Von Stuttgart nach Detroit – Ausflug in die Motor City

  • Ende August schickt mir morri zwei Bilder aus Detroit, KTV-Sticker vorm Motown-Museum, ja mega und was machst du da? Urlaub! Musik-Techno-Geschichte-Urlaub! Und jetzt geh ich zu Submerge! Super. Wollte ich auch gerne mal machen. Als ich noch geträumt habe wie Cro. 

Nun hat morri einen ausführlichen Report und weitere Bilder nachgeliefert, über eine Stadt, die in den letzten Jahrzehnten regelrecht zusammengefallen ist, 2013 gar Insolvenz anmeldete, nun aber hier und da wieder punktuell neu auflebt, z.B. in der Künstler-Szene. Tresor-Macher Dimitri Hegemann will ganz brandaktuell einen Club in Detroit eröffnen. 

Ganz am Ende das Cocktail-Sonnenschirmchen, der Konzept-Mix des Jahrhunderts: Ausschließlich Tracks von Detroiter Künstlern auf Detroiter Plattenlabels und alle Platten wurden in Detroiter Plattenläden gekauft. Mehr Detroit? Geht nicht. 

Detroit? Was wollt ihr denn da, da gibts nichts. Und es ist gefährlich! Mit solchen Aussagen haben uns sowohl deutsche als auch amerikanische Freunde und Bekannte von einem Besuch abgeraten. Wir sind trotzdem hin und es war das Highlight unserer USA-Reise.

Detroit ist unglaublich faszinierend: Detroit-Downtown – wie eigentlich die ganze Stadt – ist tags wie nachts gespenstisch leer. Man sieht – gerade im Vergleich zu New York und Chicago, wo wir davor und danach waren – kaum Leute, kaum Autos auf den Straßen, entsprechend auch kaum geöffnete Läden.

Man sieht viel Armut. Es gibt in ganz Detroit keine Taxis(!), kaum Polizei. Die meisten – alten und wunderschönen! – Hochhäuser und Gebäude stehen leer und sind heruntergekommen; die Skyline leuchtet nachts kaum. Dafür gibt es viel und teilweise riesige Streetart, gerade auch international bekannter Künstler wie z.B. Shepard „OBEY“ Fairey.

Außerhalb von Downtown, in den riesigen Wohnvierteln, wird es noch trostloser; es steht wirklich jedes dritte Haus leer, die meisten sind stark beschädigt, sehr viele an- oder ausgebrannt. Alles ist sehr grün und zugewuchert, man sieht auch viele wilde Tiere – die Natur holt sich die Gebiete zurück. Einen guten Eindruck hiervon bekommt man im aktuellen Video von Guilty Simpson – The D.

Ein Künstler und Ladenbesitzer in meinem Alter, bei dem ich ein T-Shirt mit dem Aufdruck „Detroit still exists“ gekauft und mich über die Stadt unterhalten habe, meinte zu den vergangenen Jahren: „We went through hell.“

In Detroit waren wir vor allem wegen des musikalischen Erbes der Stadt: Pflichtbesuch daher der das Motown Museum, in dem man u.a. ins legendäre Studio A geführt wird, wo all die berühmten Soul-Alben aufgenommen wurden. Das kann man einfach besuchen und bekommt nach dem Ticketkauf mit 20 weiteren Interessierten eine von mehreren einstündigen geführten Touren pro Tag.

Das andere – mir wichtigere – Museum kann man nur nach vorheriger Anfrage und Terminvereinbarung per Email besuchen, ist dafür aber ein Erlebnis der ganz anderen Art: Exhibit 3000, das erste und bislang einzige Techno-Museum der Welt. In einem nicht unweit des Motwon Museum gelegenen, völlig unscheinbaren Gebäude mit der Hausnummer 3000 (daher der Name) residiert Submerge, Label und Distributor der ersten Technoplatten und Heimat von Underground Resistance, und betreibt im Keller den hauseigenen Plattenladen, der ebenfalls nur nach Terminvereinbarung besucht werden kann.

Wir wurden von Underground Resistance-Mitglied und Techno-DJ der ersten Stunde John Collins (er hat damals Jeff Mills angeheuert(!), den er für den talentiertesten DJ aller Zeiten hält) durch das Museum geführt. Den Ablauf kann man in einem Zeitungsartikel nachlesen. 

Er war gerade aus Berlin zurückgekehrt, wo er im Tresor aufgelegt und vor allem viele Gespräche geführt hat. Er arbeitet mit Tresor-Gründer Dimitri Hegemann daran, in Detroit einen vergleichbaren Club zu eröffnen und konnte berichten, dass Dimitri zu diesem Zweck gerade zwei Häuser weiter ein Gebäude erworben hat und zwar in der Nähe des Studios von Carl Craig und gegenüber des Hauses, in dem Moodymann – Kenny Dixon Jr. – seine Label KDJ und Mahogani Records betreibt. Die ZEIT hat übrigens über Hegemanns Detroit-Aktivitäten erst kürzlich groß berichtet.

Im Rahmen der Museumsführung erzählte er uns dann Hintergründe und Anekdoten über die Entstehung des Techno-Sounds, die Protagonisten (1.Wave: Derrick May, Juan Atkins, Kevin Saunderson und Eddie Fowlkes, 2. Wave: Underground Resistance und seine (Gründungs-)Mitglieder Mike Banks und Jeff Mills, später Robert Hood), und ihre Einflüsse, die ersten Platten und die Entwicklung, Stichwort Detroit-Berlin-Achse usw.

Die original Drum-Machines von Mike Banks und Jeff Mills sind ausgestellt, ebenso wie die Mastering-Maschine der ersten Platten und deren Pressungen. Nebenbei haben wir über die Stadt und ihren Zustand, die Rolle der Schwarzen in den USA, aber auch den geringen Stellenwert von Techno in den USA diskutiert – im Nu waren zwei bis drei Stunden rum, bevor es zum shoppen in den Keller ging: Viele UR-Platten, die bei Discogs teils Höchstpreise erzielen, für sechs bis acht Dollar!

Mit John Collins war ich am Ende einer Meinung, dass wir für einen wunderbaren und für mich unvergesslichen Nachmittag die „Detroit-Germany-Connection“ bestätigt haben. Mit u.a. seiner signierten Platte („morri thanks so much, welcome to UR – DJ John Collins 2015“) im Gepäck haben wir eine beeindruckende Stadt mit dem festen Vorhaben verlassen, bald wieder zu kommen.

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