Stuttgart rast

Pfingstmontag, Lese- und Kulturtag, schlag ich also prompt den Kulturteil der Zeit auf, rechte Spalte Überschrift: „Stuttgart rast“. Scheinbar ist momentan jedes Movement aus Stuttgart Feuilleton-tauglich. Dabei geht es eigentlich um ganz banale Dinge, nämlich die seit Jahren ausgetragenen Eingang-Rennen in der Innenstadt.

Gehen mir ehrlich gesagt ebenfalls seit Jahren am Arsch vorbei, weil ich davon relativ wenig mitbekomme, Start-Ziel-Bereich soll ja so auf der Höhe Club Bett sein. Beziehungsweise frag mich, warum man das nicht in Griff bekommt. Sind ja keine Profis am Steuer. Nicht mal Thorsten fährt mit und der hat Hockenheimring-Erfahrung. Und Panameras kann man offensichtlich auch stoppen. Vorausgesetzt sie sind langsam und fahren Schlangenlinien.

Erinnere mich sehr dunkel an einen Forumseintrag in einem ehemaligen Partypics-Portal, das schon lange über den Wolken verschwunden ist: „Wie schnell schafft ihr den Cityring?“ Mein liebes Getriebe, da wurde aber die Nudel rausgehängt, auf die Sekunde genau, wie bei einer Laufveranstaltung. Also ich schaff den Cityring zu Fuß in circa 15 bis 20 Minuten. Bei grüner Welle. Wir können auch gerne mal ein Rennen machen.

Der Zeit-Autor wiederum schafft es nun tatsächlich, diese seltsamen Wettbewerbe in einen größeren Zusammenhang zu stellen. Gut, im Feuilleton-Ressort muss man das wohl. Mit „Granatenseggl“, die kurze Variante, kriegt man die Spalte halt nicht voll. Eher mit Philosophie. Stuttgart sei seit Herbst 2010 eine verwirrte Stadt:

„Einerseits Metropole des ökologischen Wandels (es regiert ein Grüner, sein Wahlkampfrequisit: eine alte Blechgießkanne), andererseits noch immer die Autostadt schlechthin (vom keimfreien Wolfsburg abgesehen). Einerseits die deutsche Großstadt mit der schönsten Topografie (ENDLICH!) andererseits ein von Autobahnen durchschnittenes Kesselnest. Und die grün-rote Landesregierung ist in Gefahr, von der Causa Stuttgart 21 zerrissen zu werden. Diese Widersprüche lassen sich auf Dauer nicht bändigen, sie wollen sich austoben, und das tun sie nachts.“

Da folgt prompt noch der obligatorische den-muss-man-bei-Stuttgart-immer-noch-dazu-schreiben-Arschlochsatz: „Ja, Stuttgart hat mittlerweile ein Nachtleben.“ Ach herrje…

Klar, der Autor kann vielleicht nicht wissen, dass die Rennen schon lange vor der „Causa Stuttgart 21“ ausgetragen werden. Vielleicht meint er all das einfach nur ironisch: „Man kennt solche Jagden von den Ausfallstraßen des Ruhrgebiets und aus dem deutschen Osten. Aber hier, in dieser so demonstrativ zur Besinnung gekommenen Stadt, auf der geweihten Piste der Bürgermärsche, hätte man sie nicht erwartet.“

Nee, hier nicht. Im Epizentrum des schönsten Großraums der Erde. „Ein Selbstzweck wird gefeiert, dem Wutbürger stellt sich der Gasfußbürger grinsend in den Weg: Er holt sich bei Nacht, was seiner Stadt im Licht der Vernunft abhandengekommen ist.“ Das ist fast schon wieder super. Musste ich schmunzeln. Wie auch beim Schluss. Die Polizei scheint seinen Beobachtungen nach das Spektakel zu begleiten anstatt zu verhindern. „Was hier stattfindet, ist ein Methadonprogramm für Geschwindigkeitssüchtige, ein Trostrausch der Umweltidioten.“

Bei Geschwindigkeitssüchtige fällt mir noch ein, dass ich gestern Abend vor dem Einschlafen noch Death Race mit Jason Statham angeschaut habe. War gut. Wurde nicht viel gesprochen. Kulturtag halt.

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16 Comments

  1. says: Martin Sp.

    Jo, Death Race ist klasse. Vor Allem dass David Carradine mitspielt, der im Original Statthams Rolle gespielt hat. Ich kann mich an das Original nicht mehr so gut erinnern. Aber hey, die Zeit! Frankensteins Todesrennen habe ich mir auf VHS reingezogen, Death Race auf BluRay.

  2. says: Thorsten W.

    Ich halt die Ampelrennen auf der Theo-Heuss ja für ne Urban Legend. Ich hab mich letztes Jahr mal Samstagnacht eine Stunde auf die Brücke beim Bett gestellt, und die ganzen Karren fahren zwar permanent im Kreis, aber außer bissle Gas geben von einer Ampel zur nächsten passiert da nicht viel. Ich hab mich noch gewundert, warum die 100 Leute da an der Straße stehen.

    Vereinzelt kommt das vielleicht vor, aber ein „Phänomen“ ist das sicher nicht – dazu ist die Polizeipräsenz mitten in der Stadt einfach auch zu hoch.

  3. says: afro-dieter

    Des bissle Hin und Her macht mir keinen Harten. Das is eigentlich nur 7Grad goes Gassi oder Fast and the Furious für Arme, da wär ne Rollerausfahrt bei Night ein ganz anderes Kaliber.
    PS: Die Bildunterschrift is so geil 🙂

  4. says: kollege geiger

    „Mein liebes Getriebe, da wurde aber die Nudel rausgehängt“ :- )

    Welche Autobahnen genau durchschneiden eigentlich unseren Kessel? Die A14 oder die A10?

  5. says: Aussenreporter

    Der Artikel ist echt irre und für mich sinnbildlich für die „Zeit“: Ehemalige Oberstudienräte und extrem schlaue Journalisten machen Zeitung und müssen sie halt irgendwie füllen mit echt total revolutionären Beobachtungen, Thesen, Ideen und Hobbys. Verstehe nicht, wie du den Batzen Altpapier immer so tapfer schmökern kannst.

  6. says: martin

    och allgemein wiederum machen die schon nen ganz guten job finde ich… und schon allein wegen dem zeitmagazin und 99 fragen von moritz von uslar lohnt sie sich.

  7. says: Kutmaster

    Ich bin seit Freitag im Katharinen Hospital zu Gast und auf dem raucherbalkon dort kann man Samstag nachts ganz prima einige Rennen auf der kriegbergstrasse beobachten. Mit nem Becher schmerztropfen in der Hand hat das sogar etwas von VIP tribühne.

  8. says: hoops

    hmmm… kann mich noch erinnern dass die theo mal beidseitig 3spurig war, durchgehend bis zur stadtmitte… DAS warn noch zeiten. nachts mitm taxi mit 90 durch die stadt. so schlimm wie früher isses schon lange nimmer.

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