straßenbahnen stellte, erhoffte sie sich einen Aufschwung für ihr Geschäft. Mit Eisenbahnen konnte sie kein Geld mehr verdienen und sattelte deshalb auf Straßenbahnen um. Es kam leider anders und später noch einmal anders. 

In Stuttgart stand – wie in vielen anderen Städten auch – nach dem Wiederaufbau des Netzes und zerstörter Bahnen Mitte der 1950er Jahre die Modernisierung des Wagenparks an. Die meisten Straßenbahnen stammten noch aus der Zeit weit vor dem 2. Weltkrieg und entsprachen nicht mehr den technischen Anforderungen: Die nach dem Krieg ebenfalls in Esslingen gebauten Zweiachser erwiesen sich als solide, waren jedoch zu klein und wegen des Schaffnerbetriebs personal-intensiv. Fahrzeuge von der Stange konnten nicht beschafft werden, da die topographischen Bedingungen dies nicht zuließen. Der Name dieses Blogs ist eine Erklärung dafür. 

Nach fehlgeschlagenen Tests mit zwei in der Mitte durch ein Gelenk verbundenen Sechsachsern, baute die MF Esslingen für die SSB den kürzeren Gelenk-Triebwagen mit lediglich vier Achsen, fortan GT4 genannt, der mit 19 Metern recht kurz war, aber im Traktionsbetrieb die passende Länge hatte. 

Obgleich diese Fahrzeuge für Stuttgarter Verhältnisse passend erschienen, waren die ersten Jahre von Kinderkrankheiten, öffentlicher Skepsis und hausgemachten Problemen begleitet. Die Kinderkrankheiten, die üblich sind, wenn man auf Prototypen verzichtet, ließen sich im laufenden Betrieb in den Griff bekommen. Die öffentliche Skepsis legte sich, man gewöhnte sich an die angeblich zu langen Züge (so wie später auch an die längeren und breiteren DT8).

Die hausgemachten Probleme blieben erst einmal. Die Werkstätten und die Hauptwerkstätte in Möhringen waren auf die GT4 nicht eingestellt. Denn wegen der der aufwendigen Gelenkkonstruktion konnten sie nicht geteilt werden, was bei größeren Reparaturen und den alle acht Jahre stattfindenden Hauptuntersuchungen jedoch unabdingbar ist.

Die GT4 mussten deshalb zur MF Esslingen und nach Einstellung des Baus von Schienenfahrzeugen zur Waggonfabrik Rastattt überstellt werden. Ein Zustand, der bis Anfang der 1970er Jahre anhielt, als die Hauptwerkstätte an die veränderten Anforderungen angepasst wurde, und den Unterhalt unnötig verteuerte.

Die 350 zumeist in Doppeltraktion verkehrenden GT4 erwiesen sich im Laufe der Jahre als sehr zuverlässig und langlebig. Für die MF Esslingen kam der Erfolg zu spät. Ein Export zu den Verkehrsbetrieben Zürich zerschlug sich nach Probefahrten. Lediglich nach Reutlingen (drei Stück), Neunkirchen (acht) und Freiburg (elf) konnte sie GT4 verkaufen. Das war zum Überleben zu wenig. 

In Stuttgart blieben die Bahnen nahezu 50 Jahre im Einsatz, weil während der über 30-jährigen Umstellung auf Normalspur und die breiteren DT8 keine Ersatzbeschaffung beschlossen wurde. Solange war der Einsatz der GT4 nicht geplant, aber man entschloss sich später, auch zunächst zur Einstellung vorgesehene Strecken umzuspuren; zuletzt die Linie 15.

Das war auch die Linie, auf der die GT4 bis Ende 2007 im Einsatz waren. 
Ab 1988 erfuhren 48 Kurzgelenkzüge ein „GT4 2000“ genanntes Modernisierungsprogramm, um für die noch anstehenden Einsatzjahre fit zu sein. 

