Best of 2012: Lebensmittelpunkt Stuttgart

Lohrer Schloss mit Rathaus

(Lohrer Schloss mit Lohrer Rathaus links – wer nicht dafür ist, ist dagegen.) 

Seit einiger Zeit pflege ich eine Dependance im fränkischen Lohr. Genauer gesagt eine Einliegerwohnung, denn ich bin unters Berufspendler-Volk gegangen. Freunde von mir machen das auch: Pendeln von Stuttgart nach München oder Zürich. Ich rede mir ein, dass das eigentlich das Gleiche ist. Bis ich soweit war, dass ich das geglaubt und mich mental und organisatorisch mit meinem Aufenthalt in der mainfränkischen Provinz angefreundet habe, sind sechs Wochen vergangen. Eigentlich schnell, wie ich finde. Das Lohrer Völkchen und die (kein Scherz) guten Sportmöglichkeiten haben geholfen.

Völlig gefasst bin ich vor vier Wochen also auf’s Lohrer Rathaus marschiert um den finalen Schritt zu tätigen und meinen Zweitwohnsitz in Lohr anzumelden. Meine Steuerberaterin war auch schon voller Freude: „Jetzt können wir loslegen: doppelte Haushaltsführung, Pendlerpauschalen…“ – die Gute ist von den neuen Möglichkeiten so entzückt, wie Tobsen von seinen Stickern auf nackten Brüsten.

Leider ist das in Lohr dann alles nicht so einfach. Zweitwohnsitze sind hier nämlich in etwa so beliebt wie ein Kunde beim Breuninger um Fünf vor Acht. Meine zuständige Sachbearbeiterin – nennen wir sie Frau Kurz – rümpft über mein Ansinnen erstmal die Nase und dreht meinen Perso verächtlich hin und her: „So, Sie haben ihren Hauptwohnsitz also in Stuttgart“, stellt sie mit investigativer Spitzfindigkeit fest. „Dann haben sie hier also nur eine befristete Stelle?“ – Ich: „Nö.“ „Dann ist es eine Teilzeitstelle?“ – Ich: „Nö“. „Sind sie in Stuttgart verheiratet?“ – Ich: „Nö.“

Dreimal nö, das war dreimal ein Fehler. Völlig unbedarf bin ich ihr total in die Falle gegangen. Diabolisches Grinsen bei Frau Kurz und selbstsicheres Wedeln mit meinem Perso: „Wenn Sie fünf Tage die Woche in Lohr arbeiten, dann sind sie die meiste Zeit hier und dann ist das ihr Hauptwohnsitz. Alles andere ist strafbar, haben Sie das nicht mitbekommen bei dem Becker?“

Ich glaube es hackt! Das nenne ich mal harte Bandagen um gegen Zweitwohnsitze vorzugehen: Die geben ihren Sachbearbeiterinnen Kopfpauschalen für jeden neuen Lohrer. Anders kann es nicht sein. Stuttgart ist doch nicht Monaco und ich nich‘ Bobbele.

Entrüstet nehme ich Frau Kurz erstmal meinen Perso wieder ab und erkläre ihr, dass mein Lebensmittelpunkt Stuttgart sei. Das lässt sie völlig kalt – sie kennt die Stadt aller Städte nicht und überhaupt hat sie eine Kopfpauschale. Mit wirrem Blick und erhobenem Zeigefinger erinnert sie mich an meine Meldepflicht. „Das müsste uns ihre Personalabteilung schon bestätigen oder ein Ehemann, dass Sie wirklich nicht ständig in Lohr sind.“

Oma’s Rache. Die hat mir immer gesagt, mein liederlicher Lebenssstil rächt sich mal. Hab natürlich keinen passenden Ehemann, der das bestätigt. Und die Personalabteilung hat bei meinem späteren Anruf auch nur müde den Kopf geschüttelt: „Wir führen doch nicht Buch, wo Sie sich gerade rumtreiben.“  Hallo! Ich habe Reisetätigkeit!

