30 Jahre Rockfabrik Ludwigsburg

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Heiligsblechle und „‚Schuldigung, ich werde sentimental“. Die Rockfabrik in Ludwigsburg wird 30 Jahre alt. In erster Linie sagt mir das: nächste Woche bestelle ich mir meinen ersten Rollator. Denn ich habe meine Jugend in diesem Laden verbracht. Und als ich das erste Mal dort war, war der Laden schon älter als das KimTimJim je wurde.

Ich war grob 14 Jahre alt und gerade zusammen mit meiner Mutter aus der Staatsgalerie in Stuttgart geflogen. Wir lachten zu laut über das Bild eines Künstlers, beziehungsweise über das Zusammenspiel von Titel, Preis und der eigentlichen Kunst. Wir waren Sonntags oft in Stuttgart. Auf unserem Rückweg in die Metropole Lauffen/N fuhren wir immer an Ludwigsburg vorbei.

Mir war durchaus geläufig, dass es dort das Blühende Barock und einen Märchengarten gab. Offensives Interesse hegte ich aber nur für die ortsansässige Diskothek Rockfabrik. Die warb damals im Radio damit  „der Rockhammer unter den Diskotheken“ zu sein.  Ich sagte „Boh, da will ich irgendwann auch mal hin“. Mutter lachte, ich nicht. Dennoch hatte sie Einsicht, vielleicht auch weil sie selbst etwas neugierig war. Irgendwann fuhr sie tatsächlich von der Autobahn ab und rein ins Ludwigsburger Industriegebiet.

Zu unserer Verwunderung hatten die tatsächlich bereits am glockenhellen Sonntagmittag geöffnet. Meine Mutter redete kurz dem Türsteher gut zu und dann durften wir rein. „Einmal gucken und dann nach Hause“, sagte sie. Ich habe keine Ahnung mehr, was dort für Musik lief, aber die Pappmache-Monster an den Säulen waren „erste Sahne“. Da war Magie im Raum und vereinzelte Typen, die T-Shirts trugen von Bands, die ich nicht kannte aber unbedingt mal anhören wollte.

Pünktlich zum 16. Geburtstag wurde ich dann Stammgast, denn ich hatte Freunde, die bereits Auto fahren durften und durchaus vertrauenswürdig waren. Das Problem: ich musste um Mitternacht meinen Ausweis beim Türsteher abholen.

Ich möchte auch heute nicht die Stunden zusammenzählen, die ich auf dem Rockfabrik-Parkplatz im Auto saß und Iron Maiden-Tapes auswendig lernte, während meine Freunde versuchten, mit irgendeiner Susi oder Tanja aus Eglosheim intim zu werden. Manchmal überlegte ich auch, ob es möglich wäre einen Personalausweis zu fälschen. Denn Susi und Tanja waren mir egal, ich wollte viel lieber nach Mitternacht in der Rockfabrik sein.

Ich wollte nicht fummeln, sondern in die Rockfabrik, ein Spezi bestellen und dann rocken wie ein Hurricane. Mehr hat’s zum Glück damals wirklich nicht gebraucht. Irgendwann klappte es dann auch endlich.

Unser Tag war immer der Sonntag. Ab 15 Uhr hingen wir dort herum, hörten Lieder von Autopsy, Death oder Pungent Stench und versuchten möglichst problemfrei erwachsen zu werden – oder uns wenigstens gegenseitig dabei zu unterstützen.

Als uns die Bundeswehr holen wollte, merkte ich zum ersten Mal, dass dieses „Wir“ etwas besonderes war. Manchmal saßen wir Sonntagmittag im Café der Rockfabrik, hörten Lieder über Krieg, Zombies und Rumgeblute und korrigierten gegenseitig unsere Wehrdienst-Verweigerungsschreiben. Es sah fast wie in einem Büro aus. Und Zwini sagte zu Klaus: „Rechtschreibfehler verbessern und lass den Teil weg, in dem Du schreibst, dass Du deine langen Haare nicht abschneiden willst. Dann kannst du das abschicken.“ Die Rockfabrik ist keine Disco und schon gar kein Club. Das ist mehr.

Ich bekam auch Mathenachhilfe in der Rockfabrik. Hahn, der Gitarrist der Band Noisefilter war ein Genie auf diesem Gebiet. Er rettete mich vor einer erneuten Ehrenrunde in der Schule. Das wiederum sprach weniger für mich, als für Hahn. Denn wer mir wenigstens ansatzweise Mathematik erklären konnte, muss ein Genie sein.

Auch die Sache mit der Schreiberei fing in der Rockfabrik an. Otto, der eigentlich Johannes heißt, pflaumte mich irgendwann mit seinem charmanten Ösi-Akzent an. Ich solle endlich mal meine Klappe halten: „Schreib’s auf, vielleicht findet irgendjemand in der Rockfabrik-Zeitung deine Meinung interessant.“ Dann hatte ich meinen ersten Redakteursjob. Denn die Rockfabrik hatte eine eigene Zeitung. Anstatt Flyer zu drucken, bündelten sie ihre Werbung im Tageszeitungsformat und laute Kids durften den Platz dazwischen füllen. In unserer Schülerzeitung brachte man mir nicht ansatzeise so viel Vertrauen entgegen. Natürlich waren wir allesamt nervige und laute Kids. Doch die Chefs der Rockfabrik behandelten uns nie so, sie nahmen uns ernst.

Im Prinzip war das ein Kulturzentrum mit Jugendabteilung, ohne verständnisvolle Sozialarbeiter, sondern mit solchen, die uns auch mal „Vollidiot“ nannten, wenn das angebracht war und uns förmlich dazu zwangen, irgendeine Form der Verantwortung zu übernehmen.

Von nun an rief immer Hasche, der eigentlich Wolfgang Hagemann heißt,  bei mir zu Hause an und versorgte mich mit Schreiber-Aufträgen. Wenn ich nicht zu Hause war, redete er mit meinem Vater. Der wiederum informierte mich oft recht verstört: „Äh, Micha, da hat eben der Haschisch für dich angerufen.“ Und Mutter sagte manchmal „Der heißt Hasche“.

Mein erster Auftrag war: das Rock Hard Festival in Lichtenfels. Damals war ich 17 Jahre alt und lernte meine erste Lektion in Sachen Rock’n’Roll: Max Cavalera, der Sänger von Sepultura stauchte seinen Bassisten Paulo zusammen. „Der Kleine kriegt nix zu kiffen, Mann. Der ist erst Siebzehn.“

Bei der Aftershowparty in einer örtlichen Diskothek fiel auch kaum Spaß für mich ab. Hasche passte auf und bestellte meinem Freund Marco und mir ein Spezi, während er sich mit seinen alten Bandkollegen von Running Wild unterhielt. Die anwesenden Frauen waren allesamt Groupies – eventuell auch A&Rs oder Promotanten von Plattenfirmen. Den Unterschied erkenne ich selbst heute manchmal nicht.

Eine sagte, ich sei süß, wuschelte durch meinen Afro und bestellte mir wieder ein Spezi. Ich trennte mich sofort von ihr, wir hatten keine Zukunft. Marco klaute beim DJ später noch eine CD von Michael Jackson: „Thriller“. Eddie Van Halen spielte da schließlich drauf.

Mein erster bezahlter Job: Prospekte für die Supermarktkette Minimal austragen. Der zweite: Gärtner im Kernkraftwerk und der dritte: Lichtjockey in der Rockfabrik. Das hieß grob: beim DJ rumsitzen, einigermaßen rhythmisch auf Knöpfe drücken, Frei-Spezi bis zum Abwinken und eine Jahreskarte für die Rockfabrik.

In Herzens- und Lebensangelegenheiten half immer Chris, einer der Geschäftsführer, der tatsächlich Chris, beziehungsweise Christian hieß. Er liebt den Blues. Und versuchte mir mit Engelsgeduld nicht nur Mädchen zu erklären, sondern auch, dass Metalmusik vom Blues kommt. Das mit dem Blues habe ich mittlerweile geblickt.

Als ich mich vor ein paar Jahren mal mit Elmar vom Sentinel Soundsystem unterhielt, meinte jemand: „Ah, der Elmar von Sentinel“. Ich jedoch wusste es besser: „Nein, das ist der Elmar von Güllethrasher“ – so hieß seine Band damals, als er auch immer in der Rockfabrik war. „Wir“ waren viele. Und einige von uns dulden auch heute keine faulen Witze über die Rockfabrik, als sei das eine alberne Frisur oder Stretchhose, die man damals getragen hatte.

Sicherlich änderte sich irgendwann unser Horizont. Wir gingen nach Ludwigsburg ins S35, danach in die Rocke und dann weiter nach Stuttgart ins Unbekannte Tier, die Blumenwiese oder die Röhre. Doch die Rockfabrik wird immer der beste Club der Welt bleiben. Auch wegen der Musik, aber eigentlich wegen den Menschen. Und wenn ich „Rockfabrik“ sage, dann meine ich immer die Menschen. Auch deswegen mag ich es nicht, wenn Leute ironisch darüber reden.

Ich habe gesehen, wie Axel von WIZO während einer Polizeirazzia versuchte, mit einem Schraubenzieher das Blaulicht eines Einsatzwagens abzumontieren. Ein Polizist fragte: „Was zum Teufel machen Sie da!“. Er antwortete: „Ich überprüfe, ob das ordnungsgemäß befestigt ist.“ Ich war dort als Markus Steiger aus dem Karton heraus die ersten Platten seines Plattenlabels Nuclear Blast verkaufte und immer „Isch Kuuullltt!“ sagte. Und ich habe auch gesehen, wie Sexy T., der Bassist von Crowbar seinen Bauch hochklappte, damit er im Rockfabrik-Café zwischen Tischkante und Sitz passte.

Wir haben in diesem Laden Bands gegründet, andere angefeuert und unsere gleich wieder aufgelöst. Wir haben unsere Lieblingsbands dort spielen sehen und ihnen danach erklärt, dass sie nicht träumen. „Yes, it’s a club for Metal and Rock, everyday.“ Und wir waren stolz, dass manche uns darum beneideten. Einige von uns sind heute Musiker, andere glücklich, Hausfrauen, Steuerberater, Tontechniker, Redakteure, verheiratet, arbeitslos oder sonstwas – und manche sind leider gestorben.

Ganz ehrlich: manchmal hole ich die „Master Of Puppets“ von Metallica aus dem Schrank, zeige mit dem Finger auf den Gitarristen Kirk Hammett und sage: „Da. Schau. Rockfabrik-T-Shirt“, obwohl außer mir keine Sau im Raum ist und man das eigentlich auch nur erkennt, wenn man es längst wusste.

Alles Gute zum Geburtstag. Rockfabrik.

 

P.S.: Nur deshalb gehe ich heute in die Rockfabrik und nicht zum „Club Miaow!“ in der „Rakete!“, beziehungsweise Theater Rampe.  Würde mich nicht nur wegen  MitbewohnOmatic und Stompin‘ Johnson brennend interessieren.

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14 Comments

  1. says: Peter

    Da wird man nachträglich noch neidisch – im Allgäu gabs sowas nicht…
    Aber was ich nicht versteh: wie lange habt ihr denn Spezi getrunken? Bei uns ging es mit 15 schon mit Cola-Weizen los. Einstiegsdroge No 1

  2. says: Harri

    “Äh, Micha, da hat eben der Haschisch für dich angerufen.” Und Mutter sagte manchmal “Der heißt Hasche”. 🙂

    Allerbeste ist aber: ‚Ich habe gesehen, wie Axel von WIZO während einer Polizeirazzia versuchte, mit einem Schraubenzieher das Blaulicht eines Einsatzwagens abzumontieren. Ein Polizist fragte: “Was zum Teufel machen Sie da!”. Er antwortete: “Ich überprüfe, ob das ordnungsgemäß befestigt ist.” Ich war dort als Markus Steiger aus dem Karton heraus die ersten Platten seines Plattenlabels Nuclear Blast verkaufte und immer “Isch Kuuullltt!” sagte.‘ Da wär ich gerne dabeigewesen 🙂

  3. says: Myriam

    Die Rofa ist nunmal einzigartig, der Bericht, bzw. Deine Geschichte treibt mir echt noch Tränen in die Augen. War eine verdammt geile Zeit.

  4. Hey, sehr schön geschrieben- da kommen alte Erinnerungen hoch. Ich wohnte seit 1994 in Ludwigsburg und bin gleich im ersten Jahr über die „alte Tante Rocke“ gestolpert… und hängen geblieben (manchmal MO,DI,DO,FR und SO).
    Wenn sich die Zeiten und die Musiklandschaft auch (arg) verändert haben- die Erinnerungen an die geile Zeit in der Rockfabrik und laaaaaange Abende, pendelnd zwischen B52 im alten, leckeren Bistro und der Tanzfläche bleiben *seufz*

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