Mitte der 1980er Jahre wurden die GT4 der SSB plötzlich zum Verkaufsschlager. Die Freiburger Verkehrs AG kaufte insgesamt elf in Stuttgart nicht mehr benötigte Bahnen, um den plötzlich stark gestiegenen Fahrgastzahlen Herr zu werden, die Stadtwerke Ulm 14, um ihren Fahrzeugpark günstig zu modernisieren. 

Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs wurden die Bahnen auf einmal zum Verkaufsschlager. Sie gelangten in die neuen Bundesländer nach Halle an der Saale, Nordhausen, Brandenburg an der Havel und Halberstadt, wo vier Züge bis heute im Einsatz sind. Eine weitere schwäbische Stadt, Augsburg, wurde auch noch Einsatzort.

Sie gelangten sogar nach Arad und Iasi in Rumänien; auch dort werden sie noch eingesetzt. Die SBB sparten sich mit dem Verkauf nicht nicht nur die Verschrottungsgebühren, sondern verdienten damit auch noch Geld. Man muss kein Schwabe sein, um darin ein gutes Geschäft zu sehen.

Deshalb war es geboten und angemessen, den 60. Geburtstag des GT4 festlich zu begehen. Die Stuttgarter Historischen Straßenbahnen e. V. veranstalteten am vergangenen Wochenende in der Straßenbahnwelt Bad Cannstatt, wo es zur Überraschung des Münchner Autoren übrigens noch einen funktionierenden und ansehnlichen Bahnhof gibt, das Fahrzeug, das 48 Jahre zum Stuttgarter Stadtbild gehörte.

Sie scheuten keine Kosten und Mühen, um noch zwei betriebsfähige Fahrzeuge aus Halberstadt und Freiburg per Tieflader in die Stadt zu holen. Neben den noch im Museum hinterstellten betriebsfähigen GT4 waren sie Bestandteil des Straßenbahn-Korsos am Sonntag. Eine wunderbare Sache, die von zahlreichen einheimischen und eigens dafür angereisten (darunter der Autor dieser Zeilen) Besucher*innen bei strahlendem Sonnenschein genossen und fotografiert wurde.

Leider spielte die Stadt nicht mit, so dass es nicht einfach war, die Züge ohne die zahlreichen in der Mercedesstraße verkehrenden Autos abzulichten. Die Stuttgarter Historische Straßenbahnen e.V. (SHB) zeigten sich jedoch flexibel und wiederholten den Korso zweimal und passten die Geschwindigkeit der Bahnen der Ampelschaltung an, so dass alle zu ihren Bildern kamen.

Die beiden Gäste drehten später bis zum Abend mit ihren Stuttgarter Schwestern für die interessierte Öffentlichkeit ihre Runden um das Straßenbahnmuseum. 

Die Linie 23, die an Öffnungstagen zwischen Bad Cannstatt und Ruhbank verkehrt, hatte wegen des Fahrgastandrangs und eines Unfalls Verspätung wie so ein richtiger Verkehrsbetrieb. 

Die Gast-GT4 werden bei Erscheinen des Artikels wieder auf der Heimreise sein. Die Linie 23 dreht übrigens diese Woche mit den zeitlos schönen GT4 nach dem Sonntagsfahrplan ihre Runden – eine Kooperation mit dem StadtPalais, mehr Infos hier. Am Sonntag, 03.11. werden wegen eines „Hochrisikospiels“ des VfB : Dresden nur Busse eingesetzt.

HP SHB e. V.: https://shb-ev.net
HP Straßenbahnmuseum: https://ssb-ag.de/erleben/strassenbahnmuseum-stuttgart
HP Benjamin Neudek (Autor): https://stadtneurotiker.wordpress.com

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3 Comments

  1. says: Herr Cut

    Damals, 1991-1997, Hausaufgaben im 2. Wagon wo die Fahrerkabine war. Und vom Vogelsang zum Botnanger Sattel mit Rollschuhen den Berg hochziehen lassen.
    Als man noch Jugendlicher sein konnte!

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