Das zukünftige Nummernschild mit  drei (!) Buchstaben vor der TÜV-Plakette vor Augen – wenn alles schief geht bin ich „MSP“ – habe ich eine panische Facebook-Nachricht an meine Steuerberaterin geschickt. Aber die hat sich auch nur totgelacht: „Wo bist denn Du gelandet? Bekämpfen die die Urbanisierung schon mit Kopfpauschalen?“

Sehr witzig, auf die Idee bin ich selbst schon gekommen. Auf den Schreck musste ich erst einmal wieder einige Wochen ins Land ziehen lassen. Meine Steuerberaterin, die auf die Sache mit dem Zweitwohnsitz, wie gesagt, auch ziemlich scharf ist, hat mich dann letztendlich genötigt aktiv zu werden. Es steht ja nicht nur das Nummernschild auf dem Spiel.

Bewaffnet mit  den Mietverträgen meiner Lohrer Keller-Bleibe („Einliegerzimmer“, steht da wirklich) und meiner frech teueren Stuttgarter Wohnung, Teilen meines Arbeitsvertrags und sehr wichtig klingenden Aussagen meiner Steuerberaterin (extra von FB auf sau gut aussehendem Briefpapier kopiert) habe ich mich so bereit für die nächste Schlacht erneut auf den Weg ins Lohrer Rathaus gemacht. Frau Kurz hatte wohl frei, ich kam zu ihrem ziemlich jungen Kollegen und fordete erneut einen Zweitwohnsitz .

Meine gesammelte Indizienmappe vor Augen meinte der Beamte aber nur beleidigt: „Schon okay. ‚Mein Lebensmittelpunkt ist in Stuttgart‘ hätte mir auch gereicht. Sie wollen wohl absolut nicht nach Lohr ziehen.“

Da war ich perplex und wurde noch bisschen frech: „Sie halten wohl nix von der Kopfpauschale? Oder kennen Sie Stuttgart?“ Hat er nicht geblickt. Stempel auf meine Unterlage und Frau Kurz hab ich nie wieder gesehen. Happy Lebensmittelpunkt Stuttgart!

Join the Conversation

12 Comments

  1. says: Ingmar

    Sei froh, in Augsburg waren die Damen und Herren bei Weitem weniger kooperationsbereit. Nach drei Monaten Kampf wurde ich mit einem Bußgeld und einer angedrohten Nachforderung einer Zweitwohnsitzsteuer dazu gefühlt genötigt, mich umzumelden.

  2. says: Jana

    Mach mich nicht irre. Kann ja alles noch kommen. Meine Kollegin hat mich 2 Tage nach meinem ersten Besuch beim Rathaus gleich auf dem Flur gestellt: “ Du willst einen Zweitwohnsitz? Hat mir Frau Kurz erzählt. Mit der war ich vor 30 Jahren in einer Klasse. Die hat sich schon gedacht, dass Du bei mir in der Abteilung bist.“ – was ein Dorf…

  3. says: afro-dieter

    Ingmar die Glaskugel 😉
    Schöner Bericht, höchstinteressante Thematik – Lohr musst ich grad mal googeln (jetzt weiß ich: rechts von Rechtenbach, zwischen Rodenbach und Sackenbach)

    Bei „Arbeiten in der Enklave“ duckt man ja erstmal instinktiv runter, könnte einen ja selbst treffen. Ob man jetzt jeden Tag aus dem Fenster ein Bankgebäude oder einen Baum sieht, kommt eigentlich aufs gleiche – Und ich bin sicher 19 Zoll Bildschirme sehen dort genauso aus, oder?

    Vielleicht war das Hauptproblem von Frau Kurz nicht unbedingt das Kopfgeld, sondern das Anmelden eines Zweitwohnsitz in einer 1.Klasse Stadt wie Lohr – erzähl mal deiner Freundin, das Sie nur die B-Wahl ist… 😉

  4. says: Jana

    haha,@afro-dieter Lohr ist höchstens ein Z-Promi. Aber Du hast schon recht: Die Bildschirme sehen überall gleich aus und wenn man abends heim kommt ist es dunkel.
    Das ging mir schon in Stuttgart so.

    @Tobsen – leider verpass ich die Hipster-Events unter der Woche. Und das mit der Kollegin stimmt! Hier kennt jeder jeden, noch schlimmer als in Stuttgart.

    @Ingmar, der RAM hat mir heute auch schon Spiegel-Artikel geschickt:
    http://www.spiegel.de/karriere/berufsleben/0,1518,825453,00.html
    Der Hammer: „Die Provinz als Startrampe (…) Bei Krisen gibt es kostenlose psychologische Beratung für Mitarbeiter und Familienangehörige.“
    – falls es mit dem Zweitwohnsitz nicht klappt.

Leave a comment
Leave a comment

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert